Eine Frau hat eine blutige Slipeinlage vor den Augen
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Frauenrechte

Diese Marokkanerin schießt Bilder gegen Frauenunterdrückung in der arabischen Welt

Ihr Vater verbot ihr das Fotografiestudium. Kollegen sagen, sie soll schweigen. Aber Fatima Zohra Serri lässt sich von niemandem aufhalten.

Nach der Schule wollte Fatima Zohra Serri Fotografie studieren. Dazu hätte sie ihre Stadt Nador im Norden Marokkos verlassen müssen. Doch ihr konservativer Vater verbot es ihr: Er fand, Mädchen sollten nicht weit von ihren Eltern entfernt wohnen. Also studierte sie am Institut für angewandte Technologie in der Nähe von Nador und arbeitet heute in ihrer Heimatstadt als Buchhalterin.

Doch Fatima brennt weiter für die Fotografie. Neben ihrem Alltagsjob schießt sie eifrig Fotos und hat sich eine ansehnliche Fangemeinde aufgebaut – bald 22.000 Follower sind es auf Instagram. In ihren Bildern findet sie kreative Ansätze, um die Diskriminierung zu beleuchten, die Frauen in ihrem Land erleiden. VICE hat sich mit Fatima über die Inspiration zu ihrer Arbeit unterhalten und sich einige ihrer beliebtesten und kontroversesten Bilder erklären lassen.

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Die marokkanische Fotografin Fatima Zohra Serri

VICE: Warum hast du dich entschieden, deine Fotoarbeit der Diskriminierung gegen Frauen zu widmen?
Fatima Zohra Serri: Diese Themen sind für mich persönlich, weil ich in einer sehr konservativen Gesellschaft lebe. Ich will ändern, wie Frauen gesehen und behandelt werden. Mein Vater übt zum Beispiel eine große Kontrolle über mich aus und verbietet mir viele Dinge, nur weil ich eine Frau bin. Ich weinte mir die Augen aus, als er mich zum ersten Mal zwang, einen Hidschab zu tragen. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Durch meine Fotografie will ich diese Aspekte unseres Lebens hervorheben. Weil ich zum Fotografieren nicht so viel raus darf, habe ich mir bei uns zu Hause ein Studio eingerichtet.

Belastet es dich weiterhin, dass du den Hidschab tragen musst?
Ich habe mich daran gewöhnt, aber es gibt immer noch Situationen, wo ich ihn abnehmen will. Aber das kann ich nicht. Trotzdem, davon lasse ich mich nicht daran hindern, meine Kunst zu machen und mich auszudrücken. Manchmal sehe ich sogar etwas Positives darin, dass ich als verschleierte Frau kontroverse Themen anspreche.

Was hält deine Familie von deiner Arbeit?
All meine Verwandten folgen mir in den sozialen Medien. Meine Arbeit scheint ihnen zu gefallen – sogar meinem Vater. Meine Mutter liebt meine Fotos besonders, wir haben ein sehr enges Verhältnis. Meist kommt die Kritik gar nicht von ihnen. Allerdings hat es schon Bilder gegeben, über die sie sich aufgeregt haben – zum Beispiel das, in dem ich mit einer Frau, die eine Slipeinlage vor den Augen hat, auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam mache.

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Wofür steht die Slipeinlage?
Ich hätte auch eine Frau fotografieren können, die Blut und blaue Flecken im Gesicht hat. Aber ich wollte mit der blutigen Einlage zeigen, dass die Schmerzen von überall kommen könnten. Außerdem wollte ich öffentlich über Menstruation reden. In unserer Gesellschaft gilt dieses Thema weiterhin als Tabu.

An Arab women drinking from juice.

Kannst du uns noch mehr über andere Fotos erzählen? Zum Beispiel das von der Frau, die einen "100 % halal"-Saft mit einem Strohhalm hält.
Das ist ein sarkastischer Kommentar zu der oft wiederholten Forderung, Frauen sollten alles verdecken, was "aufreizend" sein könnte. Mit dem Bild wollte ich zeigen, vor welche Herausforderungen das Frauen stellt. In diesem Fall ist es eine Frau, die nicht einmal einen Tetrapack Saft trinken kann, weil ihr Mund verhüllt ist. Ich habe ihr Münder auf die Brille gezeichnet, damit sie keine Haut zu zeigen braucht. Und der Saft ist "100 % halal", damit auch ja nichts mehr übrig bleibt, für das man die Frau kritisieren könnte.

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Was ist mit dem Foto, auf dem steht: "Ich bin es leid, als 'Aura bezeichnet zu werden"? Das arabische 'Aura meint im religiösen Kontext etwas Schamvolles, das es zu verbergen gilt, stimmt's?
Ja. Dieses Foto ist inspiriert von dem amerikanischen Projekt "I'm tired". Darin zeigen sich Menschen mit einer Aufschrift auf dem Rücken, die von einem ihrer größten Probleme handelt. Mir gefiel das so gut, dass ich die Idee adaptieren wollte, um auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen, die "'Aura" für uns Frauen bedeutet.

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Zum Beispiel sagen mit meine männlichen Kollegen immer, dass ich leiser sprechen soll, wenn ich mich zu Wort melde. Wenn mir eine Haarsträhne aus dem Hidschab rutscht, machen alle sofort darauf aufmerksam und sagen, ich soll die Strähne wieder verstecken. Sogar meine Kolleginnen meinen, Frauen sollten kein Parfüm tragen, weil das Männer anregen könnte. Und dann gibt es Leute, die mir sagen, ich solle bestimmte Kleidung nicht tragen, weil meine Figur darin erkennbar ist. All diese Dinge zwingen mich in die "'Aura-Zone". Die Blumen auf dem Foto stehen dafür, dass Frauen nicht gezwungen sein sollten, Schönheit unkenntlich zu machen.

Man holding a newspaper

Was hat es mit dem Foto auf sich, auf dem ein Mann Zeitung liest?
Viele Eltern in Marokko lassen ihre Töchter nach der Grundschule nicht mehr zur Schule gehen – sie sollen jung verheiratet werden, während ihre Brüder im Ausland studieren dürfen. Als ich jünger war, mussten viele meiner Freundinnen mit der Schule aufhören, damit sie lernen, einen Haushalt zu führen, und auf die Heirat vorbereitet sind.

Diese Realität wollte ich mit dem Foto ausdrücken. Männer gelten in unserer Gesellschaft als wichtiger als Frauen, also sitzt die Frau auf dem Boden, während der Mann über ihr auf einem Stuhl thront. Der Mann liest Zeitung, und wenn er mit einer Seite fertig ist, wirft er das zerknüllte Papier der Ehefrau hin, die damit Feuer schürt und Teewasser kocht. Damit wollte ich zeigen, dass nur Männer sich bilden dürfen.

Mehr von Fatima Zohra Serris Fotos findest du auf Instagram.

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