So bekommt Snowden doch noch Asyl in Deutschland

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So bekommt Snowden doch noch Asyl in Deutschland

Seit gestern ist es offiziell: Edward Snowden darf als Zeuge nach Deutschland geladen werden. Wir haben mit seinem Anwalt und Bundestagsabgeordneten über die Folgen gesprochen.

Foto: imago | Future Image

Ohne ihn wären die Geheimdokumente der NSA nie öffentlich geworden. Ohne ihn hätte sich der deutsche Untersuchungsausschuss nie gegründet, der die Wahrheit über die Machenschaften des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts ans Licht der Öffentlichkeit bringen möchte. Ohne ihn hätte die Bundesregierung ein Problem weniger. Sein Name: Edward Snowden, Whistleblower, im russischen Asyl.

Bisher durfte ausgerechnet er nicht persönlich als Zeuge vor den Untersuchungsausschuss geladen werden. Doch gestern gab es eine Wendung, die die Fronten zwischen Opposition und Bundesregierung klären soll. Der Bundesgerichtshofs hat den Weg für eine Einladung des "Zeugen S" (wie er im Beschluss des BGH genannt wird) frei gemacht.

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Dass Snowden überhaupt als Zeuge angehört werden soll, da war sich der NSA-Ausschuss einstimmig einig. Schon seit 2014 steht das 'Wie' im Raum—per Skype-Interview oder doch live, in Berlin?

Snowdens Anwalt Wolfgang Kaleck sagte dazu gegenüber VICE: "Warum sollte Edward Snowden einer Video-Befragung aus Moskau zustimmen? Warum sollte er das tun? Der Ausschuss will ihn als Zeuge vernehmen, dann muss man sich auch bemühen, ihn her zubekommen. Es ist doch in unser aller Interesse, Licht in den NSA-Skandal zu bekommen."

Unser Interview mit Edward Snowden seht ihr hier.

Eines der Gegenargumente der Regierung, mit dem sie dem Whistleblower einen Besuch in Deutschland verweigern will: Man könne seine Sicherheit in Deutschland nicht gewährleisten, er sei ein von den USA gesuchter Verbrecher.

Die Frage, die nun im Raum steht: Was passiert, wenn er tatsächlich geladen wird. Würde Snowden überhaupt nach Russland zurückkehren können?

Ein weiteres Faktum, das gegen eine Snowden-Einladung nach Berlin spräche: die Wahl des ultrakonservativen Bald-Präsidenten Donald Trump.

Das vermutete auch Martina Renner von den Linken und Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss in einem Gespräch mit VICE: "Verändert sich die außen- und innenpolitische Situation nach Trump? Ich denke, ja. Wird sein Aufenthalt in Russland unsicherer? Ich denke ebenso: ja."

Im Mai 2014 hatte die Opposition fraktionsübergreifend den Beschluss gefasst, Snowden als Zeugen zu hören. Normalerweise wird der Zeuge geladen und die Politiker führen die Befragung durch. In diesem Fall habe die Große Koalition die Vorladung jedoch von vornherein sabotiert, sagt Martina Renner von den Linken, so dass sich der gesamte Prozess sehr lange, über 1,5 Jahre, hingezogen habe.

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Der Beschluss besagt: Snowden darf von den Oppositionsvertretern im Ausschuss nun offiziell als Zeuge geladen werden. Die Vertreter der Regierungsparteien können dieser Vorladung nicht widersprechen und eine Enthaltung würde als Zustimmung gerechnet werden. Die Ladung soll in der nächsten Sitzung des Ausschusses diesen Donnerstag verfasst werden, dessen ist sich zumindest Martina Renner sicher.

Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, teilt nicht die Meinung der Ausschuss-Kollegin Renner und äußerte Bedenken gegenüber VICE: "Es gibt zwei kritische Punkte in Bezug auf die Rechtssicherheit, die man bei dem BGH-Beschluss in Frage stellen kann." Konkret gehe es um das Mehrheitsrecht bei Abstimmungen. Es gebe, so Sensburg, die Möglichkeit, Beschwerde gegen den Beschluss des BGHs einzureichen. Darüber werde der Ausschuss in seiner kommenden Sitzung am Donnerstag sprechen.

Snowdens Anwalt Wolfgang Kaleck erkennt hier folgendes Problem: "Im Untersuchungsausschuss gibt es natürlich Interessenkonflikte, da siegt Parteiraison über Aufklärungsinteresse." Wenn die Bundesregierung gegen eine Snowden-Einladung ist, gilt dies dann auch für die Ausschuss-Mitglieder aus den Regierungsparteien? Anwalt Kaleck sagt: Ja. "Das ist fatal und darf natürlich nicht sein. Es dürfte keinen Zweifel daran geben, dass Edward Snowden allerbestens dazu geeignet ist, dem NSA-Ausschuss als Zeuge zur Verfügung zu stehen."

Nun unterliegt die Bundesregierung der Amtshilfepflicht und das Justizministerium muss prüfen, ob Snowden in den USA Gefahr droht und ob er Auslieferungsschutz hat. Wenn ja, müssen auch die nachfolgenden Prozeduren geklärt werden, also wie mit ihm verfahren werden kann, ohne dass er ausgeliefert wird.

Martina Renner geht davon aus, dass die Bundesregierung die Ladung auch weiterhin aus Angst vor möglichen diplomatischen Folgen mit den USA blockieren wird. "Aber wir können da politisch und diplomatisch selbstbewusst gegenhalten. Wir könnten nämlich auch verstimmt sein. Wegen des NSA-Leaks und der zahlreichen Dokumente, die Snowden veröffentlichen konnte. Wir könnten auch verstimmt sein, weil die Kanzlerin und die deutsche Presse abgehört wurden."

Durch den Beschluss vom BGH ist es nun gut möglich, dass Snowden durch die Hintertür doch noch Asyl in Deutschland bekommt: Wenn er aus Moskau anreisen würde, und Russland ihn nicht zurück ließe. Ob dieses Szenario überhaupt durchgespielt werden kann, hängt von den kommenden Entscheidungen im NSA-Untersuchugsausschuss ab. Asyl für Snowden oder detaillierte Rechtsstreitigkeiten: Auf diese beiden Möglichkeiten wird es hinauslaufen.