Die ZHdK hat Therapien für moderne Essstörungen designt

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Die ZHdK hat Therapien für moderne Essstörungen designt

Der moderne Mensch is(s)t unaufmerksam und hat den Bezug zum Essen verloren. Die ZHdK ist sich dessen bewusst und versuchte, dem mit Therapien entgegenzuwirken.

Alle Fotos von Vera Franke und Eva Wandeler

Der moderne Mensch isst nicht bewusst. Er stopft das Essen in sich hinein, weil er an chronischer Zeitknappheit leidet oder er isst gar nichts. Den Geschmack des Essens, dessen Konsistenz und Finessen, nimmt er nicht mehr wirklich wahr. Wenn wir von bewusster Ernährung sprechen, meinen wir nicht die Bewusstheit während des Prozesses, sondern die Auswahl und Integration von Lebensmitteln in unseren Lebensstil.

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Das neue Ernährungsbewusstsein sind Veganismus, Dukan Diät und Bio. Das Essverhalten hat sich zu einer Art Wertesystem entwickelt, die Redewendung „Du bist, was du isst" ist niemals aktueller gewesen. Das gilt aber nur in Zivilisationen wie der unseren, wo man überhaupt die Wahl hat, manche Lebensmittel aus dem Ernährungsplan zu streichen—beziehungsweise in Zivilisationen, wo es überhaupt so etwas wie einen Ernährungsplan gibt. Aber warum widmet sich die ganze Essensdebatte eigentlich nicht dem Moment des Essens an sich?

Wann hast du das letzte Mal beim Essen innegehalten und dich am Geschmack ergötzt, alles um dich herum vergessen und nur … gegessen? Auch die Nahrungsbeschaffung hat entfremdende Formen angenommen. Erdbeeren pflücken wir immer seltener direkt aus dem Garten und immer häufiger aus dem Migros-Regal. An der ZhdK nahm man sich der steigenden Pathologisierung des modernen Essverhaltens an. Studenten des Studienganges „Vermittlung von Kunst und Design" organisierten anlässlich des Moduls „Zu Tisch" ein Food Sanatorium, wo man sich als ZhdK Student „therapieren" lassen konnte. Der Schwerpunkt lag auf verschiedenen Ernährungskulturen, die vom Prinzip der Selbstoptimierung bis zu dem der Selbstvernachlässigung reichen. Nach dem Ausfüllen eines Fragebogens wurde man in eine von insgesamt vier Gruppen eingeteilt, die eines der vielen Probleme des Essens zum Bewusstsein bringen wollte.

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Bong Appetit: Making Mahjoun with Ice-Water Hash

Die Studenten nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. Sie trugen Ärztekittel und begrüssten ihre Patienten förmlich. Im Eingangsbereich des Zimmers rauschte Lounge Sound wie in einer Klinik für wohlständige Drogensüchtige und es wurden Smoothies mit einem grosszügigen Schuss Wodka serviert. Zur Auflockerung.

Dort plauderten die Patienten und rätselten darüber, was hinter den suspekt klingenden Namen wie „Alles im Griff" stehen könnte. Ich wurde in die Gruppe „Sammelt euch!", eingeteilt. Dort ging es darum, wieder zum Ursprung der Nahrungsbeschaffung zu gelangen. Von der Decke hingen weiss-lackierte Äste, von denen man aus zusammengefalteten Blättern Snacks pflücken konnte. Ausserdem waren in drei Erdhaufen (Regenwürmer inklusive) Weinflaschen, Pommes und ein ganzes Poulet gebacken in Ton vergraben.

Ebenfalls angeboten wurde die Welterschleckungstherapie, welche unübertreffbare, akrobatische Zungentechniken, die Wiedererlangung der Sprache, Lust am Genuss und die Rückführung zum Urmund garantiert. In der Thanksgiving-Therapie ging es darum, sich dem Überfluss und Reichtum zu widersetzen und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Ausgesucht wurden Menschen im Kaufrausch, die einen bewussteren Umgang in ihrer Ernährung wünschen. In der „Alles im Griff"-Gruppe kam man in den Genuss einer Stabilisierungstherapie. Eingeteilt wurde, wer mit seinen Essgewohnheiten vollständig im Reinen war.

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Das Highlight meiner Therapie waren das Poulet im Ton sowie die vier exquisiten Weine, die beim Graben aus der Erde hervorkamen. Bewusster gegessen habe ich tatsächlich ein bisschen, gehalten hat das aber nicht lange. Schlussendlich habe ich mich doch wieder bei Mc Donalds Food und Stressstopfen erwischt.

Nora auf Twitter: @nora_nova_

ViceSwitzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland

"Alles im Griff"

"Sammelt euch!"

"Thanksgiving"

"Welterschleckung"