CSU-Kandidatin für das Amt der Drogenbeauftragten Daniela Ludwig
Foto: Imago Images/Christian Spicker
Drogen

Sieben Tipps für die neue Drogenbeauftragte

Deutschland bekommt eine neue Bundesdrogenbeauftrage. Damit das nicht wieder eine totale Katastrophe wird, haben wir sieben Ideen, wie eine sinnvolle Drogenpolitik in Deutschland aussehen könnte

Es hat vier Amtsjahre gedauert, bis Marlene Mortler das Nasenspray Naloxon, das Menschen mit einer Opioid-Überdosis das Leben retten kann, in Deutschland zugelassen hat. Es war ihre erste wirklich sinnvolle Entscheidung. Ihr wisst schon: Mortler, das ist die ehemalige Bundesdrogenbeauftragte, die scheinbar vor allem im Amt war, um absurde Antworten auf berechtigte Fragen zu geben. Zum Beispiel stammt von ihr dieser Klassiker: "Cannabis ist verboten, weil es eine illegale Droge ist, Punkt." Ein paar Monate später machte sie möglich, dass Suchtkranke leichter an Ersatzstoffe wie Methadon kommen können. Das waren beides gute Ideen. Aber sie brauchte dafür eben vier Jahre.

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Mittlerweile ist die Fränkin für die CSU in das Europaparlament eingezogen und ihre Nachfolge wurde bekannt: Daniela Ludwig, CSU. Zumindest schlug ihre Partei sie dafür vor. Das Bundeskabinett muss sie noch annehmen.

Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Mortler und Ludwig eint die Parteizugehörigkeit, beide sind in kleinen Orten in Bayern aufgewachsen, hatten vor ihrem Amt als Bundesdrogenbeauftrage keine gesundheitspolitischen Erfahrungen. Und politisch scheinen sie auf einer Linie zu sein. Zumindest antwortete Ludwig 2015 in dem Portal Abgeordnetenwatch auf die Frage nach einer möglichen Legalisierung von Cannabis: "Ich lehne diesen Gesetzentwurf ab, denn ich bin gegen die Verharmlosung, Liberalisierung und Legalisierung von Drogen, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist."

Deutschland kann so ein Déjà-vu aber nicht gebrauchen. Es gibt mehr als genug Probleme, um die man sich kümmern muss. Und diejenigen, die diese Probleme haben, können nicht wieder so lange auf Hilfe warten. VICE hat deswegen bei verschiedenen Expertinnen Tipps gesammelt, wie die Drogenpolitik in Deutschland nach vorne gepusht werden kann.

1. Sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren – nicht an parteipolitischen Interessen

Der Posten der Drogenbeauftragten hat einen Makel: Er ist bisher an Parteien gebunden. Marlene Mortler etwa gehörte der CSU an. Natürlich will sie es sich mit ihrer Partei und ihren Wählerinnen nicht verscherzen. Kein Wunder, dass sie zum Beispiel kein Wort der Unterstützung zu Modellprojekten wie dem Drugchecking in Berlin verloren hat. Das könnte wie eine Billigung von Drogenkonsum verstanden werden – und Drogenkonsum kommt bei CSUlerinnen nicht gut an. Außer natürlich, die Droge ist legal und heißt Alkohol.

Parteipolitische Interessen verleiten also dazu, über wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegzusehen. Nachfolgerin Ludwig muss aber nicht in die gleiche Falle tappen. Immerhin gibt es eine Menge Forschung aus dem In- und Ausland über Maßnahmen zu Suchtprävention und Gesundheitsförderung von Drogenkonsumierenden. Beim Drugchecking zum Beispiel zeigen die Erfahrungen anderer europäischer Länder, dass sich das Testen von Drogen auf Qualität Menschen davon abhält, gepantschte Substanzen zu konsumieren.

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"Wissenschaft und Praxis müssen in Verbindung gebracht werden, damit sie im offenen Diskurs erfolgreiche Methoden entwickeln können", sagt Lorenz Böllinger. Er ist Professor für Strafrecht und Kriminologie und Sprecher des Schildower Kreises. Das ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Praktikerinnen, das sich für eine alternative Drogenpolitik ausspricht. "Die neue Drogenbeauftragte könnte zum Beispiel eine Konferenz einzuberufen, wo Experten aus der Wissenschaft und der Praxis sprechen können", sagt er.

