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Wie Stasi-Methoden und Voodoo-Glaube Innsbrucks Schauspielschule ruiniert haben sollen

Der Innsbrucker Schauspielschule wird nach langem Theater die Förderung abgedreht. Ihre Schüler erzählen, wie es dazu kam.

Als noch alles gut war: Xania und die Schulleiterin.

Es ist wahrscheinlich wichtig, dass auf einer Schauspielschule manchmal komische Dinge passieren—immerhin entsteht Kunst nicht aus Normalität. Das, was sich auf der Schauspielschule Innsbruck laut einigen ehemaligen Schülern zugetragen haben soll, erinnert aber selbst an großes Absurdes Theater mit den besten Zutaten: Die Rede ist von Massensuspendierungen, Stasi-ähnlichen Verhören, Schamanismus in Aktion, einem besessenen Schal und dazu noch von einer vermeintlich paranoiden Schulleitung—während die ganze Stadt schweigend zusah.

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Was davon der Wahrheit entspricht, lässt sich nur schwer herausfinden; während die inzwischen suspendierten Schüler und Schülerinnen von den schlimmsten Zuständen sprechen, dementiert die Schulleiterin das meiste davon (obwohl das Ausräuchern und der Einsatz von Schamanismus auch von ihr nicht bestritten werden).

Jetzt wurde von Landesseite der Geldhahn abgedreht—offenbar, weil „die wirtschaftliche, sparsame und zweckmäßige Verwendung" der Fördermittel nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Das bestätigen die Subventionsgeber auch uns gegenüber in einem Schreiben; die Tiroler Tageszeitung berichtete am 11. November Ähnliches.

Deswegen haben wir mit fünf der suspendierten Schüler und Schülerinnen gesprochen und sie gebeten, uns ihre Version der Geschichte zu erzählen—in der Hoffnung, eine etwas weniger theatralische Story zu bekommen. Das war es am Ende auch. Aber nur, weil das Ergebnis eigentlich filmreif ist.

Die Schüler auf der Bühne.

VICE: Hallo, ihr Suspendierten. Was ist denn da los auf eurer Schule?
David Baldessari: Wir verstehen es schon lange nicht mehr. Es ist so viel passiert, ein echtes Theater. Das Problem ist folgendes: Xenia wurde im März 2015 kurz vor ihrem Abschluss suspendiert. Das fanden viele nicht OK, unter anderem ich (Anm.: David und Xenia sind gewählte Schülersprecher). Aber auch die meisten Schüler, Lehrer und sogar der stellvertretende Schulleiter Frank Röder. Das hat uns in der Folge alle den Kopf gekostet und die Situation ist so weit eskaliert, dass die Schule derzeit fast keine Schüler mehr hat, und über 90 Prozent des großartigen Lehrpersonals durch schamanisch praktizierende Freunde der Schulleitung ersetzt wurden, die Yoga- und Chi Gong-Unterricht anbieten, während sie das Gebäude ausräuchern. Mit Schauspiel hat das nicht mehr viel zu tun.

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Warum wurdest du denn überhaupt suspendiert, Xenia?
Xenia Wittig: Es war drei Monate vor meinem Abschluss. Wir konnten eigentlich immer über Probleme reden, aber diesmal nicht. Einen wirklichen Grund für meine „vorübergehende Suspendierung" mit „Betretungsverbot" gab es nicht und ich habe ihn bis heute nicht erfahren. Die Schulleiterin hatte mir gesagt, ich sei „asozial", „manipulativ" und „arrogant" und hätte generell ein „Problem mit Frauen", was auf mein Verhältnis zu meiner Mutter zurückzuführen sei. Zuvor wurde mir noch gesagt, ich hätte mich toll entwickelt und wäre ein Vorbild für andere. Schließlich war ich ja auch gewählte stellvertretende Schülersprecherin. Ich kann nur von Glück sagen, dass sich die meisten Schüler und Lehrer hinter mich stellten und ich so noch meinen Abschluss außerhalb machen konnte—parallel zu all dem Chaos.

