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Was ich in zwei Jahren als Medienbeobachterin gelernt habe

Fürs Fernschauen bezahlt zu werden, klingt besser als es ist. Eigentlich ruiniert es dir eins deiner Lieblingshobbys und du bekommst Einblicke, die du nie haben wolltest.
Screenshot aus "A Clockwork Orange", via The Soul of the Plot

"Regenbogenfarben bei Intimfrisuren—der Trend aus den USA." Und: "Mit diesem Trick erkennst du ganz einfach im Urin deines Partners, ob er dich betrügt." Verblödende Schlagzeilen wie diese habe ich mir zwei Jahre lang als Medienbeobachterin acht Stunden täglich anhören dürfen. Medienbeobachtung, das ist so ein Job, den man nur kennt, wenn man zufällig selber reinrutscht. Aber das ist nicht schlimm, denn wirklich empfehlen kann ich die Branche sowieso nicht.

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Einen intensiveren Medienkonsum als die Menschen, die in Medienbeobachtungsagenturen arbeiten, hat wohl kaum jemand. Wobei bei dem Wort "Konsum" viel zur sehr Genuss mitschwingt. Was es nicht ist. Denn auch, wenn das alles entspannt klingen mag, gibt es da ein paar zusätzliche Umstände, die das Geld durchaus rechtfertigen—auch wenn man es für eine Sache bekommt, die die meisten genüsslich nach der Arbeit machen. Glaubt mir: Ihr wollt nicht tauschen. Und zwar aus diesen Gründen:

Weil du alles im Schnellvorlauf konsumierst

Zuerst mal schaut man nicht einfach fern oder hört ganz entspannt Radio. Man tut beides bei doppelter Geschwindigkeit. Anders würde man mit der Arbeit nämlich nicht nachkommen. Wenn man sich an Roman Rafreider in schnell gewöhnt hat, wird man verdammt ungeduldig, wenn man sich den Moderator privat doch mal in normalem Tempo anschaut. Auch Radio bei normaler Geschwindigkeit ist dann etwas ermüdend.

Das gilt ganz generell: Privater Medienkonsum wird durch den Job schwierig. Man wird auf die Stichworte getrimmt, auf die man während der Arbeit achten muss und ist ständig nur auf der Suche nach Kunden, die in den Nachrichten vorkommen. Genau genommen kann man nur noch Sender hören, die man nicht beruflich konsumieren musste—was bedeutet, dass nur Teleshopping-Kanäle oder Bob Ross – The Joy of Painting übrigbleiben. Auch nicht so übel, eigentlich.

Weil du nicht einfach wegschalten kannst

Nicht die Medienbeobachterin, Foto: islandjoe | flickr.com | CC by 2.0

Der Binge-Medienkonsum geht manchmal auch aufs Gemüt. Besonders schlimm war es für meine KollegInnen und mich im Frühherbst 2015—damals, als sich innerhalb weniger Wochen Tausende hilfesuchende Menschen auf den Weg nach Österreich und ganz Europa machten und viele Medien nicht so recht zu wissen schienen, wie sie mit der Flüchtlingsbewegung umgehen sollen. Während sich andere bei intensiver Kriegs- und Terrorberichterstattung von (traditionellen) Medien abwenden, ist das für MedienbeobachterInnen natürlich keine Option.

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Und wenn dich der Job nicht gerade traurig macht, dann macht er dich in solchen Zeiten zumindest aggressiv. KroneHit oder W24 in Dauerschleife hören oder sehen könnte auch mal in Guantánamo eingesetzt werden—wer diese Sender zu lange gebinget hat, endet nicht selten wahlweise hysterisch lachend oder nervös wippend und komplett desillusioniert in der Fötusstellung unter dem Schreibtisch.

Weil du regionale Nachrichten schauen musst. Viele. Regionale. Nachrichten.