2. Eine neue Diskussionskultur schaffen – und nicht an falscher Moral festhalten

Drogenkonsum hat ein Problem – und das ist oft weder die Droge noch der Konsum, sondern das gesellschaftliche Stigma, das damit einhergeht. Kiffer sind dumm, Junkies klauen, sie alle sind schön blöd, dass sie sich illegale Substanzen reinfahren, und sind offensichtlich nicht willensstark genug, einfach Nein zu sagen – so was eben. Problematische Zuschreibungen, findet Marco Jesse, Vorsitzender des Bundesverbandes für Junkies, Ehemalige und Substituierte (JES): "Wenn man an diesen Zuschreibungen festhält, entmenschlicht man die Konsumierenden. Wir brauchen eine Diskussion um die gesellschaftliche Bewertung von Drogenkonsum. Erst dann können wir damit zusammenhängende Themen anders und besser in der Breite diskutieren."

Denn vom gesellschaftlichen Bild hängt ab, welche politischen Entscheidungen getroffen werden. Kriminalisierung ist hier das Stichwort. Weil der Konsum bestimmter Substanzen als moralisch verwerflich eingestuft wird, wird er bestraft. "Zehntausende junge Menschen werden jährlich kriminalisiert", sagt Strafrechtler Böllinger. "Die werden zwar nicht verknastet, aber deren Lebensläufe werden zum Teil ruiniert, weil ihnen der Führerschein entzogen wird, sie keine Ausbildung machen dürfen. Diese Kriminalisierung muss aufhören."

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3. Cannabis entkriminalisieren – mindestens

Wenn Marlene Mortler mit ihren abstrusen Interviews eines gezeigt hat, dann das: Es gibt keine stichhaltige Erklärung dafür, warum Alkohol legal ist und Cannabis nicht. Deswegen fordert Gundula Barsch, Soziologin, die seit vielen Jahren zum Thema Drogensucht und Prävention forscht: "Für Cannabis muss eine Regulierung gefunden werden, sodass die User aus der Kriminalisierung rauskommen." Viele Länder entkriminalisieren zur Zeit den Cannabis-Konsum. "Dass bei uns da gar nichts passiert, ist überhaupt nicht akzeptabel und geradezu blamabel", sagt Barsch.


Auch bei VICE: Wie das Cannabisverbot in Großbritannien versagt


Es müsse ein Diskurs angestoßen werden, ob Deutschland an den Verbotsparadigmen so weiter festhalten wolle und welche Alternativen es dazu gebe, meint auch Jurist und Kriminologe Jan Fährmann. "Meines Erachtens kann der einzige Ansatz sein, die Regulierung von Substanzen orientiert am konkreten Risiko festzulegen, was sich aus Erkenntnissen aus der Wissenschaft und Praxis ergibt." Sprich: Für Heroin, Cannabis, MDMA und Co. könnten verschiedene Wege gefunden werden, wie man sie legal kaufen kann – zum Beispiel mit einem Beratungsgespräch in der Apotheke. Dass die neue Drogenbeauftragte das unter den politischen Vorzeichen innerhalb einer Legislaturperiode umsetzen kann, ist zwar unwahrscheinlich. Aber wenigstens müsse eine rational geführte Debatte angestoßen werden, so Fährmann.

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4. Alkohol und Tabak regulieren

Auch, wenn es wehtut: Alkohol und Tabak sind zwar legal, aber trotzdem gesundheitsschädliche Stoffe. Trotzdem werden sie unter recht lasch kontrollierten Jugendschutzmaßnahmen in jedem Supermarkt verkauft. Und beworben werden dürfen sie obendrein. Für den Juristen Fährmann ist das falsch. "Im Umgang mit Tabak, Alkohol und Medikamenten sollte mehr Prävention betrieben und die bisherigen Abgabemöglichkeiten kritisch hinterfragt werden", sagt er. "So könnte etwa die Werbung für solche Substanzen verboten werden, was bei Tabak in vielen europäischen Ländern bereits der Fall ist."

