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4chans rechter Block hat ein neues Hass-Ziel: Ein Musikvideo auf YouTube

Das Musikvideo "All Your Friends" der Norwegerin Sophie Elise triggert /pol/, den rechten Block von 4chan, weil es zufällig genau ihre Bildsprache spricht.
Bild: Screenshot, YouTube, SophieEliseVEVO

"Breivik hatte Recht", "Don't touch the Untermensch" und hunderte andere, noch krassere rassistische Beleidigungen standen bis vor wenigen Stunden unter dem Musikvideo zu "All Your Friends", das am 06. August online ging.

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Stein des Anstoßes für den kruden Hass in den Kommentaren: Die norwegische Sängerin Sophie Elise tanzt im Video mit einem schwarzen Typen, der ihren Freund spielt. "Eine Hölle aus einer anderen Welt", so beschreibt Sophie Elise den üblen Kommentar-Sturm in einem verzweifelt klingenden Instagram-Post. Nur zwei Tage nach Veröffentlichung des Videos wurden die Kommentare sowie die Bewertungsfunktion deaktiviert, eine archivierte Fassung mit einigen Äußerungen gibt es hier.

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Was der norwegische Social Media-Star vermutlich nicht weiß: Die "andere Welt" hat einen Namen – 4chan. Genauer, das Unterforum "Politically Incorrect" oder /pol/, das der sogenannten Alt-Right als Heimat dient. Die anonyme Online-Gemeinschaft aus den USA behauptet, mit ihren rassistischen Memes erheblich zu Donald Trumps Wahlsieg beigetragen zu haben.

Der jüngste Fall sorgte in Norwegen für eine landesweite Hate Speech-Debatte und ist ein Musterbeispiel für die Funktionsweise (und das Scheitern) eines so genannten 4chan-Angriffs, in der Community "raid" genannt.

Ein 4chan-"raid" läuft in der Regel so ab: Die Nutzer von /pol/ teilen anonym Verschwörungstheorien etwa über Migration und Flüchtlinge, trollen politische Online-Abstimmungen, lassen rassistische Beleidigungen gegen Moslems und andere Minderheiten los und überhöhen Präsident Trump als allmächtigen Heilsbringer. Sie selbst feiern das Unterforum als letzte Bastion der Meinungsfreiheit und des Nerdisms.

Ein besonders beliebtes Thema ist der angebliche Untergang der "weißen Rasse". Als "Mein Kampf trifft auf Big Bang Theory" beschreibt der Kolumnist Giles Fraser das /pol/-Forum im britischen Guardian. Immer wieder werden Bilder mit teils pornographischen Bezügen geteilt, die weiße Frauen mit schwarzen Männern zeigen. Immer wieder wird auch ein stereotypes rassistisches Narrativ bedient, das sinngemäß lautet: Weil die "schlampigen" weißen Frauen die "potenten Schwarzen" und nicht "uns" blasse /pol/-Kerle wollen, sterben "die Weißen" aus.

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In den Kommentaren finden sich antisemitische Codes, rassistische Beleidigungen. Teilweise geben sich die Kommentarschreiber als Frauen und Moslems aus, um ihre Beleidigungen legitimer wirken zu lassen | Bild: Screenshot, YouTube, SophieEliseVEVO.

Genau diese Bildsprache benutzt die norwegische Sängerin Sophie Elise – und gerät deshalb ins Fadenkreuz der 4chan-Hater. Im Song tanzt sie nicht nur perfekt choreographiert mit einem durchtrainierten schwarzen Mann. Sie haucht auch immer wieder die Zeile "I'm gonna fuck all your friends" ("Ich werde alle deine Freunde ficken") in die Kamera. Obwohl es in dem Lied einfach nur um eine Frau geht, die Rache nehmen will an einem Freund, der sie mies behandelt hat, ist allein die Darstellung für die 4chan-Gemeinde ein Politikum: Die Apokalyptiker von /pol/ sehen in dem Popsong den großen Rassenkampf kommen.

Dass /pol/ tatsächlich hinter solchen zielgerichteten Angriffen steht, ist meistens schwer zu belegen. In diesem Fall gibt es jedoch eindeutige Hinweise. "Helft mit, mehr Öl ins Hassfeuer zu gießen /pol/" liest sich etwa ein Aufruf in einem der zahlreichen Threads des Boards zum Thema (etwa hier, hier und hier). In den Threads klopfen sich anonyme /pol/-Poster gegenseitig auf die Schulter und beglückwünschen sich zu einem erfolgreichen "raid". Die rassistischen Kommentare wurden zum großen Thema in Norwegen.

Norwegische Medien berichteten und zitierten einen Manager von Sophie Elise Musiklabel Universal, der sich ratlos zeigt, wie mit solchen Kommentaren umzugehen sei. Eine Freundin von Sophie Elise brach in einem Video sogar in Tränen aus, nachdem sie die Kommentare las. "Meine beste Freundin @fetishamlynn hat mir mitten in der Nacht geschrieben, dass sie weint, und gefragt, wie die Menschen so auf sie herabblicken können, denn sie hat auch eine andere Hautfarbe als ich. 'Warum bin ich weniger wert?' hat sie gefragt", schreibt Sophie Elise auf Instagram.

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Neben den Threads auf /pol/ gibt es aber auch noch weitere Hinweise auf die Beteiligung des Boards. Der Shitstorm in den YouTube-Kommentaren folgte dem üblichen Vorgehen früherer /pol/-"Raids", die eine Gruppe von Forschern per Datenanalyse beobachten konnten. In ihrer Studie "Kek, Cucks, and God Emperor Trump: A Measurement Study of 4chan's Politically Incorrect Forum and Its Effects on the Web" zeigen Informatik-Professor Jeremy Blackburn und seine Kollegen, dass gerade die Kommentarspalten von YouTube-Videos zu den beliebtesten Angriffszielen von /pol/ gehören. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass gerade zur deutschen Bundestagswahl im September mehr solcher Angriffe zu erwarten sind. Denn die Forscher um Blackburn zeigten auch, dass die Community von /pol/ international aufgestellt ist und auch viele aktive Nutzer aus Deutschland kommen.


Bei Broadly: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos


Sophie Elise, die 2015 vom norwegischen Medienmagazin medier24 als wichtigste norwegische Bloggerin bezeichnet wurde, kritisiert den Rassismus in den Kommentaren aufs Schärfste und verteidigt online den schwarzen Tänzer im Video: "Ich hätte mit dem Mann, den ich gewählt habe, nicht zufriedener sein können." Auf /pol/ ist Sophie Elise, drei Tage nach Veröffentlichung des Videos, kein Thema mehr. In den verbliebenen Threads zum Musikvideo klingen eher Zweifel über den Sinn der Aktion an: "Wir haben ihr viel mehr Aufmerksamkeit gegeben, als sie haben sollte. Sie wird einfach nur einen Weg finden, Geld damit zu machen und darüber schreiben, wie traurig und verletzt sie ist, damit alle Mitleid mit ihr haben."

Ruby Morrigan hat bei der Recherche und Übersetzung von norwegischen Quellen geholfen