Steuerfreimoney AchtVier Taimo Stanley vor Jobcenter Berlin
Alle Fotos: Flora Rüegg

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Interviews

"Es gab eine Zeit, da hatten wir nicht mal Geld für Essen" – Steuerfreimoney über das Leben ganz unten

Ein Gespräch mit den Hamburger Rappern AchtVier, TaiMO und Stanley über ein Leben, in dem außer Rap alles fehlt.

Die komplette Besatzung von Steuerfreimoney posiert auf einer Treppe vor einem hässlichen Arbeitsamt-Gebäude in Berlin. Eklig-gelbliches Licht leuchtet auf die Rapper AchtVier, Stanley und TaiMO, die schon viele Stunden in ähnlich trostlosen Ämtern ihrer Heimat Hamburg verbringen mussten. Securitymitarbeiter beäugen die drei Typen kritisch, die selbstbewusst den Mittelfinger in die Kamera halten.

Steuerfreimoney ist das neue Label von AchtVier. Und für seine Freunde Stanley und TaiMO ist es auch ein Weg, um aus dem Teufelskreis aus Wohnungslosigkeit, Schulden und durchzechten Nächten auf Drogen rauszukommen. "Hab bis heute keine Bude, doch bin besser dran als du – hab ne Crew", rappt TaiMO auf "OFW" und meint das auch genau so.

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Nachdem wir vorm Arbeitsamt Fotos gemacht haben, ziehen wir weiter in eine abgefuckte Kneipe Namens Magendoktor, in der Rapper wie Shacke One oder MC Bomber gerne mal ihren Feierabend verbringen. Um einen Absacker zu trinken und um uns über das Leben ganz unten zu unterhalten.

Über dieses #unten erzählen auf Twitter gerade Menschen öffentlich von ihren Armutserfahrungen. Denn #unten oder arm zu sein ist immer noch kein Thema, über das gerne gesprochen wird. Dabei sind laut einer aktuellen Statistik 19 Prozent der deutschen Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen.

AchtVier, Stanley und TaiMO gehörten zu diesen 19 Prozent. Auf ihrem Sampler Volume 1 verarbeiten sie ihre Erfahrungen und liefern mit einigen Songs unbewusst einen Beitrag zu #unten aus Straßenrap-Perspektive.

Noisey: Die Songs auf eurem Sampler lassen vermuten, dass ihr lange kein Geld für ein Bier in einer Kneipe wie dieser hier hattet.
AchtVier: Es gab eine Zeit, da hatten wir nicht mal Geld für Essen. Wir hatten gar nichts. Es waren nur immer mehr Rechnungen im Briefkasten. In unserem Umfeld gibt es das auch immer noch. Aber wir haben ja uns, um über die Runden zu kommen.

Wie habt ihr solche Situationen damals überstanden?
AchtVier: Klauen, Digger. Kriminelle Sachen machen – jeder auf seine eigene Weise. Du sprichst hier außerdem mit dem Zecheprellerkönig aus Hamburg. (lacht) Ich habe drei Jahre lang in guten Restaurants gegessen, habe mir am Ende noch einen Nachtisch bestellt und (schnippst mit den Fingern) war weg. Es ist natürlich mega peinlich, wenn du erwischt wirst.

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Steuerfreimoney Achtvier Taimo Stanley

In welchem Alter habt ihr zum ersten Mal wahrgenommen, dass ihr weniger habt als andere?
AchtVier: Das hat ja mit dem Alter nichts zu tun. Wenn du nichts hast, dann hast du nichts und gehst los, um was zu besorgen.
TaiMO: Nicht mal die Eltern hatten genug Geld.
AchtVier: Genau, das kommt noch dazu.

Aber als Kleinkind realisierst du diese Ungerechtigkeit ja nicht sofort.
AchtVier: Es war nicht so, dass ich keine krassen Sneaker in der Schule hatte und deswegen neidisch auf die anderen war. Die Probleme kamen, als ich mit 18 oder 19 zum ersten Mal alleine gewohnt habe. Plötzlich musste ich alles selber bezahlen.
TaiMO: Bei mir war es ähnlich.


