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'Bild', 'HuffPo', 'Russia Today': So verdrehen Medien die Wahrheit auf Facebook

Ein Viertel der von uns untersuchten Facebook-Posts großer Medien sind verzerrend oder falsch. Unsere Analyse zeigt: Die verschiedenen Medien gehen mit sehr unterschiedlichen Posting-Strategien vor.

"Man muss aufs Herz zielen – oder darunter." So beschreibt Jestin Coler sein Rezept zur Verbreitung von Falschmeldungen. Berühmt wurde er mit viralen, aber komplett erfundenen Geschichten; so wie der vom Feuertod eines FBI-Agenten, der mit einem ausgedachten Clinton-Skandal in Verbindung stehen sollte. Coler mauserte sich im US-Wahlkampf mit seinen gefakten Nachrichten zu einem der erfolgreichsten Produzenten von Fake News. Seine Meldungen wurden hunderttausendfach geklickt – und bescherten ihm ein stattliches Einkommen.

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Wie lukrativ eine Fake News-Seite sein kann, zeigt ein Interview des US-Radiosenders NPR: In dem Gespräch brüstet sich ein Betreiber damit, bis zu 30.000 Dollar im Monat durch Werbeeinnahmen einzusammeln. Es sind nämlich bei Weitem nicht immer politische Motive, die hinter der Produktion falscher Nachrichten stehen. Oft ist es schlicht wirtschaftliches Kalkül. Denn je mehr Klicks, desto mehr potentielle Werbeeinnahmen – das gilt auch für deutsche Nachrichtenseiten, wie unsere Recherche zeigt.

Wir wollten wissen, wie weit verbreitet Falschmeldungen und Halbwahrheiten bei größeren deutschen Medien sind. Deshalb haben wir sieben Nachrichtenseiten über einen Zeitraum von einer Woche untersucht: Bild, Epoch Times, Focus, Huffington Post, RT Deutsch, Spiegel, Sputnik – und außerdem als Teil der Kontrollgruppe auch VICE Deutschland.

Wir haben unsere Analyse direkt dort vorgenommen, wo sich Gerüchte tummeln und vermehren – auf Facebook. Ein Ergebnis unserer Verifikation von knapp 2.000 Facebook-Posts: Das Problem in Deutschland liegt nicht so sehr in hysterischen, komplett erlogenen Skandalen wie dem vor der US-Wahl Schlagzeilen machenden Pizzagate. Das Problem liegt vielmehr in sehr schlechten Nachrichten-Posts, die man nicht als ganz erfunden, aber auch nur höchstens als halbwahr bezeichnen kann. Zwischen einer Falschmeldung und der Wahrheit gibt es nämlich viele verschiedene Abstufungen: Zuspitzungen, verdrehte Zitate, Clickbait, Ungenauigkeiten und gezielte Manipulation.

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Unsere Datenanalyse zu Falschmeldungen auf Facebook liefert auch einen Einblick in die unterschiedlichen Strategien, die Medien auf ihren Facebook-Seiten nutzen, um ihre Artikel zu verbreiten. Längst nicht immer geht es dabei darum, das Publikum zu informieren, oft sollen auch einfach Reaktionen provoziert werden. Hier unser Überblick über die Strategien aller acht Nachrichtenmedien. Sortiert haben wir sie in der Reihenfolge der Medien, die in unserer Untersuchung die meisten Posts aus den Kategorie B und C (also 'na ja' und 'falsch') veröffentlicht haben.

Allen sieben externen Redaktionen haben wir im Vorfeld unserer Veröffentlichung die Rechercheergebnisse mit Bitte um Stellungnahme sowie jeweils einige beispielhafte Posts des jeweiligen Mediums geschickt, die wir als Falschmeldung oder extrem irreführenden Post klassifiziert haben. Dort, wo sich die Redakteure zu den Ergebnissen geäußert haben, haben wir Ihre Antworten in diesem Text an der entsprechenden Stelle eingefügt. Sollten wir nach der Veröffentlichung noch Rückmeldungen erhalten, werden wir diese hier ergänzen.

Weglassen, Umdeuten und Erfinden: Wie 'RT Deutsch' auf Facebook Politik macht

"Mehr fragen"

Facebook-Fans: 308.306
Reichweite der Website: 4,68 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 253

Eine Falschmeldung über Medien und die EU verbreitet sich auf Facebook bei RT Deutsch 14mal besser als eine wahre RT Deutsch-Meldung. Alle Illustrationen von Julia Weber

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Die wohl ausgefeilteste Social-Media-Strategie aller sieben der von uns untersuchten Medien setzt RT Deutsch ein. Viele Artikel der deutschen Ausgabe von Russia Today folgen eindeutigen Narrativen; wie zum Beispiel der vom moralischen, politischen sowie kulturellen Zerfall des Westens. Aus Russland wiederum vermeldet RT gern Verlautbarungen aus dem Außenministerium oder markige Aussagen direkt von Präsident Putin – und zwar isoliert und kritiklos. Für RT sind das Statements mit einem für sich stehenden Nachrichtenwert, auch wenn sie innerhalb eines öffentlichen Austauschs wie eines Gipfels gefallen sind.

Reaktionen anderer Politiker oder Experten auf diese Äußerungen werden auch in den Artikeln hinter den Facebook-Posts nie verlinkt und nur in den seltensten Fällen überhaupt erwähnt. Ein Beispiel, bei dem diese Taktik deutlich wird, ist die folgende Überschrift: "Russland an USA: Wollen sie [sic!] nicht gegen IS und Al-Nusra kämpfen, dann stören Sie wenigstens nicht." Dass es sich hier um einen Schlagabtausch im Rahmen eines Gipfels gehandelt hat, wird anhand der Copy nicht deutlich.

In eine ähnliche Kerbe schlägt eine andere RT-Taktik, die wir im Untersuchungszeitraum öfter beobachten dürfen: Es wird "vergessen", wenn eine Aussage eigentlich wörtliche Rede war, wenn es den Überzeugungen des Senders oder seines Herausgebers entspricht. So werden Aussagen von Einzelpersonen zu Fakten, indem man den eigentlich nötigen Konjunktiv ins Präsens verwandelt. Eine Facebook-Copy aus unserer Testwoche lautet: "Die Europäische Union ist in keiner Position, der #Türkei etwas zu diktieren, wenn es um den Kampf gegen #Terrorismus geht. Das sagte der türkische Präsident Recep Tayyip #Erdogan."

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Auch ohne Quelle funktioniert diese Strategie. In diesem Post mit extrem tendenziöser Copy wird nicht mehr über Andrea Nahles berichtet, sondern ihre Handlungen subjektiv kommentiert ("Nahles erklärt Statusakrobatik und Altersarmut zur Zukunft der Arbeit") – allerdings ohne Kennzeichnung. Maßlos überzogene und verleumdende Einschätzungen und Kommentare wie "Die Zerschlagung des Sozialstaats geht weiter" stehen in diesem Post in der Copy, als seien es Fakten und geben die Stimmung der Leser vor:

Screenshot: Facebook

Auf ein bestimmtes Ereignis hatte sich RT im Untersuchungszeitraum geradezu eingeschossen: Eine EU-Resolution über das Vorgehen gegen russische Desinformation. RT beackerte dieses Thema erschöpfend mit drei Livestreams und neun Posts in extrem scharfem Ton. Diese Posts wurden im Zeitraum unserer Untersuchung mit großem Abstand am meisten geteilt und zeigen eine weitere typische Strategie von RT: Eine im Vergleich zum sonstigen Geschehen der Woche wenig relevante Nachricht wird in viel mehr Artikeln und Posts verarbeitet, als ihr Nachrichtenwert eigentlich erwarten lässt.

