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Ich war bei einem Pick-up-Artist-Seminar für Frauen

Laut den Veranstaltern ging es dabei mehr um „persönliche Selbstbestimmung" als um das Aufreißen von Männern. Bei den verschiedenen Programmpunkten war das jedoch nur schwer zu glauben.
oto: Matthew Husseys Facebook-Seite

Du kannst von Pick-up-Artists halten, was du willst (entweder sind sie für dich harmlose Idioten mit beschissenen Kopfbedeckungen oder aber die Plage eines jeden belebten Ortes), aber man kann mit Sicherheit sagen, dass Frauen in diesem ganzen PUA-Milieu doch eher fehl am Platz sind. Frauen haben im Großen und Ganzen nur wenig Interesse daran, irgendwo außerhalb der gängigen Party-Locations herumzulaufen und Passanten aufgrund ihrer Schuhe in ein Gespräch zu verwickeln. Wir sind stattdessen eher diejenigen, mit dummen Sprüchen und schlechten Anmachen zu kämpfen haben.

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Als ich schließlich über einen Groupon-Deal für eine Veranstaltung namens „Get the Guy" stolperte, fragte ich mich natürlich, ob es sich dabei wirklich um das seltene weibliche Gegenstück handelte. War das wirklich das, wonach es klang? Ein PUA-Einstiegskurs für Frauen—eine umgekehrte Version der männlichen „Verführungsgemeinschaft", komplett mit kessen Schals und vorgespielten Analysen der Handfläche?

Ich schrieb einem Mitglied des „Get the Guy"-Teams eine Mail und bekam folgende Antwort: „Get the Guy ist kein Pick-up-Artist-Werkzeug oder -Wegweiser. Wir konzentrieren uns beim Erreichen unserer Ziele viel mehr auf Selbstverbesserung und Selbstbestimmung." Wenn es bei dem angepriesenen Ziel jedoch nur darum geht, „den idealen Mann zu finden, anzulocken und an sich zu binden", dann muss es doch trotzdem gewisse Gemeinsamkeiten geben—immerhin basieren beide Arten der Lehrgänge auf der Vorstellung, dass man das erfolgreiche Verführen einer ausgewählten Person auf ein Vier-Schritte-Programm herunterbrechen kann.

Munchies: Im Gespräch mit einem Sugar Daddy über das Ausführen von Sugar Babys

Da mich diese „persönliche Selbstbestimmung" mit dem Groupon-Deal nur sieben Pfund kosten würde, entschied ich mich dazu, an der Veranstaltung teilzunehmen. Ich wollte herausfinden, ob mir das Ganze wirklich dabei helfen könnte, mir beim nächsten Barbesuch einen Typen zu angeln.

Und so fand ich mich zusammen mit 200 anderen Frauen für neun Stunden im stickigen Tagungsraum eines Holiday Inns wieder—dabei schienen meine Mitmenschen einen viel glücklicheren Eindruck zu machen als ich.

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Matthew Hussey, der Begründer von Get the Guy, fing einst als Dating-Coach für Männer an, wechselte dann im Jahr 2008 jedoch ins Frauenlager. Mit noch nicht mal 30 Jahren ist er eine Art Motivationstrainer-Wunderkind und arbeitet neben seiner Tätigkeit bei Get the Guy auch noch als Life-Coach. Er ist Mitautor eines Bestsellers, trat als „Liebesexperte" in der Today Show auf, war auch sonst unzählige Male im Fernsehen zu sehen und wurde so zum selbsternannten „neuen internationalen Guru der Date- und Beziehungs-Coaching-Szene."

Oder wie es sein Fangirl Eva Longoria ausdrückt: „Matthew ist ein Genie und die Welt muss an seinen magischen Fähigkeiten teilhaben."

Leider ließ Matthew im Zuge seiner US-Tour gerade Dallas und San Diego an besagten magischen Fähigkeiten teilhaben und konnte deshalb nicht in London sein. Get the Guy ist jedoch überraschenderweise ein Familienbetrieb und sein Vater Steve Hussey nahm stattdessen die Zügel in die Hand.

