Ein herrlich verplantes Interview von AOB mit Said
Alle Fotos: Hakki Topcu

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Interview

Ein herrlich verplantes Interview von AOB mit Said

Das neue Album 'HAQ' vereint die Beats von Brenk Sinatra, die tiefe Stimme von Said und das Lebensgefühl von Berlin.

"Ein guter Freund wird nie ein guter Geschäftspartner. Aber ein Geschäftspartner kann ein guter Freund werden". Diesen Rat gab einst ein Geschäftspartner Said mit auf dem Weg. Damals, als er noch mit illegalen Substanzen sein Geld verdiente. Aber auch im Rapgeschäft behält er seine Gültigkeit. Seit etwa zwei Jahren hat Said die Neuköllner Rap-Gruppe AOB unter seine Fittiche genommen und es ist safe to say, dass sich der alte Rat wieder einmal bestätigt hat. Said mag es Oldschool und real – in seinen Geschäften, Freundschaften und natürlich in seiner Musik. Sein neues Album HAQ, das am 15. Juni erschienen ist, beweist dies ein weiteres Mal.

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Die Nachwuchstalente aus Neukölln haben den Sprung von Geschäftspartnern zu Freunden geschafft. Aber können sie auch zu kritischen, investigativen Interviewern werden? Wir haben Bangs, Almani, Haki, Chapo und natürlich Said anlässlich seines neuen Releases an der Spree getroffen, um ihnen das Fragenstellen zu überlassen. Eine Win-Win-Win-Situation. Denn Said findet klassische Interviews eh nicht so cool, AOB können einen neuen Geschäftszweig erproben und die Leser erhalten eine neue Perspektive und ich habe weniger Arbeit. Dachte ich zumindest.

"Na Said, biste gut hergekommen?" eröffnet Almani feixend das Interview. "Hab gehört, du musstest öfter mal warten. Ist ja auch schwer mit so 'ner großen Rasselbande, wa?" Almani ist einer dieser Jungs, die früher in der Schule andauernd quatschten, kippelten, Bücher vergaßen und zu spät kamen. Dennoch wurden sie stets von den Lehrern mit einem wohlwollendem Lächeln ermahnt. Natürlich wurde sich auch auf dieses Interview nicht vorbereitet. Fragen wie "Seit wann bist du eigentlich bei AOB" und "Was bedeutet dein Albumtitel?" folgen. Man verlässt sich auf Saids Charme und Improvisationstalent. Und darauf, dass es vielleicht doch irgendeinen Streber gibt, der einem die Antworten, beziehungsweise in diesem Fall die Fragen einflüstert. Und wie die Lehrer damals, können auch wir es Almani und Co. nicht übel nehmen. Still auf dem Stuhl sitzen und mit gespitztem Bleistift mitschreiben kommt im Rap halt auch einfach nicht cool.

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Persönlich kennengelernt haben AOB ihren Mentor 2015. Auf den Straßen Neuköllns (jenes Neukölln jenseits der hippen Cafés und Second-Hand-Läden) wuchs die Bande mit einem Cousin von Said auf. Auch wenn sie Said erst viele Jahre später treffen sollten, beschreiben AOB die Beziehung zu ihrem Mentor dennoch als "vom selben Blut". Für Said ist es ein "Homecoming" nach Jahren der Trebe durch gefühlt ganz Berlin. "Mir geht's beschissen gut", sagt Said, und im Gegensatz zu den meisten Leuten, die das von sich behaupten, sieht man ihm das sogar noch durch die verspiegelte Sonnenbrille an. "In allen Interviews suchen die Leute nach einem wunden Punkt. 'Irgendwas muss den doch stören. Dass jetzt 187 so erfolgreich sind und Ufo …'”, äfft er mit gepresster Stimme nach. "Aber mir geht es wirklich besser denn je. Ich bin gut aufgestellt, mein Umfeld macht mich glücklich, ich hab Spaß bei dem, was ich mache. Ich stehe hinter meiner Musik."

