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Popkultur

4 Dinge, die wir von Bibis YouTube-Kanal über Schwangerschaft lernen

Bianca Heinicke aka BibisBeautyPalace wird Mutter – und zeigt auf ihrem Kanal, wie man Kinder schon vermarktet, bevor sie überhaupt geboren wurden.
Screenshot aus dem Video "Unser erster BABY HAUL" von BibisBeautyPalace

Im Mai landete ein Content-Komet unglaublichen Ausmaßes in YouTube-Deutschland und hinterließ einen Krater, der seither fleißig mit optimal vermarkteten Videoaufrufen und Markenkooperationen gefüllt wird: Die 25-jährige Bianca Heinicke aka BibisBeautyPalace, mit über 5 Millionen Abonnenten Deutschlands erfolgreichster YouTube-Star, verkündete ihre Schwangerschaft.

Seitdem posten die Influencerin und ihr Partner Julian Claßen ("Julienco", ebenfalls 25) auf YouTube und Instagram regelmäßig Updates zu Bibis Pinkelverhalten, Bibis Bauch und Bibis liebsten Umstands-Outfits. Aktuell befindet sie sich in der 35. Schwangerschaftswoche – also einen guten Monat vor der Geburt. Dass sie bei dieser Gelegenheit sehr viele Markenprodukte in die Kamera halten, versteht sich eigentlich von selbst. Aber: Kann ich als geneigte Zuschauerin, die zumindest die körperlichen Voraussetzungen für eine Schwangerschaft besitzt, wirklich etwas über Babys, Geburt und die Wunder des weiblichen Körpers lernen? Nach fast fünf Stunden Materialsichtung lautet die Antwort ganz eindeutig: Ja.

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1. Schwangerschaft ist das perfekte Marketing-Tool

"Changes… [Herz-Emoticon]", das Video, in dem Bibi und Julian die frohe Baby-News verkünden und dabei mutmaßlich unbeabsichtigt den harmonischsten Drogentrip aller Zeiten inszenieren, war zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung das meistgesehene YouTube-Video Deutschlands. Mittlerweile hat es über 6 Millionen Aufrufe gesammelt, das Anschlussvideo "Wir reden das 1. Mal über unsere Schwangerschaft" wurde ganze 5 Millionen Mal aufgerufen. Wer Bibi liebt, der möchte eben auch die ganz großen Veränderungen mit ihr teilen. Und Bibi weiß das.

Seit der ersten Ankündigung postet sie regelmäßig Updates zu ihrer Schwangerschaft, in denen sie über ihre Frauenarzttermine spricht und thematisiert, wie das Baby schon jetzt ihren und Julians Alltag verändert. Spoiler: nicht so sehr, wie man meinen würde. Julian dreht nämlich immer noch "total verrückte" Challenges und Bibi kauft immer noch primär Dinge ein, die sie anschließend in die Kamera hält. Statt Wimperntusche und Schuhe sind es jetzt eben Gesichtscremes für Säuglinge und Brustwarzensalbe. Aus Markensicht ist das natürlich eine echte Chance, schließlich hat die followergenerierende Wollmilchsau als werdende Mutter ganz andere Bedürfnisse als in ihrer Rolle der duschschaumvertreibenden Beauty-Göttin – und kann somit auch ganz neue Zielgruppen ansprechen. Die Deutschen geben im Jahr immerhin rund 7 Milliarden Euro für Baby- und Kinderausstattung aus – und Influencerinnen wie Caty Hummels haben bereits bewiesen, dass sich junge Mütter bei ihren Kaufentscheidungen auch in den Sozialen Medien inspirieren lassen.

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Im Video "… keine Babysachen mehr, Trip war umsonst" spricht Bibi beispielsweise sehr ausführlich über Slipeinlagen, die man sich als junge Frau auch außerhalb seiner Periode eigentlich durchgehend in den Schlüpper kleben sollte. Warum genau, erklärt sie nicht. In ihrem speziellen Fall ist allerdings vorstellbar, dass der ständige Drang zu pinkeln etwas mit dem Wunsch nach zusätzlichem saugfähigen Material im Schritt zu tun haben könnte. Was braucht man als werdende Mutter sonst noch so? Klar, Dinge, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann, während man erschöpft auf der Couch liegt – zum Beispiel Handyspiele. Wer also auf das Video "unsere aktuellen Probleme" klickt, weil er Angst hat, dass irgendetwas mit Bibis Baby passiert ist, bekommt neben der Information, dass die Probleme dann doch nicht ganz so problematisch sind wie suggeriert, ganz nebenbei noch App-Empfehlungen obendrauf. Und wer wissen möchte, wie der Bauch der Unternehmerin aussieht, kann sich die neuesten Fotos natürlich auf Instagram anschauen. Nur auf Instagram. Die Follower generieren sich schließlich nicht von selbst.

2. Influencerinnen sind anders schwanger als normale Menschen

Die Schwangerschaft ist eine Zeit voller erster Male. Das erste Mal den winzigkleinen Menschen auf einem Ultraschallbild sehen, das erste Mal die Bewegungen des Babys im Bauch spüren, das erste Mal mit fettigen Haaren und am Rand eines Nervenzusammenbruchs den kompletten Vormittag mit dem Kopf über der Kloschüssel verbringen, weil der eigene Körper hormonell komplett ausrastet und beschließt, dass er außer einem Embryo absolut gar nichts mehr bei sich behalten möchte – all das sind magische Momente, von denen man noch seinen Kindern und Kindeskindern erzählen wird.