Obwohl tatsächlich nur eine strategische Kommunikations-Task Force verstärkt wurde, die russische Desinformation in den Medien identifizieren und später in einem wöchentlichen Newsletter analysieren sollte, gelang es RT, enorme Reichweite zu erzielen, indem das Team das ganz große Presse- und Meinungsfreiheits-Fass aufmachte. Ganz so, als sei man selbst akut bedroht. Die Geschichte wurde so gedreht, als ob russische Medien in der EU verboten würden: "Kommt als nächstes die Bücherverbrennung?", sorgt sich RT in einem Post und verkündet gleich danach: "Moskau droht mit Vergeltungsmaßnahmen."

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Untermauert wird diese Mischung aus Bericht und Meinung von stets empörten Kommentatoren, deren schärfste Aussagen zur Facebook-Nachricht werden. Gäste, die der eigenen Linie des Europa-Bashings folgen, attestieren direkt nach Kreml-Sprecherin Maria Sacharowas Kritik an der Resolution bereitwillig: "Die EU ist ein psychisch schwer kranker Mann" – auch, wenn sich das Interview eigentlich um eine andere Resolution drehte. So wird auch durch die Nachrichten-Reihenfolge in der Timeline mehr oder weniger subtil Stimmung gemacht. Und um sich ein weiteres Mal am Thema Resolution abzuarbeiten, darf ausgerechnet ein Mitglied des rechtsextremen Front National als Studiogast über die hohe Tugend der Pressefreiheit referieren.

RT Deutsch schafft es nicht, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden

Genau wie allen anderen untersuchten Medien haben wir Malte Daniljuk, dem amtierenden Chef vom Dienst von RT Deutsch unser Rechercheergebnis im Vorfeld zugeschickt. Wir haben ihm auch eine Auswahl von vier Posts seines Mediums zukommen lassen, die wir in die Kategorien "falsch" und "irreführend" einsortiert haben, um ihm Gelegenheit zur Reaktion zu geben.

Daniljuk weist die Kritik an RT Deutsch und das Ergebnis zurück. "Da sie offensichtlich Probleme mit einer aussagekräftigen Auswahl haben", schreib uns Daniljuk per Mail, "muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie aus dieser E-Mail bitte nur vollständige Sätze zitieren."

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Dieser Bitte kommen wir gerne nach. Im Folgenden also die ungekürzte Antwort von RT Deutsch sowie unsere Nachfragen dazu (eingerückt), die Daniljuk leider bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr beantwortet hat. Damit sich jeder ein eigenes Bild über die Freuden der Kommunikation RT-Medienmachern machen kann, verlinken wir dazu die vier Beispielposts, um die es in dem E-Mail-Austausch ging:

"Liebe Theresa Locker,

Der von Vice Deutschland erarbeitete Index entbehrt jeder sachlichen und fachlichen Grundlage. Schon die vier von Vice als „falsch" oder "irreführend" deklarierten Beispiele RT-Meldungen halten in Wahrheit jeder sachlichen und journalistischen Prüfung stand.

1) Europa verabschiedet sich von der Pressefreiheit
In Straßburg wurde in dieser Woche im EU-Parlament über eine Resolution abgestimmt, die Maßnahmen gegen die angebliche russische Propaganda vorsieht. Der namentlich gekennzeichnete Meinungsbeitrag, auf den der betreffende Post verweist, kommentiert diesen Vorgang.

Im Facebook-Post, der ja Gegenstand unserer Untersuchung war, deutet nichts darauf hin, dass es sich um einen Meinungsbeitrag handelt. Warum haben Sie das nicht gekennzeichnet, wenn es nicht wie ein berichteter Fakt erscheinen soll?

2) "Nach #Überwachung der #Kommunikation nahmen wir uns physische #Infrastruktur vor" Was an einem Original-Zitat von Edward Snowden „falsch" sein soll, ist komplett unverständlich. Edward Snowden äußerte sich, wie von uns zitiert.

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Können Sie mir die Quelle nennen? Ich fürchte, Sie verwechseln leider die Filmfigur mit dem echten Edward Snowden. Das angegebene Zitat stammt aus Oliver Stones fiktionaler Kinoadaption der Snowden-Geschichte; ich habe diesen Satz im Drehbuch gefunden. Der Link hinter "Edward Snowden bei RT" führt nicht etwa auf ein Interview Ihres Senders mit Snowden, bei dem dieses Zitat gefallen wäre, sondern auf die RT-Suchfunktion.

3) Deutsche Steuerzahler finanzieren Clinton: GIZ überwies 2,4 Millionen Euro an private Stiftung
Der Vorgang ist durch die die abgebildeten Unterlagen der Clinton-Foundation gut dokumentiert.

Nein. Mit einem gemeinsamen Entwicklungshilfeprojekt in Malawi finanzieren Steuerzahler nicht Clintons Wahlkampf, sondern das Klimaschutzprojekt. Sie finden weitere Informationen hier:
https://www.giz.de/de/mediathek/41608.html http://www.spiegel.de/politik/deutschland/clinton-stiftung-keine-deutschen-gelder-fuer-den-us-wahlkampf-a-1123745.html

4) #Pizzagate hält das Netz in Atem: Mutmaßungen über Washingtoner Pädophilenring im Clinton-Umfeld
Der Beitrag berichtet über eine Debatte in den USA. Die zitierten Wortmeldungen sind sorgfältig belegt, Spekulationen durch Dritte als solche gekennzeichnet.

Tatsächlich nähren Sie die Spekulationen sorgfältig, obwohl zu diesem Zeitpunkt längst klar war, dass die ganze Sache völlig hanebüchen und erlogen ist (Ihr Artikel erschien immerhin mehrere Wochen nach der US-Präsidentschaftswahl). Wie geht das mit Ihrem Verständnis von verantwortungsvollem Journalismus zusammen?

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Dass sämtliche von Ihnen als „falsch" oder „irreführend" bezeichneten Meldungen jeder journalistischen Prüfung standhalten, wirft ein äußerst schlechtes Licht auf ihren Index.
Die Vice-Redaktion braucht dringend einen Grundkurs in „Methoden der Inhaltsanalyse": a) Aus einer zufälligen und repräsentativen Stichprobe können kaum 100 Prozent „richtig" sein, was Vice etwa Spiegel-Online attestiert. Versuchen Sie es wie die SED mit 98 Prozent, das wirkt glaubwürdiger.

Danke für den interessanten Tipp, aber wir fälschen keine Statistiken. Die Spiegel Online-Stichprobe fiel uns tatsächlich als einwandfrei auf. Etwas, das man von RT Deutsch leider nicht mal im Ansatz behaupten kann. Das alles können Sie den Rohdaten entnehmen, die wir ebenfalls veröffentlichen.

b) Sollten Sie ernsthaft vorhaben, diesen Index zu veröffentlichen, sollten Sie ihren Lesern erklären, wie die Stichprobe und die Wertung zustande kam: Da es sich nicht um eine randomisierte Auswahl handelt, ist das einzig „irreführende" an diesem Index sein fragwürdiges Ergebnis.

Selbstverständlich tun wir das. Statt einer randomisierten Auswahl haben wir jeden Post aller acht Medien innerhalb von sechs Tagen untersucht, so dass eine Vergleichbarkeit der Nachrichtenlage herzustellen ist.

c) Äußerst peinlich ist es, wenn Vice-Deutschland sich mit seinem Index selbst bescheinigt, fast immer korrekt zu berichten.

Peinlich für RT Deutsch ist das schon ein wenig, da haben Sie Recht. Aber wir glauben, man kann ja immer noch dazulernen, wie saubere Social Media-Arbeit geht. Auch der Austausch darüber ist ein Ziel unserer Veröffentlichung.