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Auf dem Song "OFW", was für "Ohne festen Wohnsitz" steht, sprecht ihr über Wohnungslosigkeit. Wie war das, als ihr keine feste Wohnung hattet?
TaiMO: Ich habe mal hier, mal dort geschlafen. Mal bei der Familie, mal bei Freunden, manchmal auch in einem Hauseingang. Platte machen nennt man das in Hamburg. Oder ich habe Nächte auf Drogen durchgemacht, weil ich niemandem zur Last fallen wollte. Ich habe ja auch meinen Stolz. Auch wenn die Kollegen sagen, dass ich jederzeit zu ihnen kommen kann. Du fühlst dich einfach scheiße, wenn du dahin kommst, keinen Cent hast, Freunde vielleicht noch störst, wenn sie gerade Zeit mit ihrer Frau verbringen. Und wo wirst du heute schlafen?
TaiMO: Ich wohne jetzt in einer WG. Das ist aber auch noch nicht das Wahre.

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Woran lag es, dass du lange keine Wohnung bekommen hast?
TaiMO: Es ist einfach kaum möglich, ohne Geld eine Wohnung in Hamburg zu bekommen.

Dass du Musiker bist, war dementsprechend kein Argument?
AchtVier: Das bewirkt gerade das Gegenteil. Künstler in Deutschland haben keine Sicherheiten.
TaiMO: Wenn du als Arbeitsloser zu einer Wohnungsbesichtigung gehst und da 40 Leute hinkommen, muss nur einer einen Job haben und du bist raus.
Stanley: Jeder hat seinen WBS-Schein dabei. Da braucht nur einer ein bisschen mehr Kohle verdienen und die Sache ist durch für dich.

Was hat es mit dem WBS-Schein auf sich?
TaiMO: Das ist die Abkürzung für Wohnberechtigungsschein oder auch Paragraf-5-Schein. Der berechtigt dich dazu, eine Sozialwohnung zu beziehen und du wirst vielleicht als Mieter vorgezogen. Aber heutzutage ist dieser Schein auch nichts mehr wert.
Stanley: Jeder hat den. Hamburg ist einfach überfüllt. Familien bekommen dann zum Beispiel eher eine Wohnung als ein einzelner Typ.

Würdet ihr aus Hamburg wegziehen, weil ihr dort keine Unterkunft findet?
AchtVier: Niemals.
TaiMO: Hamburg für immer!

Ihr rappt: "Die Elbe langt doch." Seid ihr in letzter Zeit trotzdem mal aus Hamburg rausgekommen, vielleicht sogar in den Urlaub gefahren?
AchtVier: Wir sind eigentlich vor allem in den Stadtteilen unterwegs, die wir in unserer Musik repräsentieren.

Steuerfreimoney AchtVier Taimo Stanley

Fehlt euch das nicht – mal rauszukommen?
AchtVier: Manchmal. Ich würde schon gerne mal ein bisschen reisen. Aber ich bin zufrieden zu Hause.
TaiMO: Ich muss das Reisen auch nicht erzwingen.
AchtVier: Jetzt wegen Promo mal drei Tage im Hotel zu sein und überall hin und her zu fahren ist schon cool. Aber ich bin einfach am liebsten zu Hause.

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AchtVier, du hattest mit Graffiti lange ein Hobby, in das man sehr viel Geld reinsteckt. Aber es kommt in der Regel nichts zurück.
AchtVier: Aber es hat mich glücklich gemacht und macht mich immer noch glücklich. Dadurch hatte ich plötzlich 20.000 Euro Schulden, weil Züge gereinigt werden mussten, die ich besprüht hatte und Geld für Anwälte und Gerichtskosten draufgingen.

Du hast damals auch schon gerappt. Habt ihr jemals daran geglaubt, dass Rap ein sicherer Job wird?
AchtVier: Nein, nie. Ich habe Musik immer just for fun gemacht. Das ist bis heute so. Wenn wir zu dritt im Studio sind, dann geht es ja nicht um Geld.
TaiMO: Musik ist das Wichtigste. Ich habe auch schon im Studio gewohnt …
AchtVier: … Das hat jeder von uns schon, Digger.

