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Gibt es in Sachsen eine neue SA?

Die Hooligan-Angriffe in Leipzig erinnern an dunkle Zeiten, sagt der Historiker Sascha Lange. Wir haben ihn interviewt.
Foto: schmidtshot.de

Während in der Leipziger Innenstadt der lokale Pegida-Ableger gerade mit Lutz Bachmann, Tatjana Festerling und dem Hooligan-Sänger Hannes Ostendorf Geburtstag feierte, schlichen sich rund 250 rechte Hooligans ins Szeneviertel Connewitz und starteten dort einen Überraschungsangriff auf Geschäfte, Kneipen und Wohnhäuser. Innerhalb weniger Minuten richteten sie einen erheblichen Sachschaden an, sprengten in einem Döner-Imbiss Teile der Einrichtung, lösten mit Pyrotechnik einen Wohnungsbrand aus und verletzten mehrere Passanten.

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Der Leipziger Historiker und Publizist Dr. Sascha Lange erregte einiges an Aufmerksamkeit, als er den Angriff in einem Kommentar als „verheerendsten Nazi-Überfall in Leipzig seit dem 9. November 1938" bezeichnete und die Hooligans mit den „SA-Schlägern" von damals verglich. Lange, der neben seiner Forschung über deutsche Geschichte und Jugendkulturen im 20. Jahrhundert regelmäßig publiziert, Vorträge hält und wissenschaftlicher Berater für Gedenkstätten, Medien und Museen ist, meldet sich auch immer wieder zur aktuellen Situation zur Wort. Wir haben mit ihm über den Angriff auf Connewitz, historische Parallelen von rechter Gewalt in Leipzig und den gesellschaftlichen Rahmen in Sachsen gesprochen.

VICE: Kann man den Angriff von Neonazis auf Connewitz wirklich in einem Atemzug mit der Pogromnacht 1938 nennen?
Sascha Lange: Der Vergleich zwischen der Pogromnacht in Leipzig und den Vorfällen am 11. Januar in Connewitz ist natürlich extrem problematisch. Es wäre vermessen, das gleichzusetzen, was ich ja auch gar nicht machen will. Aber rein von den nüchternen Fakten her sieht es so aus: Ein Mob von Nazis—damals zum Großteil die SA, jetzt diese Neonazi-Hools—findet sich zusammen mit dem Plan, in der Form von Straßenterror maximalen Sachschaden anzurichten und die Betroffenen so massiv wie möglich einzuschüchtern. Und in der Hinsicht hat es seit 1938 in Leipzig keinen Vorfall dieses Ausmaßes von sogenannten Nationalsozialisten gegeben.

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Aber es gab doch auch in den Jahren dazwischen massive rechte Übergriffe in Leipzig. Warum der Rückgriff auf 1938?
Ich wurde für diesen Vergleich bereits kritisiert und kann das auch nachvollziehen. Vielfach heißt es eher, dies sei der massivste Angriff seit den frühen 90er Jahren gewesen. Connewitz war damals immer wieder Ziel von rechten Angriffen. Aber bei den damaligen Attacken gab es keine Aktion, bei der so viele Menschen beteiligt waren und ein ähnlich massiver Sachschaden entstand.

Dessen ungeachtet stehen die aktuellen Ereignisse natürlich auch in einer Traditionslinie mit den Angriffen in den frühen 90ern, gerade was die Selbstverortung der Rechten angeht: Am 27. Oktober 1990 gab es den massivsten Überfall auf die Stöckartstraße in Connewitz. Da wurde „Hooligans, Hooligans!" gerufen, während die Häuser angegriffen wurden, jetzt am 11. Januar gab es diese Rufe wieder. Obgleich das jetzt kein Überfall war, der irgendwas mit Fußball zu tun hatte. Hooligan ist hier eher eine unscharfe Sammelbezeichnung, unter der diese Angreifer ihre Identität verorten.

Wie ist diese Identität zu verstehen? Stehen rechte Hooligans, die den politischen Gegner gezielt angreifen oder bei Pegida immer wieder zur „Absicherung der Demonstranten vor linker Gewalt" begrüßt werden, wirklich in einer historischen Linie mit der SA, wie es Ihr Kommentar andeutet?
Mir sind keine Selbstbezichtigungen bekannt, laut denen sich diese Leute direkt in die Linie der SA setzen. Allerdings gab es auf der mittlerweile nicht mehr verfügbaren Facebook-Seite der Brigade Halle eine ganze Menge NS-Bilder, die ein solches Selbstverständnis andeuten.

