Warum Teenager-Mädchen auf Schwulenpornos stehen
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Warum Teenager-Mädchen auf Schwulenpornos stehen

Wenn Frauen in heterosexuellen Pornos zum Objekt gemacht werden, suchen sich Teenager eben Filme, in denen überhaupt keine Frauen vorkommen.

Die Teenager von heute sind die Entscheider von morgen. Eine Tatsache, die einem teilweise ziemliche Angst machen kann. Außerdem sind sie die ewige Quelle der Coolness und die Einzigen, die Snapchat und Vine wirklich verstehen. Obwohl es durchaus Teenager gibt, die sich bereits in jungen Jahren wissenschaftlich betätigen oder zumindest Popstars sind, ist der Großteil von ihnen doch vor allem eins: rallige, verwirrte Halbwüchsige.

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Genau hier kommt Tumblr ins Spiel—das soziale Netzwerk, das absolut gar kein Problem mit pornografischen und expliziten Inhalten hat und deswegen von Teenagern mit künstlerisch wertvollen Softcore-Gifs geflutet wird. Wenn man sich an sexpositiven, queeren Bloggern, Fetisch-Cartoonisten und Cam-Girls vorbeigearbeitet hat, stößt man irgendwann auf eine ganz bestimmte Subgruppe: Heterosexuelle Teenie-Mädchen, die sich über ihre Leidenschaft für Schwulenpornos austauschen.

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Dass viele heterosexuelle Männer und Frauen eine Vorliebe für Lesbenpornos haben, ist eine weithin akzeptierte Tatsache—unsere Gesellschaft ist schließlich seit Jahrhunderten damit beschäftigt, den weiblichen Körper zu sexualisieren und die weibliche Sexualität als variabel und performativ darzustellen. Bei Schwulenpornos ist das allerdings anders—oder war es zumindest bisher. Mittlerweile häufen sich Postings, in denen Mädchen und junge Frauen, die Yaoi Manga (grafische japanische Comics, deren Geschichten sich meist um „die Liebe zwischen Jungs" dreht und vorwiegend von und für Frauen geschrieben werden), Fotos von androgynen Male Models und kitschige Fotos von normalen, aber im Intimbereich eindeutig von der Natur gesegneten schwulen Paaren teilen. Die meisten Beiträge des Blogs Boys Love World beispielsweise stammen von jungen Mädchen auf Tumblr. Uneingeweihten rät der Blog, sich darauf „vorzubereiten, von den sexiesten, süßesten und heißesten Typen aus den Socken gehauen zu werden" und anscheinend liefert er auch ab—zumindest, wenn man ein Teenie ist und auf J- und K-Popstars steht, die aussehen, als würden sie sich gleich küssen.

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Ein anderer Blog namens Pretty Gay Boys hat ebenfalls überwiegend weibliche Follower und zeigt eher die Sorte Männer, die unter die Kategorie Profisportler fallen. Natürlich sind längst nicht alle Follower gleich: Manche Mädchen stehen auf Mangas, während andere einfach nur was zu sehen bekommen wollen. Darüber hinaus gibt es auch Mädchen, die sich selbst als Fangirl-Shippers bezeichnen und fiktionale Pärchen aus ihren Lieblingsfernsehcharakteren erschaffen.

Ich stelle mir immer vor, dass schwule Männer besser riechen [als heterosexuelle Männer].

Ausgehend von einer etwas einheitlicheren Theorie, habe ich die Jugendpsychotherapeutin Anupama Kalyanam angerufen, um herauszufinden, woran es liegen könnte, dass junge Mädchen plötzlich auf Schwulenpornos stehen. Kalyanam arbeitet als zugelassene klinische Sozialarbeiterin in New York und ist auf die Arbeit mit LGBTQ-Jugendlichen spezialisiert. Sie schreibt diese Obsession dem Internet zu und der Tatsache, dass Teenies nun mal Teenies sind. „Es ist ein Teil ihres Wunsch- und Affinitätsspektrums—schließlich ist die Jugendzeit die Zeit des Erforschens", sagt Kalyanam. „Das Internet macht es uns leichter, verschiedene Sexualverhalten zu erforschen. Ich weiß nicht, ob junge Mädchen in der Zeit, bevor es das Internet gab, Erfolg gehabt hätten, wenn sie sich auf der Suche nach Schwulenpornos gewesen wären."