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Da sie offensichtlich Probleme mit einer aussagekräftigen Auswahl haben, muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie aus dieser E-Mail bitte nur vollständige Sätze zitieren. mit Besten Grüßen, Malte Daniljuk"

Die fünf am meisten geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
"Europa verabschiedet sich von der Pressefreiheit"
(1.049 Shares, Kategorie C)

Platz 2:
"EU-Parlament stimmt für Resolution, die zum Kampf gegen "russische Propaganda" aufruft"
(989 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Video: "Es sind die echten News, die überprüft werden müssen"
(992 Shares, Kategorie C)

Platz 4:
"Nach Überwachung der #Kommunikation nahmen wir uns die #Infrastruktur vor"
(900 Shares, Kategorie B)

Platz 5:
"Deutsche Steuerzahler finanzieren Clinton"
(704 Shares, Kategorie C)

*****

Clickbait, Hass und Tränen: Die Posting-Strategie von 'Huffington Post Deutschland'

„Die Welt ist besser als ihre schlechten Nachrichten. Wir müssen nur hinschauen."

Facebook-Fans: 648.222
Reichweite der Website laut Similiarweb:. 11,17 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 152

Eine Falschmeldung über die Abschaffung von Weihnachten verbreitet sich bei HuffPost fünfmal besser über Facebook als eine korrekte Nachricht über Angela Merkel. Bild: Julia Weber für Motherboard

Huffington Post Deutschland nutzt mit ganz unterschiedlichem Content die Gunst der Stunde, um Leser anzulocken: Emotionale Erlebnisberichte aus erster Hand über die kleinen und großen Dramen des Familienlebens wechseln sich ab mit alarmistischen Fahndungsaufrufen, fluffigem Hündchen-Content, polemischen Politik-Kommentaren, und zwischendurch mit Satire.

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So stehen Überschriften wie "Offener Brief an die Ex-Frau", "Sie hatte nur eine Erkältung, doch dann brachte ein Schmerzmittel sie fast um" oder "Der emotionale Brief eines Babys, das alleine schlafen lernen soll" neben ernstgemeinten Listicles mit Gründen, "warum Merkel eine Gefahr für Deutschland ist", gefolgt von einem satirischen Artikel – "21 Gründe, warum Merkel an allem schuld ist" – und immer wieder neuen, "furchtbaren Details zur Bluttat von Hameln". Insgesamt acht Artikel postet die HuffPo dazu in unserem Untersuchungszeitraum; keiner von ihnen ohne einen nennenswerten Erkenntniswert abseits von Sensationsberichterstattung. Zwischendurch gibt es Tiergeschichten.

Neben dieser schizophrenen Mischung aus familienorientierten Einzelschicksalen und Angstmache vor Fremden schafft Huffington Post Reichweite durch eine zweite Strategie: zusammengeschummelte Nicht-Geschichten, die sprachlich an die Bauchfett-Werbeflächen auf unseriösen Websites erinnern und den Schmähbegriff Clickbait im negativsten Sinne repräsentieren. Eine ästhetische Zeitenwende verkündet zum Beispiel dieser Post: "Vorbei ist die Zeit der durchtrainierten Männer" – meint zumindest die 19-jährige Studentin Mackenzie, stellt sich dann im Artikel raus. Der Beitrag erschien ursprünglich auf der Website Netmoms aus dem Huffington Post-Netzwerk, die sich speziell an Schwangere oder junge Mütter wendet. Was Mackenzie nun genau zur gesamtgesellschaftlichen Geschmacks-Visionärin qualifiziert, verrät Huffington Post leider nicht.

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Genau wie allen anderen untersuchten Medien haben wir auch die Huffington Post mit unserer Ergebnissen konfrontiert. Auf unsere Rückfragen zu einzelnen Posts und Abläufen antwortete Sebastian Matthes, der als Chefredakteur für die Huffington Post arbeitet.

Motherboard: Wie schätzen Sie die Rolle von etablierten Medien in der Debatte um Fake News und Desinformation ein? Welche internen oder externen Faktoren in der täglichen redaktionellen Arbeit sehen Sie, die das Ergebnis beeinflussen könnten und wie könnte man sie überwinden?

Sebastian Matthes (Chefredakteur Huffington Post): Das schnelllebige Online-Geschäft ist gerade in Breaking-News-Situationen fehleranfällig. Hier hilft es einer Redaktion nur, ständig zu lernen, Prozesse zu verbessern und weiter zu lernen. Wir bei der HuffPost setzen uns nach solchen Situationen immer zusammen und besprechen, was gut gelaufen ist und was wir für das nächste Mal optimieren wollen. Zum Thema redaktionelle Abläufe: Wie kommt die Facebook-Aufmachung zustande und inwiefern trägt die Redaktion die Verantwortung dafür?

Grundsätzlich trägt jeder Redakteur die Verantwortung für seine Geschichten auf allen Kanälen - was nicht heißt, dass er sie immer selbst postet. Immer wenn es hier zu Unklarheiten zwischen Teams kam, haben wir das offen besprochen und anschließend die Abläufe verbessert. Zum Beispiel haben wir schon vor Monaten ein Vier-Augen-Prinzip bei Facebook-Posts und Push-Meldungen eingeführt. Welche Rolle spielt der Facebook-Traffic für Ihre Redaktion?

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Facebook ist eine sehr wichtige Säule für die HuffPost. Hier verlinken wir unsere Geschichten, tauschen uns aber auch eng mit Nutzern aus. Zudem ist Facebook für uns ein wichtiger Rückkanal für Feedback auf Geschichten oder Anregungen für neue Storys. Unter welchen Umständen posten Sie Richtigstellungen zu falsch verbreiteten Informationen?

Wir nehmen Feedback auf unsere Arbeit sehr ernst - und korrigieren Fehler, sobald wir davon erfahren. Bei faktischen Fehlern machen wir das in Texten auch transparent. Würden Sie sagen, dass für Facebook-Posts in Ihrer Redaktion dieselben redaktionellen Standards gelten wie für die Artikel, auf die sie verlinken?

Grundsätzlich ja. Es kann nur vorkommen, dass FB Posts anders aufgemacht sind als Artikel auf der Seite. Können Sie etwas zu dem Facebook-Posts sagen, in dem es in der Copy als Zitat heißt "Wir sind ein muslimisches Geschäft" (siehe Bild oben) und erklären, wie er zustande kam?

Das Zitat im Status ist aus dem Zusammenhang gerissen und erweckt einen falschen Eindruck. Wir nehmen solche Fehler zum Anlass, zu lernen. Erwägen Sie, aus der Recherche Konsequenzen zu ziehen? Wenn ja, welche und wie überprüfen sie, ob sie umgesetzt werden?

Wir nehmen Feedback auf unsere Arbeit immer ernst - denn das hilft uns, besser zu werden. Die Abläufe in der Redaktion haben wir schon vor Monaten stark verändert. Zum Beispiel ist das Social-Team viel näher an den Rest der Redaktion herangerückt. Denn wer im Alltag unsere sozialen Kanäle steuert, trägt die gleiche Verantwortung wie unser Frontpage-CvD. Denn Social ist schon lange eine eben so wichtige Startseite, wie unsere Homepage.

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Die fünf am meisten geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Die Facebook-Deeplinks der Huffington Post funktionieren nicht mehr, weil das Medium zwischenzeitlich seinen Benutzernamen auf Facebook geändert hat. Daher sind sie nur noch vereinzelt über Archivsuchen zu finden.

Platz 1:
https://www.facebook.com/huffingtonpostde/posts/1128132147304473 (1.446 Shares, Kategorie C)

Platz 2:
https://www.facebook.com/huffi… (931 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
https://www.facebook.com/huffingtonpostde/posts/1129277643856590 (803 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
https://www.facebook.com/huffingtonpostde/posts/1133312496786438 (644 Shares, Kategorie B)

Platz 5:
https://www.facebook.com/huffingtonpostde/posts/1129564443827910 (615 Shares, Kategorie C)

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Häme, Fake News und Verschwörungen: Die Posting-Strategie von Sputnik Deutschland

"Keiner sagt mehr"

Facebook-Fans: 192.327
Reichweite der Website laut Similiarweb: 6,21 Mio. Visits pro Monat
Untersuchte Posts im Untersuchungszeitraum: 284

Eine Falschmeldung über Flüchtlinge verbreitet sich bei Sputnik Deutschland über Facebook 13mal besser als eine korrekte Meldung über den Tod Castros. Bild: Julia Weber für Motherboard

Der Facebook-Morgen bei Sputnik beginnt üblicherweise ganz harmonisch mit einem hübschen Landschaftsfoto aus Sibirien und einer Frage an die „lieben Leser*innen": "Wie fängt Ihr Tag an?"