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Legida-Demonstrant | Foto: imago | Eibner

Ich denke schon, dass es eine gewisse Klientel Nazihooligans gibt, die an klassischer Parteiarbeit kein Interesse haben, sondern lieber die groben Sachen erledigen wollen. In der Hinsicht gibt es da einerseits durchaus konzeptionelle Parallelen zur SA. Auf der anderen Seite denke ich, dass sich diese Nazihools eher in einen subkulturellen rechten Kontext einordnen. Die wenigsten werden sich wohl auf Ernst Röhm beziehen, der ja wegen seiner Homosexualität unter den Nationalsozialisten geächtet war. Das ist für Hooligans mit ihrem sehr archaischen Männlichkeitsbild nicht wirklich attraktiv.

Die meisten beziehen sich vermutlich auf einen subkulturellen Kontext, der aus der frühen Skinhead- und Fascho-Bewegung der 80er Jahre entstanden ist und dann in den Wendejahren in diese aufkeimende neue Hooliganszene aufging.

Wie kommt es, dass diese Menschen jetzt wieder so offensiv agieren? Gibt es gesellschaftliche Entwicklungen oder spezifische historische Situationen, die sich wiederholen und den Boden dafür bereiten?
Ein Vergleich zwischen der Spätphase der Weimarer Republik und den Anfängen des Nationalsozialismus mit der heutigen Zeit ist schwierig und tendenziell zu konstruiert. Aber es gibt durchaus Parallelen zur Wendezeit. Leipzig feiert sich ja immer gerne als Stadt der friedlichen Revolution. Aber man darf nicht vergessen, dass es noch diese andere Seite der Demos gab.

Demonstrant beim Kohl-Besuch in Leipzig 1989 | Foto: imago | Sven Simon

Als ab Dezember 1989 und besonders ab Januar 1990 bei den Montagsdemos in Leipzig nationalistische Töne aufkamen—vor allem durch rechte Parteien aus Westdeutschland, zudem angefeuert durch die Versprechen der CDU—, führte das hier zu einer Art nationalistischem Taumel. Der Ton war schnell ziemlich scharf. Auf dieses „Deutschland einig Vaterland" sind die damaligen Faschocliquen und Nazihools bereitwillig aufgesprungen und haben sich—so wie man es nun auch heute sieht—als die Männer fürs Grobe verstanden, die Volkes Wille umsetzen, anstatt auf politische Entscheidungen von oben zu warten. Die einen hetzten politisch gegen links, die anderen setzten auf Taten.

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Ab Januar 1990 verkamen diese Veranstaltungen zum Wahlkampfort für Westparteien, gleichzeitig präsentierten sich Nazis dort immer offensiver: Auf dem Augustusplatz haben sie Flugblätter von nicht genehmen Parteien öffentlich verbrannt, in diesem neuen Deutschlandtaumel wurden abweichende Meinungen gnadenlos ausgebuht. Es war eine unglaublich intolerante Stimmung. Und auch damals trafen sich rechte Hooligans—unter anderem aus dem Umfeld Lok Leipzig – und haben z.B. während einer Rede von Helmut Kohl die Gegendemonstranten angegriffen und durch die Stadt gejagt. Diese Klientel fühlt sich anscheinend damals wie heute dazu ermuntert, den vermeintlichen Volkswillen in die Tat umzusetzen.

Demonstranten beim Kohl-Besuch in Leipzig 1989 | Foto: imago | Sven Simon

„Damals wie heute" heißt, dieses Phänomen ist auch jetzt wieder aktuell?
Ja, das ist genau das, was man jetzt auch sieht. Pegida und Legida hetzen gegen Flüchtlinge und die Heime brennen und Flüchtlinge werden überfallen. Oder dass Nazihooligans am 21. Dezember 2015 die Pegida-Demonstration als Anlass genommen haben, um durch das alternative Viertel Dresden-Neustadt zu ziehen und dort Straßengewalt auszuüben, um eine linke Hegemonie anzugreifen. Das ist ja das, was letztendlich auch in Connewitz passiert ist. Diese Stereotype, die man in den Interviews der frühen 90er hört, wenn sich scheinbar besorgte Bürger gegen Flüchtlinge aussprechen, das sind dieselben Argumente, die man auch seit einem Jahr bei Pegida wieder hört.

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Wird das entsprechend wahrgenommen, wenn wir hier allem Anschein nach einen Rückfall in die 90er Jahre erleben?
Medial hält man sich damit meiner Wahrnehmung nach eher wenig auf. Allerdings muss man sich auch fragen: Was bringt uns eine solche Erkenntnis? Es zeigt uns ja im Wesentlichen nur, dass sich in Ostdeutschland und besonders in Sachsen über 25 Jahre eine anti-demokratische und rassistische Grundhaltung erhalten und reproduziert hat und dagegen nichts unternommen wurde.