Kann die Schulleitung einfach Schüler feuern, die jährlich über 3000 Euro für ihre Ausbildung zahlen?
Tobias Horvath: Normalerweise ja, aber eine E-Mail ohne Angabe von Gründen darf da nicht ausreichen. Xenia wurde nicht einmal angehört. Anders die Kündigung des stellvertretenden Schulleiters: Das geht—weil wir ein Verein sind—überhaupt nicht ohne eine Generalversammlung aller Mitglieder: also Schüler, Lehrer und Leitung. Die hat die Schulleiterin bis heute nicht einberufen. Stattdessen wirft sie uns Antragstellern formale Fehler vor und isoliert uns schwarze Schafe systematisch.

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Warum sprecht ihr von Stasi-Voodoo?
David: Infolge von Xenias vorläufiger Suspendierung kam es an der Schule zu so genannten „Einzel- und Gruppengesprächen", die nicht selten mit Sätzen wie „Vertraust du mir?" begannen und mit „Was weißt du über …" weitergingen. Da wurden mehrere Schüler systematisch über uns Abschlussklässler ausgefragt.

[Auf Nachfrage sagt die Schulleiterin, die Gruppendynamik sei oft zu stark und Befragungen daher besser einzeln, damit sich jeder frei äußern könne.]

Davids Suspendierung.

Gibt es dafür Beweise?
Susanne von Fioreschy-Weinfeld: Etliche Zeugenaussagen von Schülern, die auch schriftlich festgehalten wurden. Ich wurde zum Beispiel so „interviewt": Die Schulleiterin betonte höchste Geheimhaltung über unsere Sitzung, befragte mich über die Schüler des Abschlussjahrgangs und wollte wissen, ob sie etwas gegen die Schulleitung oder die Schule gesagt hatten. Ich wusste aber nichts von solchen Anspielungen. Außerdem riet sie mir davon ab, mit dem vierten Jahrgang zu sprechen oder Kontakt zu haben, um mir so eine unabhängige Meinung zu bilden. Natürlich wollten wir Schüler aus den unteren Klassen auch die andere Seite hören. Die Schulleiterin blockte aber immer ab und vertröstete uns, es uns irgendwann zu erzählen. Das ist nie passiert. Einmal sagte sie zu mir, ich solle mich nicht einmischen, wir Schüler wären sowieso das schwächste Glied und es ginge uns nichts an.

Und wie kam dann Voodoo ins Spiel?
Tobias: Ganz am Anfang des Konfliktes wollte die Schulleiterin externe Experten zur Konfliktlösung einbeziehen. Das klang erst mal nach einer tollen Idee, bis sich herausstellte, dass diese „Externen" allesamt Freunde und Bekannte von ihr waren. Außerdem waren sie „Systemiker" und „schamanisch Praktizierende". Ihre Idee von Konfliktlösung war, das Gebäude mit weißem Salbei auszuräuchern, Salzschüsseln in den Räumen aufzustellen und ein bisschen mit den Händen zu fuchteln, um die Schule von unseren bösen Energien zu befreien. Das Ganze gipfelte darin, dass die Schulleiterin die Schüler das Schulgebäude putzen ließ. Jeder musste entweder saugen, wischen, aufräumen, Duftstäbchen aufstellen oder Salzschälchen in jeder einzelnen Ecke der Räume verteilen, um der Luft negative Energie zu entziehen. Die dreckigsten Orte wie die Klos waren für uns aus der Abschlussklasse reserviert, denn wir hätten den größten Schmutz in die Schule gebracht.

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[Die Schulleiterin sagt uns gegenüber dazu, es sei eben eine kleine Schauspielschule—da komme es immer wieder einmal vor, dass man gemeinsam aufgeräumt.]