5. Überlegen, ob ein Verbot von Drogen überhaupt sinnvoll ist

Marlene Mortler setzte auf Strafverfolgung, um Menschen vom Drogen-Nehmen abzuhalten. Die Zahl der registrierten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz erreichte 2018 einen Höchststand. Trotzdem stieg die Zahl der Drogenkonsumierenden weiter, von Crystal bis Fentanyl kann alles easy über Telegram-Gruppen bestellt werden und Substanzen wie Ecstasy und Cannabis werden immer stärker. Klappt wohl nicht mit der Repression; Konsumierende nehmen die drohende Geld- oder Freiheitsstrafe für ihren Rausch in Kauf und Dealer bedienen die Nachfrage erfolgreich. Dazu kommt, dass die Strafverfolgung konsumierende Menschen oft in eine Spirale aus Gefängnis, Jobverlust und Obdachlosigkeit wirft. Höchste Zeit, zu evaluieren, ob das sinnvoll ist – oder ob es nicht hilfreicher wäre, Drogenbesitz für den Eigenbedarf als Ordnungswidrigkeit zu handhaben, wie das zum Beispiel in Portugal gemacht wird.

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6. Konsumierenden die Möglichkeit geben, möglichst gut informierte Entscheidungen zu treffen

Überdosen, Hepatitis, HIV: Das sind drei mögliche Schäden, die der Konsum von Substanzen wie Heroin nach sich ziehen kann. Es sind aber drei Schäden, die sich minimieren lassen – durch sogenannte Harm-Reduction-Maßnahmen, Maßnahmen zur Schadensminimierung. Dazu zählen etwa das in Berlin geplante Drugchecking, Drogenkonsumräume oder Spritzenautomaten. "Ein großer Wunsch von mir ist, dass man im großen Bereich Harm Reduction mutiger wird", sagt Soziologin Gundula Barsch. "Solange man sich nicht zu einer Regulierung aller illegalisierten Substanzen durchringen kann, sollte wenigstens der Zugang zu Informationen über die Substanzen niedrigstschwellig sein. Alle internationalen Projekte zeigen, dass die User schon interessiert sind und gesund bleiben wollen."

Momentan fehlt es noch an bundespolitischer Unterstützung für Modellprojekte. Jedes Bundesland muss sich allein durch die verschiedenen Instanzen boxen. Zum Beispiel zum Drugchecking liegen in Niedersachsen, Hessen und Berlin Ideen zur Umsetzung vor. "Man könnte die Städte die Projekte, die ja alle ein bisschen anders laufen, mit einer begleitenden Studie machen lassen“, schlägt Barsch vor. "So könnte man schnell herausfinden, was sich in Deutschland bewährt und was nicht."

Marco Jesse vom Verband JES legt dabei vor allem Wert darauf, die Substitutionsbehandlung noch mal in den Blick zu nehmen. Zwar wurden die Bestimmungen, unter denen Opioidabhängige Ersatzstoffe wie Methadon bekommen können, im letzten Jahr verbessert. "Das ist aber noch nicht in der Praxis angekommen, es mangelt vor allem an Ärzten", sagt Jesse. "Suchtmedizin muss als allgemeinmedizinisches Behandlungsfeld normalisiert werden. Es sollte ein Feld im medizinischen Unterricht werden", sagt er.

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7. Aufklärungskampagnen nicht nur an Schulen, sondern auch in Clubs fördern

Marlene Mortler setzte viel auf Aufklärungskampagnen in Schulen. An sich sehr sinnvoll, sagt Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband – wären sie glaubwürdig und nachvollziehbar. "Zurzeit ist das eher nicht der Fall", sagt er. "Viel zu oft wird Präventionsunterricht immer noch von Polizeivertretern durchgeführt und üblicherweise beinhalten diese Aufklärungsmaßnahmen die unsinnige Schere zwischen legalen und illegalen Substanzen." Bei Alkohol werde der Konsum akzeptiert, aber durchaus realistisch über die Risiken aufgeklärt. "Bei Cannabis wird dagegen der Zeigefinder gehoben, auf dramatische Schäden aufmerksam gemacht und auf einen unrealistischen Totalverzicht gedrängt", sagt Wurth.

Kriminologe Färhrmann reichen diese Kampagnen in den Schulen nicht. "Es sollte nicht nur in Schulen Prävention betrieben werden, sondern auch in anderen Kontexten, zum Beispiel in der Clubszene oder auch in Sportvereinen, wo oft der Alkoholkonsum hoch ist." Außerdem findet er, dass die Polizei nicht die geeignete Instanz dafür ist, sondern die Aufklärung durch ausgebildete Präventionsfachkräfte erfolgen sollte.

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