Screenshot: Facebook

Dann allerdings wird ein paar Gänge hochgeschaltet. Die Facebook-Nachrichten sollen, genau wie bei Huffington Post, die Leser vor allem emotional ansprechen, im Idealfall: wütend machen. Dafür werden auch gern Live-Videos eingesetzt. Übertragungen aus Russland präsentieren meist neues Militärgerät. Gibt es einen Live-Stream aus anderen Ländern, sind es in den allermeisten Fällen gewalttätige Proteste. Ganz besonders gut funktionieren bei Sputnik Meldungen über den Mutterkonzern und Medien an sich. Berichte, bei denen es konkret um Sputnik oder RT geht, werden mit Abstand am häufigsten geteilt.

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Ungekennzeichnete Kommentare mit propagandistischem Spin

Auf Sputnik dürfen Gastautoren unter mystischen Pseudonymen wie "Der Franziskaner" auch über die Existenz von Chemtrails schreiben, als wolle man damit beweisen, wie ernst man das mit der Meinungsfreiheit nimmt. Auf Facebook ist die Taktik klar: Sich im Post erst die Autorenmeinung des Beitrags durch das Weglassen von Anführungszeichen zu Eigen machen, unter dem eigentlichen Artikel dann einen Hinweis setzen, dass die Meinung des Verfassers nicht mit der redaktionellen Meinung übereinstimmen muss. Beruhigend, denn der Artikel des "Franziskaners" endet dann doch mit offensichtlich ernstgemeinten Tipp, wie man sich gegen Chemtrails schützen kann: "Zur Endgiftung empfehle ich Täglich die Einnahme von Kurkuma (sic)."

Zu guter Letzt gibt es auf Sputnik massenweise Kommentare, die nicht immer als solche auf Facebook gekennzeichnet sind. Das übernehmen Verfasser wie Willy Wimmer, welcher ansonsten bei den "alternativen Medien" Compact, Ken Jebsen und dem Kopp-Verlag veröffentlicht. Die Strategie scheint hier also maximale Polarisierung zu sein.

Was bei Sputnik in unserem Untersuchungszeitraum besonders auffällt: Erstaunlich oft sind die Copys in ungelenkem Deutsch geschrieben: "Wenn Sie Lust auf bewegte Bilder haben, ertragen doch kein Fernsehen, besuchen Sie unseren You-Tube-Kanal", heißt es zum Beispiel.

Sputnik liefert im Übrigen nicht nur Haudrauf-Negativismus, sondern immer wieder auch positive Nachrichten – zumindest, wenn es um russisches Militärgerät geht. Sogar ein Hubschrauber, der in den Dienst genommen wird, ist Sputnik eine Meldung und ein Video wert. Oder der kurze Flug eines alten Sowjet-Kampfjets: „In diesem atemberaubenden VIDEO können Sie direkt miterleben, wie die legendäre #MiG29 in die Stratosphäre gleitet", heißt es in einem Post.

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Giftkraken und Bluttränen: Sputnik gibt auch den absurdesten Berichten ein Zuhause

Von allen Medien, die wir untersucht haben, hat Sputnik innerhalb des Untersuchungszeitraums die wenigsten Skrupel, völlig aus der Luft gegriffene und falsche Nachrichten zu verbreiten. So wird schon mal gemunkelt, ob eine riesige Giftkrake irgendwo in einem Geheimlabor gehalten wird oder es wird berichtet, dass eine Marienstatue in Südamerika Bluttränen weint.

Besonders gut funktionierte eine Meldung über eine Brandstiftung in einer Düsseldorfer Flüchtlingsunterkunft: Sputnik behauptete, zwei Männer hätten die Messehalle „wegen zu wenig Nutella" angesteckt und machte den Post mit einem entsprechenden Schokocreme-Bild auf. Tatsächlich ging der schweren Brandstiftung ein Streit wegen Essensausgabe im Ramadan voraus. Von Nutella fand sich in den Ermittlungsakten kein Wort. Das musste später auch die Bild einräumen, die die Meldung ebenfalls mit diesem erlogenen Spin berichtete – anders als die Bild veröffentlichte Sputnik allerdings nie eine Korrektur zu der Meldung. Die beiden verdächtigen Flüchtlinge wurden zwischenzeitlich übrigens von allen Vorwürfen freigesprochen. Der Post über die Nutella-Brandstiftung schlug dagegen ein: Mit 363 Shares gelingt Sputnik mit dieser Falschmeldung der meistgeteilte Post in der Testwoche.

Die fünf am meisten geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
Millionenschaden: Flüchtlinge verbrennen Asylheim wegen "zu wenig Nutella" – VIDEO (377 Shares, Kategorie C)

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Platz 2:
Athen lehnt jeden Druck ab – Russlands Schiffe in griechischen Häfen willkommen! (266 Shares, Kategorie C) Platz 3:
Attac: Martin Schulz will CETA-Kritikern den Knebel umbinden
(264 Shares, Kategorie B) Platz 4:
Klage wegen Staatsstreich in Ukraine – wird Steinmeier vorgeladen? (226 Shares, Kategorie C) Platz 5:
Live-Missbrauch von Kindern, Babys und Tieren: Pädophilen-Ring in Norwegen gesprengt (210 Shares, Kategorie A)

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Pizzagate und Alarmismus: Wie die 'Epoch Times' auf Facebook um deinen Klick bettelt

Facebook-Fans: 77.671
Reichweite der Website: 5,34 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 307

Eine Falschmeldung über "Maghreb-Häftlinge" verbreitet sich bei Epoch Times auf Facebook viermal besser als eine korrekt berichtete Nachricht. Bild: Julia Weber für Motherboard

Die Epoch Times ist das vielleicht unbekannteste Medium, das wir in unsere Analyse aufgenommen haben. Die ET startete in New York als chinesischsprachiges Medium und ist seit 2005 auch in Deutschland als Onlinezeitung verfügbar. Sie steht der chinesischen religiösen Bewegung Falun Gong nahe und nutzt Material von den Nachrichtenagentur DTS und dpa. In Deutschland ist sie vor allem mit Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik bekannt geworden.

Auf Facebook fährt die Epoch Times eine Doppelstrategie und verbreitet über ihre Seite relativ viele Meldungen aus dem dpa-Nachrichtenkanal, die recht nüchtern aufgemacht sind. Stimmung wird über die eigene Facebook-Seite Epoch Times Blaulicht gemacht, auf der regelmäßig Phantombilder von mutmaßlichen Verbrechern verbreitet werden ("Bitte teilen!") sowie die Schrecken der Migration hervorgehoben werden: Es geht um IS-Kämpfer in Deutschland, "Sex-Täter" und Kriminalität von Flüchtlingen. Diese Posts werden regelmäßig auf der Hauptseite geteilt.

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Doch auch ganz offensichtliche und besonders krasse Beispiele von Fake News verbreitet Epoch Times von Zeit zu Zeit. Während unseres Untersuchungszeitraum war ein älterer Post an die Spitze der Timeline gepinnt, der den Titel trug: "Es gibt viele Hinweise auf einen Pädophilenring". Gemeint war #Pizzagate, die wohl krasseste Fake News im US-Wahlkampf, deren Wahrheitsgehalt ohne Belege hier zumindest als eine Möglichkeit dargestellt wurde. "Trotz zahlreicher Hinweise wird die Geschichte als Fake News bezeichnet", heißt es verschwörerisch.