Ich wollte herausfinden, welche Art Frau an einer solchen Veranstaltung teilnimmt und ob es eine übergreifende Charakteristik gibt, auf die man achtgeben muss. Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, erschienen mir alle Teilnehmerinnen jedoch ganz normal. Es lag ein fast greifbares Gefühl der Aufregung sowie der Geruch von verdunstendem Dove-Deodorant in der Luft, was wohl dem Versprechen der Website geschuldet war, dass „dein Liebesleben innerhalb von nur einem magischen Tag komplett auf den Kopf gestellt wird."

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Steve Hussey ist ein fesselnder und charismatischer Redner, der genau weiß, wie er mit dem Publikum umgehen muss. Dazu steht er noch total auf merkwürdige „Energieschub"-Gimmicks. Im Verlauf des Seminars boxte ich nicht nur mit einem „Sparta!"-Schrei in die Luft oder führte im Gang einen ungeschickt wirkenden Tanz auf, sondern machte auch bei einer 200-Frau-Schultermassage-Runde mit, während im Hintergrund das Lied Uptown Funk aus den Boxen dröhnte.

Nachdem Steve die drei hauptsächlichen Beziehungshürden für Frauen herausgearbeitet hatte (nämlich unsere Unfähigkeit, einen Mann zu finden, anzulocken oder an uns zu binden), wies er uns an, eine Partnerin zu finden und ihr dann zu erzählen, was unserer Meinung nach unser Problem wäre. Meine Partnerin Emily* meinte, dass ihr Problem beim Binden des Mannes läge, denn all ihre Beziehungen scheinen nach nur wenigen Monaten zu scheitern. Anstatt auf ein Fehlverhalten ihrerseits hinzuweisen, erwiderte ich, dass sie vielleicht immer nur an die falschen Typen geraten würde, aber das überzeugte sie augenscheinlich nicht wirklich.

Nachdem wir unsere persönlichen Makel analysiert hatten, kümmerte sich Hussey persönlich um ausgewählte Frauen im Publikum. Chloe wollte wissen, warum sich die Männer nach dem zweiten Date nicht mehr für sie interessierten; Lucy meinte, dass ihr zwar schon vier Heiratsanträge gemacht worden wären, sie aber noch nie eine wirkliche emotionale Verbindung verspürt hätte; Anneka behauptete, dass ihr letzter Flirt versucht hat, ihr Haus niederzubrennen. Hussey fasste ihr Problem ganz einfach zusammen und schrieb „FINDET SCHEISSKERLE ATTRAKTIV" in seinen Notizblock.

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Trotz des ganzen „Hierbei handelt es sich nicht um ein Pick-up-Artist-Seminar"-Bullshits legte Hussey uns nahe, die Oxford Street auf- und abzugehen und dabei Männer mit einstudierten Sprüchen in ein Gespräch zu verwickeln. Er sagte, dass das Aufreißen von Männern nicht nur in Bars stattfinden würde. Selbst alltägliche Dinge wie der Lebensmitteleinkauf können als Flirt-Möglichkeit angesehen werden.

Wir wurden sogar tatsächlich dazu aufgefordert, ständig in „Alarmbereitschaft" zu sein und jedes Mal, wenn wir das Haus verlassen, perfekt auszusehen. Für mich klingt das nicht wirklich nach einen Erfolgsrezept, sondern eher nach einem Vorboten von ziemlich schlimmen Angststörungen. Aber Hussey findet es eben nicht logisch, beim Einkauf von Damenbinden nur Jogginghosen zu tragen, wenn man sich doch auch ein bisschen aufbrezeln und während der Besorgung einen neuen festen Freund finden kann.