Vor 20 Minuten standen wir für die Fotos zu diesem Artikel noch vorm Arbeitsamt. Was habt ihr dort in den letzten Jahren für Erfahrungen gemacht?
TaiMO: Seitdem wir arbeitsfähig sind, müssen wir dahin. ( alle lachen) Eigentlich immer noch.
AchtVier: Bei mir geht es gerade in eine Richtung, wo ich das nicht mehr brauche. Ich bin mit Steuerfreimoney seit neun Monaten selbstständig. Das ist eine Firma, alles ist angemeldet, alles ist save. Und ich hole Stanley und Taimo von der Straße und gebe ihnen einen Job. Bald bekommen sie einen Vertrag und dann kümmern wir uns um die Schulden. Beim Arbeitsamt wirst du einfach abgespeist. Es muss schnell gehen. Der Mensch, mit dem du da sprichst, interessiert sich nicht dafür, was aus dir wird oder ob du einen Job findest, der dir Spaß macht.
TaiMO: Hauptsache, du machst überhaupt was und kannst so Leistungen vom Amt beziehen.
Stanley: Du bekommst nichts, wo du Bock drauf hast. Du kannst von morgens um sieben bis abends um sieben Steine schleppen oder so was. Das will doch keiner machen.
TaiMO: Dadurch, dass ich keinen festen Wohnsitz hatte, habe ich gar nichts bekommen. Wie soll ich vernünftig arbeiten, ohne Dusche und irgendeinen Rückzugsort?
AchtVier: Das ist ein Teufelskreis. Wir kommen nur durch die Musik da raus. Denn wenn du jetzt für 1200 Euro im Monat arbeiten gehen würdest, hast du den Briefkasten sofort voller Rechnungen. Du musst Miete bezahlen, reißt dir den Arsch auf, zahlst Steuern, aber hast am Ende des Monats nichts übrig. Du wirst einfach nicht in Ruhe gelassen. Deswegen Steuerfreimoney. Einfach selber machen.

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Wenn du keine Steuern zahlst, dann meldet sich irgendwann das Finanzamt und du hast noch mehr Probleme.
AchtVier: Steuerfreimoney, das bezeichnet ja vor allem ein Lebensgefühl. Du kaufst für einen Zehner Ott, dann triffst du irgendjemanden und verkaufst ihm den Zehner als Zwanziger. Dann hast du Steuerfreimoney gemacht. Wobei der Staat davon wahrscheinlich am liebsten auch was abhaben würde. (lacht)

Steuerfreimoney AchtVier Taimo Stanley

Mittlerweile gibt es ja zumindest Läden, in denen CBD (Cannabidiol) verkauft wird. Die zahlen Steuern.
Stanley: Das ist schon eine coole Sache, aber schweineteuer.
AchtVier: Und es macht auch nicht high, was soll das?
TaiMO: Es macht zumindest ruhig.
AchtVier: Wenn du älter bist, ist das bestimmt cool, um zu pennen.

Wäre Verkäufer in einem CBD-Laden ein Job, den ihr machen würdet?
AchtVier: Wenn es mein eigener Laden wäre, dann ja.
TaiMO: Oder wenn es fünf Mille im Monat gibt. Dann mache ich das auch. (lacht)

Ihr sprecht auf eurem Sampler auch über etwas, das viele als deutschen Spießertraum bezeichnen würden: Frau, Kind, Haus, Auto.
AchtVier: Jede Frau und jeder Mann will doch eine Familie gründen oder sehe ich das falsch? Wofür ist man denn auf der Welt? Nur, weil wir Rapper sind und ein bisschen auf Street machen, heißt das nicht, dass wir keine Familienmenschen sind. Ich will auf jeden Fall eine gesunde Familie gründen und Eigentum kaufen. Das würde mich glücklich machen.

Taimo, Stanley, euch auch?
Beide gleichzeitig: Auf jeden Fall!
TaiMO: Und klar wollen wir den "Spießertraum" leben. Wenn das andere Menschen dürfen, warum dürfen wir das dann nicht? Wir haben die Scheiße schon gesehen und wollen auch das andere Leben schmecken.

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Und wenn es nicht mit der Musik klappt?
AchtVier: Dann gehen wir wieder dahin zurück. Wahrscheinlich würde es noch schlimmer als vorher werden.

Rap ist also der Weg da raus.
Stanley: Das muss er sein.
TaiMO: Das ist der letzte Ausweg. Das ist alles, was wir haben und da stecken wir alles rein.
Stanley: Es gibt nichts Besseres, als sein Hobby zum Beruf machen zu können. Wir machen ja alle schon seit über zehn Jahren Musik.
AchtVier: Das ist ein ganz normaler Job, nur das wir eben cool sind. Du musst ins Studio, ins Büro.
TaiMO: Es ist viel mehr, als einfach nur zu rappen.

Wie fühlt es sich denn an, über Jahre kreativ zu arbeiten, ohne dass erst mal etwas zurückkommt?
AchtVier: Am Anfang fühlt man eine Leere. Aber Step by Step kommt dann doch was zurück. Das, was wir machen, fühlt sich nicht an wie arbeiten. Wir leben das.
TaiMO: Als bei Konzerten zum ersten Mal Leute meine Texte mitrappen konnten, hat mir das mehr gegeben als Geld.

Johann ist auch bei Twitter: @monodefekt

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