Ein Post im Untersuchungszeitraum dreht das Thema in ungeahnte Dimensionen: Am 26. November mutmaßt Epoch Times, der Begriff Fake News sei womöglich von den "Mächtigen" erfunden, um den Pizzagate-Skandal zu vertuschen – und da läge die eigentliche Verschwörung. Auf die Idee muss man erstmal kommen; schließlich findet man die Epoch Times-Spins auch dann noch, wenn man nach "pizzagate" und "fake news" sucht. Den hauseigenen SEO-Meister wird es freuen.

Das Märchen um vermeintliche Verwicklungen von Clintons Wahlkampfmanager in einen Pädophilenring lässt die Epoch Times nicht los. Sie scheut auch Monate später nicht davor zurück, die Gerüchteküche mit vieldeutigen Pizzagate-"Updates" am Köcheln zu halten – regelmäßig finden sich auch nach dem Ende unseres Untersuchungszeitsraums noch Posts zu dem Thema, zeigt eine Suche auf der Seite.

Screenshot: Facebook

Insgesamt hat Epoch Times binnen vier Monaten auf Facebook zwölf solcher Stories zum Thema veröffentlicht – die davon am wenigsten geteilte Nachricht ist die einzig korrekte über den bewaffneten Sturm eines Möchtegern-Helden in der besagten Pizzeria. Er habe aus den Medien von den angeblich festgehaltenen Mädchen im Keller der Pizzeria erfahren und wollte sie nun befreien, indem er um sich schoss, sagte er später vor Gericht aus.

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In unserem Untersuchungszeitraum gelang der Epoch Times ein echter Hit mit der Überschrift "Merkel warnt: Bürger sollen Migranten helfen". Diesen Post haben wir als Halbwahrheit klassifiziert, da Merkel bei ihrer Rede zum 9. Integrationsgipfel keineswegs Bürger "gewarnt" hatte, sondern sich nur für Integrationswillen der Bevölkerung, Teilhabechancen und der Öffnung von ehrenamtlichen Institutionen wie dem Bundesfreiwilligendienst für Flüchtlinge ausgesprochen hatte.

Bebildert mit einem Flüchtlings-Selfie mit der Kanzlerin räumte das Medium damit nicht nur 1.100 Shares, sondern Tausende erboste Kommentare ab, die erstaunlicherweise direkt die Kanzlerin adressierten. Damit ist der Post der am zweithäufigsten geteilte Post in der untersuchten Woche überhaupt. Ebenfalls erstaunlich: Die Meldung war alt und wurde am 15. November 2016 schon einmal mit durchschlagendem Erfolg gepostet. Der Top-Kommentar damals: "einen scheiß werde ich.frau merkel-das ist ihr hausgemachtes problem das so in dieser form kaum ein mensch mit bissel grips haben wollte…es sind IHRE gäste " kümmern sie sich gefälligst selbst um sie !"

Ein ganz bestimmter Themenkomplex wurde von der chinesischen Zeitung übrigens auf Facebook in der gesamten Woche so gut wie gar nicht behandelt: China.

Leider hat die Epoch Times ihren Nutzernamen auf Facebook zwischenzeitlich geändert, so dass die meisten Inhalte nur noch über aufwändige Archivsuchen verfügbar sind. Die fünf am meisten geteilten Posts im Untersuchungszeitraum waren:

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Platz 1:
https://www.facebook.com/TheEpochTimes.Deutsch/posts/1182282348504110?match=dGhlIGVwb2NoIHRpbWVzIGRldXRzY2gsZGV1dHNjaCx0aW1lcyxlcG9jaA%3D%3D (1.100 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
https://www.facebook.com/TheEpochTimes.Deutsch/posts/1179085518823793?match=ZXBvY2ggdGltZXMsdGltZXMsZXBvY2g%3D (1.000 Shares, Kategorie B)

Platz 3:
https://www.facebook.com/TheEpochTimes.Deutsch/posts/1180708681994810?match=ZXBvY2ggdGltZXMsdGltZXMsZXBvY2g%3D (910 Shares, Kategorie C)

Platz 4:
https://www.facebook.com/TheEpochTimes.Deutsch/posts/1180041695394842?match=ZXBvY2ggdGltZXMsdGltZXMsZXBvY2g%3D

(878 Shares, Kategorie B)

Platz 5:
https://www.facebook.com/TheEpochTimes.Deutsch/posts/1179502808782064?match=ZXBvY2ggdGltZXMsdGltZXMsZXBvY2g%3D (620 Shares, Kategorie B)

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Angst & Schrecken in der BRD: Die Posting-Strategie von 'Focus Online Politik'

"Die aktuellen Politik Nachrichten aus Deutschland und der Welt - direkt aus der FOCUS-Online-Redaktion."

Facebook-Fans: 533.094
Reichweite der Website laut Similarweb: 85,75 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 231

Eine Falschmeldung über kurdische Clans verbreitet sich bei Focus Online Politik auf Facebook dreimal besser als eine korrekt berichtete Nachricht. Bild: Julia Weber für Motherboard

Kennt ihr noch den alten 90er-Werbespot für den Focus, in dem Helmut Markwort seine Redakteure anbrüllt, er brauche "Fakten! Fakten! Fakten"? Bei Focus Online Politik auf Facebook findet er sie – zumindest meistens. Denn wie unsere Datenanalyse zeigt, sind fünf Prozent der Posts innerhalb einer Woche falsch und noch einmal 10 Prozent ziemlich verzerrende Zuspitzungen.

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Aber die gute Nachricht zuerst: Alle der fünf meistgeteilten Posts von Focus Online Politik fallen in unserem Untersuchungszeitraum in die Kategorie A – und können somit als sauber berichtet gelten. Doch zwischendrin arbeitet Focus Online Politik auf Facebook leider noch viel zu häufig mit Angst statt Aufklärung. Da wird auch schon mal ein bisschen Weltkriegspanik herbeigeredet – darunter macht man es offenbar nicht. "Fast jeder zweite Deutsche erwartet laut einer Umfrage den Dritten Weltkrieg", verkündet die Facebook-Seite unter einem Bild von Trump neben drei massiven Kanonenrohren und bettelt beim Leser in der Copy geradezu um eine emotionale Reaktion: "Ihr auch?"

Ganz abgesehen von dieser höchst fragwürdigen Ansprache ist die Umfrage nicht nur mit gerade mal 1.009 Teilnehmern nicht repräsentativ – die Umfrageergebnisse der YouGov-Studie für die Huffington Post lassen sich auch nicht online nachvollziehen. "Fakten, Fakten, Fakten und an die Leser denken"? Eher nicht.

Nicht nur die Quellen teilt sich der Focus gern mit der Huffington Post – in unserem Untersuchungszeitraum verbindet die beiden auch eine weitere Posting-Strategie: Denn auch auf Focus.de wird aus jeder noch so kleinen Facebook-Meldung ein etwas müde nacherzähltes Video auf der Website ohne näheren Erkenntniswert, das den Meldungstext 1:1 wiedergibt. Häufig muss man es sich ganz bis zum Ende anschauen, um die Auflösung einer auf Facebook nur angeteasten Nachricht zu erfahren.

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Gern deutet der Focus in politischen Nachrichten ein skandalöses Versäumnis von Bundesregierung, Justiz oder einem SPD-geführten Bundesland an, das sich aber bei näherer Recherche als zusammenhanglos entpuppt. Beispiele: "Erster Ausreisegewahrsam Deutschlands in Hamburg aktiv – doch abgeschoben wird dort kaum". Die Copy zum Aufregen: Der Preis des Containerbaus am Flughafen (181.000 Euro). Dass Ausreisepflichtige nicht automatisch dort eingesperrt werden, sondern nur, wenn sie sich länger vor den Behörden verstecken, dass vier von insgesamt nur 20 Plätzen gerade mal einen Monat nach Eröffnung besetzt sind und dass nicht in der Unterkunft direkt "abgeschoben wird", müssen die Leser selbst recherchieren.

Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen bis zur Falschmeldung

Für die Facebook-Posts wird manchmal ein bisschen verallgemeinert, zum Beispiel, wenn es um die Konsequenzen von Trumps Wahl geht: "Früher belächelt, nach Trump-Wahl bitterer Ernst: US-Bundesstaat will Abspaltung!", heißt es zum Beispiel. Dass es sich bei der Initiative "Yes! California" nur um eine Handvoll Unabhängigkeits-Aktivisten handelt, die nicht repräsentativ für einen ganzen Staat stehen können, kann der Leser aus dem Post kaum entnehmen – ganz besonders, wenn er mit einem Foto der kalifornischen Flagge aufgemacht wird.

Und wenn wir schon von Verallgemeinerungen reden: "Fast alle Täter aus der Kölner Silvesternacht kommen davon" ist ebenfalls hart an der Grenze zur Falschmeldung: Wenn sich ein Tatverdacht vor Gericht als nicht hinreichend entpuppt, gibt es auch keinen identifizierten Täter, der "davon kommt". Sechs Verurteilungen gab es zu diesem Zeitpunkt, 83 Verfahren gegen namentlich bekannte Täter standen Ende November noch an. Linda Hinz sieht allerdings keinen Fehler von Seiten Focus Online: "Die Täter mögen unbekannt sein, nicht alle Anzeigen mögen berechtigt sein – aber unstrittig ist doch, dass es in dieser Nacht zu zahlreichen Straftaten kam, die von Tätern ausgeführt wurden", schreibt sie uns.

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Focus Online Politik liebt Fahndungsaufrufe – auch für Bagatelle

Kriminalität ist das große Thema, mit dem Focus Online Politik am meisten Likes und Shares erntet. Dabei wird auch gern mal ein bisschen herum gedeutet, wenn es dem Skandal dient. Der meistgeteilte Post aus der Kategorie C macht das deutlich – es geht um das Verbrechen in Hameln, bei dem ein Mann seine Frau an einem Seil hinter dem Auto hergeschleift hat und sie dabei schwer verletzte. Focus Online Politik grübelt nun in der Post-Überschrift: "Konflikt zwischen kurdischen Clans?" Doch darauf gibt es keinerlei Hinweise; schon gar nicht von der Polizei, die im Artikel hinter dem Post mit "neuen Infos" zu dem Fall zitiert wird. Täter und Opfer stammen zwar beide aus kurdischen Familien, doch die Tat war eine Beziehungstat – mit organisierter Kriminalität angeblicher ausländischer "Clans" hat sie nichts zu tun.

Generell fällt auf: Focus Online Politik scheint – ähnlich wie Epoch Times und HuffPost – Fahndungsaufrufe zu lieben, auch wenn es sich um Bagatellkriminalität handelt und nicht klar wird, was diese Fälle nun genau mit Politik zu tun haben. Wie dem auch sei: Es funktioniert. Das bestätigt auch die stellvertretende Chefredakteurin Linda Hinz: "An Fahndungsaufrufen besteht speziell durch unsere große Local-Community sehr großes Interesse. Tatsächlich haben wir in der Vergangenheit auch viele Aufrufe, die auf unseren kleineren Facebook-Channels auf großes Interesse gestoßen sind, auf größeren Channels gepostet."

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Den Gipfel der Angstmache erreicht die Facebook-Seite mit einem maßlos überzogenen Clickbait-Post: "Wenn dieser Mann dich anspricht, bist du bereits in seine Falle getappt", heißt es bedrohlich unter dem unverpixelten Foto eines mutmaßlichen Trickdiebes, der in Gelsenkirchen ein Handy und etwas Geld gestohlen haben soll. Das erfährt der Leser jedoch nicht aus dem Facebook-Post. Stattdessen gibt es eine Copy wie aus dem Clickbait-Lehrbuch: "Bitte teilen! Er will zwei ganz bestimmte Sachen von dir! [ja, gemeint ist wohl tatsächlich: Geld und Smartphone]" Offensichtlich reicht es aus, die Leser zum Teilen aufzufordern – 474 mal verbreiteten Leser diese Nicht-Nachricht und beteiligten sich gern an der hemmungslosen Online-Verfolgung. Was wohl die Polizei darüber denkt, wenn sich ihre Pressemitteilungen derart verselbstständigen?

Wir wissen es nicht; wohl aber, was Linda Hinz, stellvertretende Chefredakteurin bei Focus Online Politik darüber denkt: "Wir können gerne darüber reden, ob die Zeile „Wenn dieser Mann dich anspricht, bist du bereits in seine Falle getappt", etwas überdreht ist.", schreibt sie uns. "Falsch jedoch ist sie nicht, es handelt sich um einen Betrüger, der sich das Vertrauen von Frauen erschleicht, um sie dann zu bestehlen. Die Meldung deshalb als Fake News zu klassifizieren, scheint mir falsch."; schreibt sie weiter. "Ich finde sogar, dass Sie damit die Grenzen in der Fake News-Debatte auf gefährliche Art und Weise verwischen."

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Ob der Focus mit dieser Meldung ihrem "Anspruch, zu jederzeit unsere User korrekt zu informieren" tatsächlich nachgekommen ist, darf jeder für sich selbst entscheiden. Hinz sagt räumt allerdings in Bezug auf die Konsequenzen dieses Fahndungs-Alarmismus, den wir festgestellt haben, ein: "Auf diese Weise kann jedoch der Eindruck entstehen, dass es in Deutschland zu einer Häufung solcher Vorfälle kommt.", schreibt uns Hinz.

Doch sie möchte auch betonen, dass Focus Online schon viel besser geworden ist: "Weil wir hier keinen falschen Eindruck erwecken möchten, haben wir uns lange vor der Veröffentlichung Ihres Artikels entschieden, hier zurückhaltender vorzugehen, und lokale Meldungen nur dann auf größeren Kanälen zu verteilen, wenn wir hier eine überregionale Bedeutung erkennen. Sollten Sie Ihre Untersuchung wiederholen, würde sich dies sicher in den Ergebnissen niederschlagen."

Law & Order und ein bisschen Zündeln

Anhand der fünf meistgeteilten Posts im Untersuchungszeitraum lässt sich ungefähr ablesen, welche Narrative Focus Online Politik über die Testwoche hinweg bedient: eine rechtspopulistische, die gern von vermeintlich lascher Justiz und explodierender Kriminalität erzählt, und mit Quellen wie Rainer Wendt Law & Order und die "harte Hand des Staates" einfordert. Und gleichzeitig die Welt brennen sehen will.

Der meistgeteilte Post (3.677 Shares) aus dem Untersuchungszeitraum verdeutlicht gut, was Facebook-Seiten durch die ständige Phantombild-Panikmache erreichen: Es ist ein Fahndungsaufruf mit der Zeichnung eines südländisch aussehenden Mannes: "Mann zieht Frau in Wald und vergewaltigt sie – helft mit, ihn zu finden!", fordert Focus Online Politik. Das lassen sich die Facebook-Fans der Nachrichtenwebsite nicht zweimal sagen. Doch eine Top-Kommentatorin erkennt gleich das kleine Problem an der Sache: "Gutes Phantombild", lobt sie, "nur sehen die für mich irgendwie alle gleich aus?"