Als wir am Punkt „Sex und Bindung" ankamen, war es keine wirkliche Überraschung, dass man laut der Husseyschen Verführungslehre den Sex hinauszögern soll, um eine Bindung zu erreichen. Ich muss jedoch zugeben, dass diese Taktik schon irgendwie Sinn ergibt—wenn man mal annimmt, dass der gewünschte Mann total unsicher ist und man kein Problem damit hat, ihn durch Verweigerung jeglichen Körperkontakts vorsätzlich dahingehend zu manipulieren, dass er bei einem bleibt.

Hussey gab zwar auch viele nützliche Ratschläge (bei denen es meistens um die Ausstrahlung von viel Selbstwertgefühl ging), aber alles war trotzdem von einem unangenehmen unterschwelligen Gefühl des Hardline-Gender-Essenzialismus durchzogen. Seine Aussagen schienen auf eine Welt zugeschnitten zu sein, die mir fremd ist und in der sich Männer und Frauen einzig und allein mit ihresgleichen sozialisieren—Männer reden nur über Fußball, Bier und Frauen; Frauen reden nur über Wein, ihren Intimbereich und Gemüse-Smoothies. In dieser Welt haben Männer in keinem Fall genug mit dir gemeinsam, um eine normale Freundschaft aufzubauen. Sie sind dein Feind und du musst sie erlegen, die Leichen dann in dein Schlafzimmer schleifen und sie dort anschließend mithilfe gerissener Gefühlstaktiken für immer festhalten.

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Caroline, Vikki und Harriet

Beim Mittagessen plauderte ich mit Caroline, Vikki und Harriet—drei Freundinnen Mitte 20, die nicht mal halb so zynisch drauf waren wie ich. Caroline hatte nach der Trennung von ihrem Freund bereits letztes Jahr an einem „Get the Guy"-Seminar teilgenommen, wo sie auch auf Vikki traf. Vikki war damals gerade frisch nach London gezogen und wollte bei der Veranstaltung eigentlich eher neue Leute kennenlernen. Harriet hatte von den ganzen Internet-Dates die Nase voll und wurde durch Carolines Lobeshymnen neugierig gemacht.

Ich war erstaunt davon, wie groß das Wiederholungsgeschäft von Get the Guy zu seien scheint—viele der Teilnehmerinnen meinten, bereits ein zweites oder drittel Mal dabei zu sein, um auf den neuesten Stand zu kommen. Offensichtlich gibt es einen beachtlichen Markt für auf Frauen ausgerichtete Dating-Seminare und als Marktführer hält Get the Guy natürlich alle Trümpfe in der Hand.

Dabei wird auch die Treue des Publikums ausgenutzt, um ein Verkaufsangebot einzustreuen. Auf der Website von Get the Guy werden „Urlaube" angeboten: Fünf Tage in Florida oder San Diego, bei denen nicht nur deine Auswahl potenzieller Beziehungskandidaten, sondern gleich dein ganzes Leben umgekrempelt werden soll. Was auf der Website allerdings nicht genannt wird, ist der Preis: allein schon 2500 Pfund für den Urlaub an sich, plus 63 Pfund pro Nacht für das Hotelzimmer. Ich glaube jedoch, dass diese Zahlen weniger unverschämt erscheinen, nachdem die Husseys in der Glut deiner romantischen Träume herumgestochert haben.

Nach dem Ende der Veranstaltung hatte ich eigentlich vor, beim nächsten Bäcker vorbeizuschauen und einen der Sprüche auszuprobieren, den wir über Blaubeer-Muffins gelernt hatten. Dann fiel mir jedoch wieder ein, dass ich das erstens nicht als „selbstbestimmend" ansehe, ich zweitens gar keinen Muffin wollte und ich drittens absolut null Interesse an einem Typen hätte, der gerne belanglose Gespräche über Backwaren führt. Somit waren meine Chancen gleich wieder zunichte gemacht. Falls du dich als Mann allerdings zufällig in der Nähe unseres Holiday Inns aufgehalten hast, dann hattest du an diesem Abend bestimmt mehr Glück als ich.

*Einige Namen wurden geändert