Bevor AOB mit ihrem späteren Mentor in Kneipen, Studios oder Backstage-Bereichen abhingen, war er ihnen natürlich schon ein Begriff. 2013 erschien anlässlich seines ersten Soloalbums Zum Leben verurteilt eine vierteilige Doku über Said auf YouTube. "Ich hab damals die Doku gesehen noch bevor ich ihn kannte", erzählt Almani grinsend. "Komplett von vorne bis hinten." Auch Bangs nickt lächelnd und gibt zu, die Doku gesehen zu haben. "Echt, ja?", fragt Said und schmunzelt. "Dass ich das damals gemacht habe, lag aber auch nur daran, dass ein Freund die Interviews mit mir führte. So wie heute." Er reicht Bangs den Joint weiter. "Ich war damals beeindruckt von seiner persönlichen Geschichte, was er schon alles erlebt hat und welche Stärke er daraus gezogen hat. Seine Familienverhältnisse, der Knast und das alles", sagt Bangs.

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Wir sprechen über Saids syrische Herkunft. Was hat sich im Vergleich zu damals, als Said in der Doku von der Heimat seines Vaters erzählte, heute verändert für ihn? "Früher war es voll schwer, jemanden zu treffen, der auch aus Syrien kommt. Ich weiß noch, dass ich mich richtig doll gefreut habe, als ich einen von 1UP kennenlernte, der auch Syrer war", erzählt Said. "Da hat man sich erstmal zehn Minuten umarmt. Heute ist das anders." Bangs fragt, wie er diese Veränderung wahrnimmt. "Es ist seltsam, weil man heute direkt diese Assoziation mit Flüchtlingen hat. Wenn mich jemand in fünf oder zehn Jahren fragt, wo ich herkomme, werde ich vermutlich erstmal gefragt werden, ob ich auch Flüchtling bin". "Was hat sich im Vergleich zu damals, als Said in der Doku von der Heimat seines Vaters erzählte, heute verändert für ihn? "Es ist komisch. Das Land, das ich selber nur ein paar Mal gesehen habe, ist Katastrophe und das wird einem jetzt immer bewusst, wenn man jemanden von dort trifft. Dass dieser Teil von einem kaputt ist und so schnell nicht greifbar sein wird."

Ob sie von Said jetzt, wo sie schon länger mit ihm befreundet sind, ein anderes Bild haben als damals, verneinen Bangs, Almani und Chapo. Said erzählt darauf lachend: "Ich erinnere mich noch, wie Almani irgendwann, als wir uns schon etwas besser kennengelernt hatten, auf mich zukam und fragte: 'Warum hast du eigentlich diesen Leggings-Song gemacht?" "Als hätte es ihn ins Herz getroffen und er musste das endlich loswerden. Das Lustige ist, dass solche Fragen jetzt gar nicht kommen. Weil er mich kennt", sagt Said. "Die wundern sich über nichts mehr. Ich habe vor Kurzem einen Song gemacht, der in die Chanson-Richtung geht." Almani wirft ein: "Der ist todes geil, Dikka! So ein bisschen wie dieser 'Du bist so wunderbar Berlin'-Song, nur halt in cool." Said blickt auf die Spree, monochrom spiegelt sie sich in seinen Brillengläsern. "Mal gucken, ob ich den überhaupt rausbringe. Ich glaube, ich kann eigentlich viel mehr als ich mich traue."

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So schön Paris, Marseille oder auch Kingston und deren Sound sein mögen – auf HAQ spielt die Musik ganz klar in Berlin. Saids Stimme kombiniert mit Brenk Sinatras Beats verwandeln den Gehörngang in eine innere Sonnenallee. Eine Sonnenallee im Sommer, auf der man wiegenden Schrittes im Rhythmus des Basses entlangflaniert, eine Hand lässig in der Hosentasche, jede Snare ein Zwinkern, das einem die Sonne entlockt, wenn sie hinter einer Häuserlücke hervorblitzt. Said selbst gefällt "Pusher" am besten, die Jungs haben alle verschiedene Lieblingssongs. Haki liebt "Kuchen", Bangs natürlich seinen eigenen Featuresong "Ich feier mich". "Er kann einfach alles", sagt Bangs, als ich nach seiner Meinung zu dem Album frage. "Er kann brettern, aggressive Texte und gleichzeitig melodisch und soft sein, er kann singen – er kann einfach alles." Der Rest nickt andächtig.