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Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
Mann zieht Frau in Wald und vergewaltigt sie – helft mit, ihn zu finden
(3677 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
Polizeigewerkschaft kritisiert deutsche Richter als zu täterfreundlich (963 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Türkei droht Europa: "Flüchtlinge werden Europa überschwemmen und übernehmen!"
(768 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
Pädophilenring aus Politikern und Anwälten gesprengt – sie zwangen Kinder auch zum Sex mit Tieren
(650 Shares, Kategorie A)

Platz 5:
Früherer US-Außenminister Kissinger: "Trump hat etwas Großartiges geschafft."
(608 Shares, Kategorie A)

*****

Kleine Dramen, gigantische Wirkung: Wie Bild.de auf Facebook um deinen Klick bettelt

"BILD dir deine Meinung"

Facebook-Fans: 2.422.182 Mio.
Reichweite der Website laut Similiarweb: 159,70 Mio.
Anzahl der untersuchten Posts: 255

Eine Falschmeldung über einen entführten Hund verbreitet sich bei Bild.de auf Facebook siebenmal besser als eine korrekt berichtete Nachricht. Bild: Julia Weber für Motherboard

Bild verbreitet im Vergleich zu den anderen von uns untersuchten Medien relativ viele Inhalte, die nichts mit Nachrichten zu tun haben: Ob es die altbackenen „Liebe ist…"-Karikaturen sind, Tests ("Wie gut kennt ihr euren Körper?") oder bewährter Sexismus in Form schwimmender Frauen, die ihren Hintern in die Luft strecken ("Paradiesfische aufgetaucht: Wem gehören diese prallen Bojen?") – hier mussten wir einiges aus unserer Untersuchung aussortieren, schließlich wollten wir nur Posts mit Nachrichtenthemen analysieren.

In der Bild-Aufmachung fallen die typischen Schöpfungen des Boulevards auf, für die Bild berühmt und berüchtigt ist: "Polen-Minister zu Rimini-Vergewaltigung", "Horror-Crash", "Gangster-Duo" sind alles Beispiele aus der Facebook-Berichterstattung.

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Die politischen Nachrichten sind zwar auf Facebook reißerisch aufgemacht, aber werden dennoch in den allermeisten Fällen wahrheitsgetreu berichtet.

Die mit Abstand meiste Reichweite macht Bild aber nicht mit politischen Posts, sondern mit Verbrechensgeschichten – und bei denen nimmt es Bild nicht ganz so genau. Bei einem tödlichen Unfall mit ungeklärter Ursache dichtet die Bild: "Der Fehler eines Fahranfängers wurde einem Ehepaar zum Verhängnis". Wird ein Körperverletzungs-Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, macht Bild daraus auf Facebook "Sogar die Polizei hatte Verständnis" – dieser Post über einen Vater, der einen Grapscher verprügelte, ist übrigens mit über 4.500 Shares der mit Abstand meistgeteilte Post aus der Untersuchungswoche.

Die vier meistgeteilten falschen oder halbwahren Meldungen aus unserer Untersuchung stammen allesamt von der Bild und erreichen zusammengenommen über 11.000 Shares. Die enorme Reaktion auf die "Kompetenzfelder" einer Boulevardzeitung, nämlich Verbrechen und Unglücke, verdeutlichen: Es sind genau diese Themenbereiche, die die Menschen am meisten interessieren – und bei denen Bild das Geschehene kreativ auslegt.

Auch mit einer ganz und gar persönlichen, kleinen Geschichte macht die Bild Strecke:
Eine Frau hatte ihren Hund am 21.11.2016 vor einem Penny am Steindamm in Hamburg angebunden. Als sie nach zehn Minuten wieder aus dem Supermarkt kam, war der Collie-Mischling mit dem Schlappohr weg. Die aufgelöste Frau ruft die Polizei an – und die Bild. Die bringt immerhin vier Tage später eine Geschichte auf Facebook, die das Publikum mitten ins Herz trifft: "Hund vor Supermarkt gestohlen: "Gebt mir meinen Bosie zurück!"

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Mehr als 3.300 mal wird der Post geteilt; garniert mit bundesweiten Suchaufrufen, allen möglichen Tipps und Notfallnummern, mit wütenden Reaktions-Emojis und Kommentaren wie "Solchen Leuten müsste man…". Einziges Problem daran: Als die traurige Nachricht auf Facebook explodiert, hat sie sich schon längst überlebt. Bosie, die übrigens eine Hündin und kein Rüde wie im Bild-Post ist, wurde am 23.11. gefunden, wie auch die Besitzerin bestätigte. Das sind ganze zwei Tage, bevor Bild die virale Nachricht überhaupt auf Facebook verbreitete.

Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
"Sogar die Polizei hatte Verständnis: Wütender Vater vermöbelt Kinderschänder"
(4.630 Shares, Kategorie B)

Platz 2:
Video: "Plötzlich explodiert die E-Zigarette in seiner Hosentasche!"
(3840 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
"Hund vor Supermarkt entführt! 'Gebt mir meinen Bosie zurück!'
(3380 Shares, Kategorie C)

Platz 4:
Öffentlichkeitsfahdnung! Mit diesem Foto sucht die Polizei Hamburg nach ihrer vermissten Kollegin (22)
(3046 Shares, Kategorie A)

Platz 5:
Plötzlich standen sie auf der Autobahn: Lkw rammt sieben Pferde tot!
(2016 Shares, Kategorie A)

*****

Immer richtig, nicht immer ganz fair – Die Posting-Taktik von 'SPIEGEL Online'

"SPIEGEL ONLINE ist die führende Nachrichtenseite im deutschsprachigen Internet: schnell, aktuell, präzise und unterhaltsam."

Facebook-Fans: 1.451.119
Reichweite der Website laut Similiarweb: 126,63 Mio. Visits
Anzahl der untersuchten Posts: 234

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Korrekt, aber missverständlich: Eine Meldung über eine Mutter, deren Kind an Masern gestorben ist. Bild: Screenshot Facebook / Spiegel Online

In den sechs Tagen unserer Untersuchung ist das Nachrichtenmedium der Streber mit 100 Prozent Posts in der Kategorie A für korrekt berichtete Nachrichten. "Wir freuen uns über das Ergebnis", sagt der Spiegel Online-Head of Social Media Torsten Beeck am Telefon.

Auch wenn Spiegel Online in unserer Untersuchung vorbildlicherweise keine Falschmeldungen produziert hat, ist es doch interessant zu sehen, mit welchen Strategien das Medienhaus ihre Nutzer zum Lesen bringen will. Der Aufbau einer inhaltlichen Fallhöhe ist hier in den meisten Fällen das Mittel der Wahl. Ein Beispiel: Man pickt sich einen Aspekt aus der Berichterstattung heraus und deutet ihn so an, dass Neugier erzeugt werden soll. "Bill de Blasio, Bürgermeister von New York, hat seinen Bürgern ein wichtiges Versprechen gegeben", wäre ein Beispiel.

Dagegen ist nichts zu sagen. Überzieht man diese Strategie allerdings so, dass der Anreißer irreführend ist oder inhaltlich nicht eingelöst wird, was er ankündigt, spricht man von Clickbait. Auch diese Taktik benutzt Spiegel Online im Rahmen seiner Social Media-Strategie schon mal – und das nicht nur bei harmlosen, unpolitischen Fällen. Auf Platz 5 der meistgeteilten Spon-Posts in der Testwoche ist die Geschichte eines Mädchens, das an Masern-Spätfolgen gestorben ist. "Ihre Mutter hat eine klare Meinung zum Thema Impfen", lautet die Copy. Entsprechend wütend sind die Reaktionen der Nutzer, die in ihr eine Impfgegnerin vermuten, die nun ihr Kind auf dem Gewissen hat. Nur wenige Menschen scheinen also den Artikel dahinter zu lesen, in dem sich überraschenderweise das Gegenteil herausstellt: Die Mutter fiel als Kind durchs Impfraster und fordert nun Eltern auf, Ihre Kinder unbedingt gewissenhaft impfen zu lassen. Ganz fair gegenüber der trauernden Mutter, die sich darüber hinaus noch selbst mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gewandt hat, ist so eine zweideutige Social Media-Behandlung mittels Clickbait nicht.