Wie ging es euch damit?
Susanne: Ich fand diese Aktion sehr erniedrigend und konnte nicht fassen, dass wir Schüler die Schule putzen mussten.
Tobias: Dann gab es noch Kerzen-Sitzkreise, bei denen man den rechten Platz für den Schutzengel freilassen musste. Der ganze Unterricht ging den Bach runter. Stattdessen hatten wir Lehrermangel, Widerstandsfreie Zone, Unterbeschäftigung, weil alle Klassen gemeinsam unterrichtet wurden, ausgefallene Projekte und diese komischen „Reinigungsgespräche".
Viktoria Meyer: Das Skurrilste war aber, als mein Schal diagnostiziert wurde: Eine Beraterin der Schulleitung, die selbst täglich anwesend war, teilte mir mit, dass mein Schal besessen wäre Meine Haare wären auch „besetzt"—jedoch „ohne Dämon", was auch immer das bedeutet. Mein Schal wurde daraufhin mit kreisenden Bewegungen einer Feder gereinigt und ich sollte ihn sofort waschen und dazu ein „15-minütiges Vollbad kopfüber mit Salz" nehmen.

[Auf Nachfrage bestätigt die Schulleiterin, dass es eine „Expertin" gäbe, die sich mit solchen Inhalten auskenne. Salz sei aber nicht verteilt worden. Sie fände es hingegen ganz normal, dass man mal ein Räucherstäbchen oder eine Kerze anzündet. Den besessenen Schal habe es auch nicht gegeben. Das sei sichtlich erfunden und ihr zumindest nicht bekannt. Früher habe es außerdem nie Beschwerden gegeben.]

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Geht das überhaupt, kopfüber baden?
Viktoria: Ich habe das nicht ausprobiert. Ich weiß nur, dass das ganze Salz in der Schule die Luft so trocken gemacht hat, dass unsere Stimmen, unser schauspielerisches Kapital, darunter litten. Uns wurde geraten, einfach mehr zu trinken.

Was habt ihr unternommen?
Tobias: Wir haben alle Beweise in mehreren Ordnern gesammelt und sind auf Medien und Politik zugegangen. Wir haben auch eine Pressekonferenz veranstaltet. Trotzdem trafen wir bis heute nur auf verschlossene Türen und Ohren. Also blieb uns nichts anderes übrig, als mit Hilfe der gekündigten Lehrer zu versuchen, den Unterricht so normal wie möglich weiter zu führen und zumindest die Abschlüsse zu Ende zu bringen. Zwei von vier haben es bisher geschafft. Fast alle Schüler sind mit uns in den Streik getreten. Wir zogen an den Stadtrand in eine Location der Pfarre Arzl. Wir waren wie eine Art Dumbledore's Army.

Was habt ihr jetzt vor?
David: Wir haben schon viel versucht. Große Medien haben uns als irrationale Aufständler hingestellt. Die Verantwortlichen in der Politik haben uns nur geraten, einen neuen Verein zu gründen, was wir auch taten—fördern wollten sie aber nur eine, nämlich die alte Schule. Xenia, Tobias und der stellvertretende Schulleiter Frank Röder mussten sich auch Anwälte holen, Frank wurde mit Klage gedroht. Mit dem endgültigen Förderungsstopp hat das jetzt ein Ende.
Tobias: Wir wollen am Ende des Tages nur, dass die Leute verstehen, dass zu einer Geschichte immer zwei Seiten gehören. In einer Demokratie sollte man sich die Regeln nicht einfach so hindrehen können, wie man sie braucht.
David: Vielleicht schreiben wir ja ein Stück über die ganze Sache. Viel mehr wird uns nicht übrig bleiben. Aber wir hätten natürlich auch gerne das alte Schulgebäude zurück.

Wie sieht die Situation heute aus?
David: Durch den Förderungsstopp muss die Schulleiterin wahrscheinlich Konkurs anmelden—das berichtete auch die Tiroler Tageszeitung. Aktuell gibt es fast keine Schüler mehr, obwohl im Sommer überdimensional viele Erstklässler aufgenommen wurde. Und auch fast keine Lehrer. Unterdessen steht eine völlig intakte, professionelle und renommierte Schauspielschule in heruntergekommenen Proberäumen am Stadtrand bereit.

[Laut dem Subventionsgeber Land Tirol hat sich die Zahl der Schüler von 33 im Jahr 2014/15 auf 12 im Jahr 2015/16 reduziert; was einer der Gründe für die Streichung der Fördergelder gewesen sei.]