Das Internet hat es selbstverständlich auch möglich gemacht, dass der japanische „Boys' Love"-Irrsinn junge Fans aus allen Herrenländer begeistern konnte. Yaoi-con beispielsweise ist ein dreitägiges Manga- und Animefestival, das „männliche Schönheit und Leidenschaft" feiert. Im September diesen Jahres findet die Yaoi-con-Convention zum 14. Mal in San Francisco statt. Während ich immer weiter in die Online-Welt der Teenager abgetaucht und den Links von Schwulenpornoblogs immer tiefer in den Kaninchenbau gefolgt bin, bin ich irgendwann auf eine Gruppe junger russischer Frauen und Mädchen gestoßen, die total auf Man-on-Man-Action fixiert sind.

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Anastasia, 20, „liebt Schwulenpornos, seit sie 16 ist." Sie ist in Moskau aufgewachsen, wo gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen erst seit 1993 legal sind und schwulenfeindliche Gesinnungen zum Alltag gehören. Sich Schwulenpornos anzusehen hatte für Anastasia schon immer etwas Skandalöses und Verbotenes. Doch als sie begann, sich in ihre schwulen, männlichen Freunde zu verknallen, beschloss sie dieser Neigung auf den Grund zu gehen. Wenn man ein (in diesem Fall ehemaliges) Teenager-Mädchen fragt, warum sie Schwulenpornos mag, bekommt man—wie ich festgestellt habe—eine sehr unverblümte Antwort: „Der Anziehungskraft ist nicht zu leugnen, aber schwer zu erklären", schreibt mir Anastasia in einer E-Mail. Sie hat auf meinen Aufruf geantwortet, den ich auf Tumblr gepostet habe, mit der Bitte, mir zu helfen #teens zu verstehen. „Ich fühle mich mit schwuler Männlichkeit wohler als mit heterosexueller Männlichkeit", sagt sie weiter. „Ich stelle mir immer vor, dass schwule Männer besser riechen [als heterosexuelle Männer] oder zumindest die schwulen Männer, die ich mag. [Ich stehe mehr auf] androgyne, jungenhafte Männer, die aber trotzdem maskulin sind."

Trendbewusste russische Mädchen sind nicht wirklich an heterosexuellen Männern interessiert.

Auf jeden Fall scheint immerhin in Russland die Faszination junger Mädchen für zwei gut riechende Männer, die miteinander intim werden, etwas damit zu tun zu haben, dass solche Aufnahmen verboten sind. Schwulenpornos haben also etwas anarchistisches, aufregendes. In dem russischen sozialen Netzwerk VK—ein Hybrid aus Tumblr und Facebook—ahmt der Blog No Hope Kids den Stil hipper Trendsetter (mit gefärbten Haare und einer vagen antikapitalistischen Haltung) mit Bildern nach, die küssende Männer im—wie Anastasia es nennt—„post-sowjetischen Look" zeigen. Der Blog verbirgt sich hinter einem „18+"-Haftungsausschluss, da aufgrund des 2013 verabschiedeten russischen Gesetzes zur „Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen gegenüber Minderjährigen" jeder, der auch nur „das Interesse an nicht traditionellen sexuellen Beziehungen" weckt, angezeigt und zu einer Geldstrafe verurteilt werden kann.

