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Hate Hate Hate

Ein öffentlich-rechtliches Video betreibt Fat Shaming

Im Format "World Wide Wohnzimmer" wird ein übergewichtiger YouTuber minutenlang beleidigt.
Screenshot: YouTube

In einem abgedunkelten Kellerraum hockt ein übergewichtiger Mann und schaut in die Kamera. Auf seinem Kopf trägt er eine Kappe mit Hashtag-Raute, seine Unterarme sind tätowiert. Dann erklingt eine düstere Computerstimme. "Von was bist du fresssüchtige Fast-Fehlgeburt weiter entfernt?", fragt sie. "Von einem geordneten Leben oder Unterhosen, die kleiner sind als ein 12-Mann-Zelt?" Der Mann lacht müde. Er trage manchmal gar keine Unterhosen, antwortet er. Dann kommen weitere Fragen. Eine härter als die andere. Zehn Minuten geht das so. Nicht alle Fragen beziehen sich auf sein Gewicht, aber viele.

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Der Mann mit Kappe, der hier beleidigt wird, nennt sich Exsl95 und ist YouTuber, er hat 280.000 Abonnenten. Er lässt seine Fans daran teilhaben, wie er XXL-Einkäufe verrichtet oder Müllermilch-Flaschen ext. Für "Ich hate mal eine Frage" ist er bei "World Wide Wohnzimmer" zu Gast, einer Sendung, die größtenteils YouTube-Gossip bespricht. Die Sendung ist aus dem Angebot von Funk, einem Produzenten-Netzwerk, das im Auftrag von ARD und ZDF Videos für 14- bis 29-Jährige produziert. Es ist der ambitionierte Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, auf digitalem Weg ein Publikum zu erreichen, das kaum noch fernsieht.


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Hass wird bewusst generiert

Wer sich in den Kellerraum von "Ich hate da mal eine Frage" setzt, der weiß, was ihn oder sie erwartet. Das Video mit Exsl95 wurde seit Sonntag über 500.000 Mal angesehen. Exsl95 schlägt sich wacker, die meisten Fragen nimmt er mit Humor.

Es ist durchaus ein gängiges Konzept der Verteidigung, dass bekannte Menschen, die ein beliebtes Ziel sind für Beleidigung und Hetze, Hassbotschaften öffentlich machen. So touren deutsche Journalisten und Journalistinnen mit Migrationshintergrund unter dem Label "Hate Poetry" durch Deutschland und verlesen auf Theaterbühnen hetzerische Leserbriefe, die ihnen zugeschickt wurden.

Das Problem an "Ich hate da mal eine Frage" ist aber, dass die Macher und Macherinnen ausdrücklich dazu aufrufen, sich Pöbeleien gegen ihre Gäste auszudenken und über Social Media einzusenden. Auf Twitter bat "World Wide Wohnzimmer" einen Monat zuvor um "böse, beleidigende" und "provozierende Fragen" an Exsl95. Hier wird der Hass also extra für ein Video-Format generiert. In vorherigen Ausgaben fragte man etwa die YouTuberin Katja Krasavice, wie oft sie am Weltfrauentag Sex hatte.

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Im Falle von Exsl95 wählte man hauptsächlich Fragen aus, die mit seinem Äußeren verbunden sind. "Kinnlose Kackbratze", "sahneschlürfender Schandfleck" und so weiter. Auch wenn der YouTuber am Anfang noch gutmütig mitlacht – Spaß macht das beim Zuschauen eher nicht.

"Das Video sendet das falsche Signal aus"

Fat und Body Shaming zählen zum Alltag von Millionen Jugendlichen. Das Morgan-Stanley-Kinderkrankenhaus aus New York fand 2014 heraus, dass mehr als die Hälfte der übergewichtigen 13- bis 17-Jährigen auch an leichten bis mittelschweren Depressionen leiden. Die Gmünder Ersatzkasse hat eine Untersuchung von mehr als 150.000 Kindern und Jugendlichen durchgeführt, aus der hervorgeht, dass Kinder zwischen 6 und 14 Jahren häufiger an Depression und eingeschränkter Lebensqualität leiden, wenn Adipositas bei ihnen diagnostiziert wird.

Man könnte jetzt argumentieren, Exsl95 habe sich auf das Format eingelassen. Er nennt sich schließlich selbstironisch "Fettester Streamer Deutschlands" und nimmt die meisten Beleidigungen mit Humor. Man könnte einwenden, dass YouTuber eben so sind. Da segelt man oft hart an der Grenze zur Peinlichkeit. Die Frage ist aber, warum ARD und ZDF so etwas finanzieren?

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier kritisierte das Format auf Twitter. Vor allem stört er sich an der Aussage der Macher, man suche "die Achillesferse" der eingeladenen Gäste. Auch die Kabarettistin Sophie Passmann bezeichnet das Format auf Twitter als "Fat Shaming".

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"Furchtbar", nennt Gabriele Haase das Video auf Anfrage von VICE. Haase leitet seit zwei Jahren die Selbsthilfegruppe für Adipositas an der Charité in Berlin. Sie war selbst lange Zeit übergewichtig. "Das Video stellt das Problem des Übergewichts als etwas Lustiges dar und sendet somit das falsche Signal", so Haase. Betroffene litten unter solchen Scherzen tagtäglich, ohne dass sie das auf die leichte Schulter nehmen könnten.

Jede Funk-Sendung wird von Redakteuren und Redakteurinnen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgenommen. Es gibt strenge Auflagen, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichten darf. Auf der Website der ARD heißt es, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe die Aufgabe, zu einem "funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beizutragen". Das schafft man eher nicht, indem man einen übergewichtigen Jungen Mann als "Schandfleck" beschimpft. Und das passt nicht zum sonst abwechslungsreichen und oft anspruchsvollen Angebot von Funk, das junge Menschen unkonventionell gesellschaftliche Probleme und Politik näherbringt.

"World Wide Wohnzimmer" antwortet der Kritik, dass das Format Hass bekämpfe. Das schreiben die Verantwortlichen auf Twitter. Funk selbst beruft sich offiziell auf "Satire". Die Kritiker des Format "haten" allerdings noch ein paar Fragen.

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