Über die österreichische TV- und Radiolandschaft habe ich so einiges gelernt in den letzten zwei Jahren. Mein sehr subjektives Resümee:

Im Zuge meiner Arbeit sind mir alle neun Bundesländer befremdlich nahegekommen. Zu verdanken ist das den wunderbaren Bundesländerradios des ORF. Die Ö2-Sender haben nämlich ohnehin nur gefühlt 25 verschiedene Meldungen und diese lassen sich schnell mit einem einfachen Bullshit-Bingo abklären.

Die Chancen auf "Steirer in Steirerjanker essen steirische Schmankerl", "Das naturverbundene Leben in den Alpen ist hart, aber schön", "Pröll ist zufrieden mit den Veranstaltungen in Pröllistan", "Salzburg mag keine Bettler" oder "Für einen Kärntner gilt die Unschuldsvermutung" waren schon sehr hoch. Schnell kommt man drauf, dass jedes Bundesland seine Eigenheiten hat: Klagenfurt ist die Crime City, in Salzburg gibt es ständig Schlägereien und Linz geht es drogentechnisch anscheinend so wild zu, dass ich mich als Wienerin nicht hin trauen würde.

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Zu Pröll in den Medien ließe sich freilich ein eigener Artikel—und wahrscheinlich eine ganze Doktorarbeit—schreiben. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern lässt sich jedenfalls sagen: Entweder es gibt acht Onkel-Erwin-Doppelgänger, die tagtäglich ausgeschickt werden, um bei jeder Schulaufführung wenig beeindruckten Klassenvorständen die Hände zu schütteln und bei Eröffnungen eines Schnitzel-Drive-Ins schmatzend in die Kamera zu lächeln; oder aber alle anderen Landeshauptmänner können sich von Pröll in Sachen "Partyleben" so manches abschauen.

Dennoch: Regionalradios sind immer noch erträglicher als die meisten heimischen Privatradiosender. Was KroneHit und Radio OE24 als "News-Update" bezeichnen, ist meistens ungefähr so journalistisch wertvoll wie 9Gag—eh lustig, aber halt nicht nachrichtentechnisch relevant. Da geht's dann eher um die neuen Trends bei Achselbeharrung, Riesen-Pythons, die kleine Kinder in Florida durch Zufall immer ausgerechnet beim ersten Klo-Gang entdecken, oder peinliche Sexunfälle auf Charterflügen.

Weil Frühstücksfernsehen zu absurd ist, um von Menschen geschaut zu werden.

Besonders verhasst bei MedienbeobachterInnen ist Frühstücksfernsehen—nicht nur, weil es bis zu vier Stunden dauert und sich alles ständig wiederholt, sondern auch, weil die Sendungsverantwortlichen dem Publikum in der Früh generell noch weniger zutrauen, als sonst schon.

Heuer wurde der Reigen des morgendlichen Grauens noch durch Guten Morgen Österreich, dem ORF-Frühprogramm, geschlossen. Und das wartet mit einigen Absurditäten auf: Wer kam zum Beispiel auf die Idee, dass es cool ist, mit einem mobilen Studio durchs Land zu fahren und von irgendwelchen faden Dorfplätzen, die die Hälfte der Sendezeit ausgestorben und dunkel sind, zu senden?

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Dabei hat es keine Sendung so konsequent geschafft, die uninteressantesten Menschen Österreichs vor die Kamera zu holen, wie Servus Krone. Da werden dann in aller Länge burgenländische Ehepaare, die Sessel aus Kukuruz-Resten basteln, Zwillingsschwestern in ihren 40ern mit einer Vorliebe für Teddybären oder schrullige Eisenbahnsammler aus dem Lungau porträtiert. Nicht irgendwie charmant und konfliktreich, wie man es aus Sendungen wie Alltagsgeschichten kennt, sondern einfach nur fad. Weil es anscheinend die Aufgabe von Frühstücksfernsehen ist, sogar aus Teddy-Zwillingen und Kukuruz-Verehrern pure Fadheit zu destillieren.