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„Trendbewusste russische Mädchen sind nicht wirklich an heterosexuellen Männern interessiert", sagt Anastasia und spricht von einem dominanten russischen Männlichkeitskult. Anastasia lehnt es bewusst ab, sich heterosexuelle Menschen beim Sex anzusehen. „Was haben wir mit denen schon gemeinsam?", fragt sie. „Sie mögen Bier, Fußball und Möpse. Wir dagegen interessieren uns für die neuesten Trend und Musikrichtungen."

Geschichtlich betrachtet waren schwule Männer schon immer die kulturellen Trendsetter, aber Anastasia, die 2012 von Moskau nach Los Angeles gezogen ist, sieht in ihrem Interesse an schwulen Männern mehr als nur ein trendige Vorliebe. Für Anastasia sind Schwulenpornos eine Möglichkeit, Pornografie aus der Perspektive von Frauen zu genießen: „Ich kann mir Schwulenpornos ansehen und mich meiner eigenen Sexualität widmen, ohne mich der männlichen Sexualisierung und Objektifizierung auszusetzen", sagt sie.

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Die Vorstellung, junge Mädchen könnten aus Gründen der Autonomie und Selbstbestimmung auf Schwulenpornos stehen und damit die männlichen Sicht auf Sexualität ablehnen, ist reizvoll. Man könnte es auch so interpretieren, dass das Bild des „schwulen besten Freunds"—welches homosexuelle Männer heterosexuellen Frauen unterordnet—zu einem fetischisierten Extrem führt. (Ich habe aber leider keinen homosexuellen Mann gefunden, der sich dazu äußern wollte.) In den tiefsten Tiefen dieser Internet-Community gibt es auch einige Mädchen, die sich sexuell zu schwulen Männern hingezogen fühlen und sich selbst als „Girlfrags" (also schwule Frauen) bezeichnen. Allgemein versteht man unter Girlfrags Frauen, die sich zu schwulen/bisexuellen/transsexuellen Männern und deren Umfeld hingezogen fühlen. Eine kurze Suche nach dem Tumblr-Tag verrät, dass der Begriff bestenfalls polarisierend ist. Mädchen, die sich selbst als Girlfrag identifizieren, wird oft vorgeworfen, dass ihre Sicht auf die LGBTQ-Community vorurteilsbehaftet wäre und dass sie Männer zu Objekten machen würden.

Ursprünglich stammt der kontroverse Begriff aus einem Artikel im BUST-Magazin, der 2003 erschienen ist und versucht hat, den Begriff „Girlfrag" zu einer anerkannten sexuellen Orientierung zu erklären. 2012 hat es „Girlfrag" offiziell in das queere Lexikon geschafft, nachdem Janet W. Hardy, die Autorin von dem Fetisch-Kultbestseller The Ethical Slut, ihre Leben als bekennende Girlfrag festgehalten hat. Obwohl Kalyanam bei ihrer Arbeit noch nie auf Girlsfrags gestoßen ist, kann sie sich „vorstellen, warum es die einen angemessen und die anderen problematisch finden, aber solange alles einvernehmlich ist und niemand verletzt wird, denke ich nicht, dass man darüber urteilen müsste."

Zum Schluss habe ich Anastasia, meine spirituelle Führerin durch das Reich der Teenies, gefragt, was sie von diesen Begriff hält. Wie bereits erwartet, war ihre Antwort sehr weise: „Ich objektifiziere Männer nicht gerne, wenn ich mir Schwulenpornos ansehe", meint sie. „[Es ist nicht meine Absicht], aber es ist unvermeidbar, schätze ich. Wenn ich mich an Männern, die mich ungerecht behandelt haben, rächen wollen würde, würde ich mir nur Femdom-Videos ansehen. Die langweilen mich aber. Ich sehe gerne dabei zu, wie Menschen sich gegenseitig befriedigen. Ich möchte nicht über Schmerz nachdenken, außer es sind unmittelbar befriedigende."


Titelfoto: justine reyes | Flickr | CC BY 2.0