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"Das ist, glaube ich, nicht bewusst missverständlich geteasert, aber ja, es bedient den falschen Reflex, müsste man an der Stelle sagen", meint Torsten Beeck, der Head of Social Media beim Spiegel, gegenüber Motherboard, als wir ihn auf den Post ansprechen. "Ich würde im Nachhinein sagen, das ist nicht so gut, gerade in dieser Konstellation einer Person, die nicht normalerweise in der Öffentlichkeit steht." Mit Politikern könne man "durchaus anders umgehen".

In manchen Fällen arbeitet Spiegel Online auf Facebook mit leichten Übertreibungen oder Mutmaßungen in der Copy, die über die nüchterne Faktenberichterstattung hinausgehen und ins Kommentieren abgleiten. Über die Meldung eines Treffens von US-Präsident Trump mit der New York Times hieß es zum Beispiel: "Trump hat sich mit dem Feind getroffen". Das mag offensichtlich sein, ist aber letztlich eine subjektive Zuschreibung, die von Trump zumindest an dem Tag selbst nicht geäußert wurde.

Ein anderer Artikel zweier Rom-Korrespondenten analysiert sehr ausführlich und sachlich den Zusammenhang zwischen den sinkenden Flüchtlingszahlen im November und der erneuten Kandidatur Angela Merkels. In der Facebook-Copy jedoch ist der Anreißer des Artikels so zusammengefasst: "Im Moment hilft es Angela Merkel, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Doch in Italien spitzt sich die Lage weiter zu." Nimmt man es genau, ist das eine etwas fragwürdige, weil ungekennzeichnete, Vermischung zwischen Berichterstattung und Interpretation. Man kann aber – auch durch die vielen Belege aus anderen Quellen im Text – durchaus sagen, dass sie noch zulässig ist. Sauberer wäre jedoch gewesen, der Copy ein "… analysieren unsere Experten" hinzuzufügen. Klar, meint Beeck: "Wir machen auch Fehler und man muss auch sagen, dass hier manchmal Leute ganz alleine sitzen."

Alles in allem lässt sich aber anhand unserer Daten sagen: Spiegel Online macht das schon sehr gut auf Facebook.

Doch unsere Auswertung zeigt, dass Facebook-Überspitzungen trotzdem immer wieder passieren – zum Beispiel in einem fragwürdigen Spiegel Online-Post nur einen Tag nach unserem Untersuchungszeitraum. Ganz kann sich also niemand den Mechanismen der Social Media Umgebeung entziehen, meint Torsten Beeck: "Das ist sehr verführerisch. Also: Je emotionaler, je spitzer, je mehr auf die 12, desto besser funktionieren diese Inhalte im Sinne von Interaktion.", sagt er, meint aber auch: "Ich glaube, man kann damit seine Marke unfassbar zerstören – wenn einem seine Marke was wert ist, sollte man das nicht tun."

Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
Krieg in Syrien: Aleppo wird ausgelöscht – und die Welt schaut zu
(992 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
Jeder vierte Europäer hält Vergewaltigungen unter Umständen für gerechtfertigt
(740 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Kubas Revolutionsführer: Fidel Castro ist tot
(640 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
Hamburger Polizei sucht vermisste Kollegin
(592 Shares, Kategorie A)

Platz 5:
Hessen: Mädchen stirbt an Masern-Spätfolgen
(529 Shares, Kategorie A)

*****

Alles subjektiv, aber nicht allzu verkehrt – Die Posting-Strategie von VICE Deutschland

"VICE ist ein unendlich expandierendes Kontinuum für investigativen Journalismus, unbequeme Sozialstudien und preisgekrönte Dokumentationen."

Facebook-Fans: 305.057
Reichweite der Website: 6,22 Mio. Visits pro Monat laut Simliarweb
Anzahl untersuchter Posts: 197

Eine Falschmeldung über Fitness verbreitet sich bei Vice Deutschland auf Facebook nur ein Viertel so gut wie eine korrekt berichtete Nachricht. Bild: Julia Weber für Motherboard

Wir wollten in der Untersuchung natürlich das eigene Medium nicht schonen, denn auch Vice ist den Mechanismen sozialer Medien und des Marktes unterworfen. Die Vice-Website bekommt rund 80% Prozent seiner Besucher über Facebook. Um Leser von einem Post auf unsere Seite zu locken, damit ihr dort unsere Artikel lest, spitzen wir eben auch die Texte zu, mit denen wir unsere Posts bewerben.

Und das geht auch gerne mal schief. Ein Post von Vice Sports behauptet, Spieler hätten sich in der Premier League absichtlich sperren lassen, um zu Weihnachten bei ihrer Familie sein zu können. Das stimmt so nicht – die Aussage ist in einem Interview mit dem Schiedsrichter Howard Webb so gefallen: "Manchmal wird man um die Weihnachtszeit schon gefragt, ob man die Spieler nicht vielleicht vom Platz stellen möchte. Eine gelbe Karte würde ihnen da auch gut in den Kram passen." Kein Beleg dafür, dass er diesem Gesuch auch nachgab. Die Meldung hat sich allerdings nicht weit verbreitet: Null Shares sammelte sie ein.

Ein anderer Artikel behauptet, Laufen sei die schlechteste Art, um in Form zu kommen. Auch das stimmt höchstens, wenn man Fitness als den Aufbau von Muskelmasse definiert und Ausdauer außer Acht lässt. Aber das wird in der Copy und der Head keinesfalls deutlich. Hier funktioniert die steile These schon etwas besser: Der Artikel wird 14 mal geteilt. Allerdings gibt es auch eine für uns sehr erfreuliche Nachricht: Desinformation klappt bei uns nicht. Von uns als falsch beurteilte Facebook-Posts teilen sich insgesamt nur einen Bruchteil so gut wie wahre Artikel aus der Kategorie A. Entweder bedienen wir den Empörungsreflex also weniger oder anders als andere Medien oder unsere Leser haben einen besonders guten Instinkt.

Warum Vice im Vergleich so gut abschneidet, hat einen einfachen Grund

Der Grund, warum Vice-Posts in der Analyse so oft in die Kategorie A fallen, liegt aber vor allem daran, dass Vice Deutschland nicht so viele Nachrichten postet, die als solche untersucht werden können. Viele unserer rund 20 Facebook-Posts am Tag sind Erfahrungsberichte über oft abseitige Themen.

Darin spiegelt sich wiederum eine der Kernprinzipien unserer Berichterstattung wieder: Wir mögen Subjektivität, solange sie als solche gekennzeichnet ist. Wir sind (noch) keine Voll-Nachrichtenredaktion, sondern geben gern einzelnen Stimmen Raum, die mal mehr und mal weniger für das größere Ganze stehen. Nachmeldungen von aktuellen Ereignissen machen wir dagegen nicht so oft.

Wenn es einen Anschlag in Berlin gab, fragen wir einen Arzt, wie er die Nacht in der Notaufnahme erlebt hat. Will Trump Abtreibungen erschweren, lassen wir eine Frau erzählen, was das für sie bedeutet. Vice Deutschland ist der Akkumulator von Geschichten aus mittlerweile zehn „Verticals", die sich mit Sport, Essen, Frauenthemen, Musik, Mode, Technologie und Wissenschaft auf ganz unterschiedlich und auf neue Art auseinandersetzen – und gerade deshalb nicht immer auf den News-Zug aufspringen, sondern eigene Wege finden, das aktuelle Zeitgeschehen kritisch zu begleiten und zu kommentieren.

Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
VIDEO: 'Das habe ich schon 1933 gehört.' Eine Holocaust-Überlebende warnt vor Rechtspopulisten (97 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
Masern-Erkrankungen explodieren in Deutschland und Impfgegner sind sich keiner Schuld bewusst
(76 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Über die Unfähigkeit des Zufriedenseins
(65 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
Unterwegs mit einer 70-Jährigen, die jeden Tag Neonazi-Graffitis wegputzt
(55 Shares, Kategorie A)

Platz 5:
Das ist die einzige bekannte Tonaufnahme, auf der Hitler normal spricht
(54 Shares, Kategorie A)