"Coco Chanel" nennt keiner der Jungs als seinen Lieblingstrack. Dennoch bitte ich die Interviewer du Jour über den Track zu sprechen, in dem Said in die Rolle des smoothen Verführers schlüpft. Gefühlvoll über Sex rappen ohne peinlich oder eklig zu sein – wie macht man das? "Ich liebe Frauen, deswegen will ich sie auch nicht blöd dastehen lassen. Man muss mit dem Song einen Ort schaffen, an dem sich der Hörer nicht wie ein Eindringling vorkommt, von dem er direkt fliehen will", versucht Said zu erklären. "Haki meinte letztens erst zu mir, er würde auch gern mehr Sexlieder machen", sagt Said. Haki lacht auf und beißt sich auf die Faust. "Aber der deutsche Markt ist dafür schwierig. In Amerika sind cheesy Sexsongs kein Problem. In Deutschland macht man lieber das Licht aus beim Sex, auch musikalisch. Ich will aber das Licht anmachen!" Bangs wirft ein: "Durch die Hook hat man keine Berührungsängste, die dudelt so vor sich hin, hat nichts Sexuelles und nimmt einen mit in den Song rein." Said nickt. "Ich hatte mal einen Song, der hieß 'Ficken'. Der war eigentlich todesgeil geschrieben, aber durch die Hook war das dann aber ein bisschen too much. Da hätte man vielleicht das Licht ein bisschen dimmen sollen."

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Fragt man Bangs, Almani, Haki oder Chapo nach der einen Sache, die sie an ihrem Freund bewundern, ist die Antwort unisono: sein Talent für Melodien. "Wenn wir einen Beat anmachen, denkt er sich direkt Melodien aus, das bewundere ich sehr an ihm. Keine Ahnung, wie er das macht", sagt Bangs und auch Haki pflichtet ihm bei: "Oft sitzen wir in Nachtsessions zusammen und ich hader und schraube noch an meinem Text rum und er ist schon längst fertig und denkt sich bereits 'ne Melodie aus. Wie machst du das, Bruder?" Said lacht und breitet seine Hände aus. "Es ist gottgegeben! Nein, ich schwöre, man kann Musik nicht erklären."

So schwierig es ist, Musik zu erklären, so schwierig ist es vielleicht auch, einen Menschen zu interviewen, mit dem man gefühlt jede Minute verbringt. "Es ist schwer, sich Fragen für jemanden auszudenken, über den man alles weiß", sagt Bangs, der sich während des Gesprächs als Einziger geflissentlich Notizen in sein Handy geschrieben hatte und Fragen stellte, obwohl er deren Antworten vermutlich schon längst kannte. Bleibt man beim Bild der Schulklasse, ist Bangs vermutlich der eine Typ, der es irgendwie schafft, gute Noten zu schreiben, obwohl er ständig mit den anderen hinter der Turnhalle kiffen geht.

Ob Said denn seinerseits eine Frage an die Jungs habe, will ich zum Schluss wissen. Er grinst und ihm scheint es ähnlich zu gehen wie Almani, Bangs, Chapo, Haki und den anderen von AOB, die heute nicht dabei waren. Zwischen ihnen ist alles klar, da passt kein Blatt Papier dazwischen. Erst recht keins mit lauter Fragen darauf.

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HAQ ist seit letzten Freitag draußen und kann überall gestreamt und natürlich auch noch gekauft werden. Hier zum Beispiel.

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