Der politische Diskurs verschiebt sich aktuell immer weiter nach rechts, das ist nicht wirklich was Neues. Der Unterschied zu den frühen 90ern ist, dass damals bei rechten Demos vorwiegend äußerlich erkennbare Nazis anwesend waren. Mit der Diskursverschiebung nach rechts gehen aber auch scheinbar normale Menschen dahin, wodurch unglaublich viele Hemmungen gefallen sind. Dazu kommt: Wir haben in Sachsen seit 26 Jahren eine Verharmlosung der rechten Gewalt.

Aber es gab doch offizielle Verurteilungen des Angriffes?
Die Reaktionen darauf sind auffallend verhalten. Das war im Dezember anders. Gerade bei der sächsischen Staatsregierung gibt es seit jeher ein absolutes Unvermögen, rechte Gewalt als solche wahrzunehmen. Und wenn der Leipziger Oberbürgermeister diesbezüglich von „erneutem Straßenterror", allerdings „diesmal von rechtsaußen", spricht und da unter Bezug auf die fragwürdige Extremismustheorie Dinge zusammenwirft, wird der Angriff eindeutig verharmlost. Es gibt anscheinend nicht den Willen, sich mit massiver rechter Gewalt in Sachsen auseinanderzusetzen, stattdessen wirft man das alles in den Extremismus-Topf.

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Und einerseits setzt man links und rechts gleich, handelt aber andererseits vollkommen unterschiedlich. Als die rechten Hools von der Polizei gekesselt wurden, haben die ja nicht mal Anstalten gemacht zu fliehen, obwohl das teilweise noch möglich gewesen wäre. Mit einem Mob von 250 Mann die anfänglich nur 10 bis 20 Polizisten zu überrennen, wäre ja ein Leichtes gewesen, aber die haben offenbar überhaupt keine Angst vor Strafverfolgung. Die wissen, dass sie in Sachsen sowieso nicht nennenswert belangt werden. Wenn der sächsische Staat schon der Meinung ist, dass links und rechts gleichermaßen unsere Demokratie bedrohen, dann sollte er auch beides gleichermaßen verfolgen, aber selbst das findet einfach nicht statt.

Randale am 12.12.2015 in Leipzig | Foto: Sebastian Löffler

In vielen offiziellen Statements wurde der Angriff schnell in Beziehung zu den Ausschreitungen durch linke Gegendemonstranten am 12. Dezember erwähnt. Kann man die beiden Ereignisse denn vergleichen?
Ein Bürger, der sich nicht mit der Thematik beschäftigt, sieht da vielleicht erst einmal keinen großen Unterschied. Das ist sehr bedauerlich—und hat neben der medialen Darstellung vor allem damit zu tun, dass viele die unterschiedlichen Ausgangssituationen nicht verstehen. Die Randale auf der Karl-Liebknecht-Straße am 12. Dezember wäre ja vermeidbar gewesen. Die Polizei hat einen halben Stadtteil für diese 120 Nazis abgesperrt und auch jeden Protest in Hörweite rabiat unterbunden. Dadurch dass friedlicher Protest nicht möglich war, kam es ja erst zur Eskalation, weil einige der Meinung waren, ihren Frust darüber auf diese Weise rauslassen zu müssen.

Die Zerstörungen und Übergriffe am 11. Januar waren hingegen ein geplanter Überfall—mit Ansage, wie man jetzt weiß—es ging eindeutig darum, ein linkes Zentrum mit Gewalt anzugreifen. Da kann man wirklich von „Straßenterror" sprechen, weil unabhängig davon, ob es sich um ein explizit linkes Projekt oder ein alteingesessenes Geschäft handelt, ein gesamter Straßenzug gezielt angegriffen und zerstört wurde. Das ist eindeutig eine andere Qualität, aber diese Unterscheidung wird in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.

Wie sehen Sie angesichts dieser Entwicklungen die zukünftige Entwicklung, vor allem in Sachsen?
Aktuell eher düster. Das Grundproblem ist, dass durch Medien und die scheinbare bürgerliche Mitte aktuell vor allem Flüchtlinge als Problem wahrgenommen werden und nicht die Nazigewalt gegen diese. Und da sind wir an demselben Punkt wie Anfang der 90er. Die rechte Gewalt damals wurde ja von großen Teilen der Bevölkerung nicht als Bedrohung wahrgenommen: Zum einen hat sich diese eher in einer jugendlichen Klientel gesammelt, als Erwachsener hat man da natürlich weniger mitbekommen. Zum anderen betrafen einen die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime nicht persönlich. Es war nicht das eigene Haus, das da brannte. Da sehe ich aktuell vor allem im Osten Deutschlands und besonders in Sachsen eine Situation, bei der man sich fragen muss, wie es mit der Demokratie weitergehen soll.