Weil der TV-Nachmittag aus Tieren, Titten und Toten besteht

Natürlich könnte man auch fragen, worüber ich mich hier eigentlich beschwere, wo doch jedes denkende Wesen weiß, dass Fernsehen einfach nichts für Menschen meines Alters ist. TV ist eben für die Generation 60 plus gemacht, die anderen schauen Netflix.

An der Uni habe ich gelernt, dass Boulevard-Fernsehen aus den drei Ts—Tiere, Titten, Toten—besteht. Und das kommt hin. Vor allem das Nachmittagsfernsehen folgt einem fixen Schema: Zuerst der tägliche Dachstuhlbrand, dann ein niedliches Tier zum Herz erweichen, das von einer besorgten Pensionistin aufgezogen wird, und als Abrundung noch ein bisschen "Law und Order" beim Bügeln in der Form eines aktuellen Gerichtsfalls. Das dritte T findet man ganz sicher im deutschen Privatfernsehen.

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Dazu gibt es immer abstruse Studiogäste: Beziehungsexperten erklären, wie man den Weihnachtsbaum gemeinsam stressfrei schmückt; Nahost-Kennerin Kneissl darf ihre Hormontheorien erklären; Lieblingsdoktor Meryn gibt Binden-Tipps bei Blasenschwäche.

Auf die Haben-Seite kann man dafür setzen, dass bei der 45-Minuten-Sendung Heute Mittag längere außenpolitische Themen mehr Platz haben. In der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes um 19:30 Uhr acht müssen da oft 40 Sekunden reichen.

Weil es um nichts geht als Live und Eigenwerbung

Das Privatfernsehen steht dem natürlich um nichts nach. Bei Puls 4 ist immer Verlass auf eines: Wenn irgendwo in der Welt was passiert, dann findet der Sender irgendeine/n ÖsterreicherIn für ein Skype-Gespräch und der Aussage: "Achso, ja voll, ich hab' das auch/bissi/urnicht mitbekommen." Danke für diesen informativen Mehrwert. Hauptsache live dabei.

Beim Stadtsender W24 ist eine differenzierte Analyse angebracht. Natürlich unterliegt W24, ein Unternehmen der Wien Holding, als privater Kanal nicht dem Objektivitätsgebot eines öffentlichen-rechtlichen Senders. Aber irgendwie ist es trotzdem schwierig, das Programm für voll zu nehmen, wenn fast ausschließlich über Premieren an den Vereinigten Bühnen (Wien Holding), den Wiener Hafen (Wien Holding), Konzerte in der Stadthalle (Wien Holding) und Events am Rathausplatz (SPÖ) berichtet wird. Und dazu muss dann immer ein SPÖ-Stadtpolitiker was sagen. Auch wenn sichUlli Sima & Co. bei scheinpolitischen Events besonders gut anstellt, irgendwann reicht es auch.

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Weil Medienbeobachtung wie Blitz-Prüfung-Lernen ist

Das alles ist natürlich Jammern auf hohem Niveau. Ja, ich konnte auch eine Stunde Radiokolleg hören, Weltjournal schauen und andere spannende Diskussionssendungen in der Arbeitszeit konsumieren. Die naheliegende Einschätzung von Medienbeobachtung als einen Job, bei man immer top informiert ist, liegt aber trotzdem daneben.

Wenn man mich nach der Arbeit gefragt hat, was heute so los war, hatte ich meistens absolut keine Ahnung. MedienbeobachterInnen geht es zirka so wie Studierenden, die einen Tag vor der Prüfung anfangen zu lernen: Alles schnell reinstopfen, um es dann geradeaus auszukotzen und danach sofort wieder verdrängen. Man schafft die Prüfung zwar, aber es ist auch verdammt ekelhaft. So wie Intimfrisuren in Regenbogenfarben.


Titelbild: Screenshot aus "A Clockwork Orange", via The Soul of the Plot