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YouTube-Stars wie Bibi teilen diese Geschichten allerdings nicht nur mit der Familie oder dem erweiterten Bekanntenkreis, sondern mit der ganzen Welt. Und machen dabei einmal mehr deutlich, dass Orwells Animal Farm sich auch problemlos auf die Unterschiede zwischen uns normalen Menschen und den schöneren, glücklicheren, erfolgreicheren Social-Media-Stars übertragen lässt: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher als andere.

Sicherlich wird sich die Frau, die erfolgreicher als jede andere in Deutschland die Illusion eines vermeintlich perfekten Lebens zu Geld macht, nicht dabei filmen, wie sie sich mit einer hormonell bedingten Blasenentzündung auf der weißen Couch krümmt. Wie wenig die Schwangerschaft an ihrem perfekten Äußeren rüttelt, ist dann aber doch etwas frech. Ihre Haut wirkt trotz Hormonchaos porentief rein, die Frisur sitzt trotz tropischer Temperaturen in der Dachgeschosswohnung. Immer wieder betont Bibi, wie wenig sie bisher zugenommen habe, und dass sie bisher keinen einzigen Dehnungsstreifen entdecken konnte, obwohl sie sich nur unregelmäßig den Bauch einölt. Parallel trifft ein Paket nach dem anderen ein, in denen ihr Fans Kinderkleidung oder kleine Aufmerksamkeiten schicken. Und was Bibi selbst nicht mehr hinbekommt, übernimmt eben ihr Partner Julian für sie. Da beide Vollzeit-YouTuber sind, muss sie schließlich nie alleine zu Hause sitzen.

Wenn ihre junge Zuschauerschaft glaubt, dass das ein realistisches Bild von Schwangerschaft vermittelt, kann sich die Politik zukünftig bei BibisBeautyPalace für explodierende Geburtenraten bedanken.

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3. Männliche Babys dürfen ausschließlich Blau, Grau und Weiß tragen

Alle Wegpunkte der Menschwerdung des Royal Babys des deutschen YouTube-Kosmos lassen sich in wertvolle Klicks verwandeln und werden deswegen nur tröpfchenweise ans euphorische Publikum verabreicht: welches Geschlecht, wann der Geburtstermin, welcher Name. Und welche Art von Produkten Bibi und Julian in Zukunft mit ihrem Baby vermarkten können, interessierte so viele Menschen, dass "… das Geschlecht unseres Babys [Baby-Emoticon] unsere Reaktion!" mittlerweile fast 3 Millionen Aufrufe hat. Es wird ein Junge, was Julian freut, weil er ja auch ein Junge ist, wenn auch ein erwachsener, und sich somit selbstverständlich besser mit Jungs auskennt. Außerdem kann sich der werdende Vater schon sehr gut vorstellen, wie sein Sohn im Garten Fußball spielt. Was Jungs halt so machen.


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Die Info war auch deswegen so wichtig für die jungen Eltern, weil das Geschlecht natürlich bestimmt, welche Farben die Strampler haben dürfen, die Bibi und Julian in mehreren Vlogs gleich en Masse einkaufen. Vor ihrem Geschlechtsverkündungsvideo mussten sie das sogar heimlich machen, schließlich hätte niemand mehr auf das Video geklickt, wenn schon vorher Fotos öffentlich gemacht worden wären, auf denen man Bibi mit einem blauen Strampler sieht.

(Ein komplettes Video dreht sich darum, wie die beiden ins niederländische Venlo fahren, dann aber feststellen müssen, dass das Geschäft bereits "geschlossen" hat. Was nur unwesentlich von der Tatsache konterkariert wird, dass das "Geschäft" offensichtlich leersteht und ein Zettel im Schaufenster es als "zu vermieten" ausweist. Aber natürlich auf Niederländisch, und wer von den Leuten, die Bibi und Julian beim Klamottenkauf zugucken, spricht das schon?)

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Wie dem auch sei, schließlich gibt es nicht nur in den Niederlanden Babyklamotten, sondern auch in Köln. Und wenn sich da nichts findet, bestellt Bibi eben Sachen im Internet. Paketlieferungen sind schließlich elementarer Bestandteil eines jeden Vlogs. In "Unser erster BABY HAUL [Baby-Emotion, Strampler-Emoticon]" präsentieren die werdenden Eltern also in schönster Lifestyle-Vlogger-Manier die Früchte ihrer harten Shopping-Arbeit im Farbspektrum: Blau, Grau und Weiß. Ist halt ein Junge. Was will man machen. Jungs haben schon immer Blau getragen, das kann man nicht ändern, auch nicht als einflussreiche Vertreterin einer jungen Generation, die schon allein aufgrund ihrer Reichweite und des damit verbundenen Einflusses gegen dämliche Geschlechterklischees vorgehen könnten. Aber gut. Wenn ein namhafter Sporthersteller sich mit einer geschlechterbildersprengenden Kleinkinderkollektion an die YouTube-Stars wendet, trägt der Junge bestimmt auch Rosa.

4. Schwangerschaft zeigt, dass sogar YouTube-Superstars nur Menschen sind

Bei aller Kritik und den offensichtlichen Versuchen, die eigene Schwangerschaft als Content-Generator auszuschlachten, bleibt nach fast fünf Stunden Videomaterial eine Erkenntnis: Am Ende sind die 25-jährige Bibi und ihr Verlobter auch nur zwei junge Menschen, die zum ersten Mal Eltern werden und ganz normale Sorgen haben. Die werden zwar mit reißerischen Überschriften deutlich größer aufgeblasen, als sie schlussendlich sind, bieten stellenweise aber doch einen Einblick dahin, wie überfordert die beiden tatsächlich sind. In dem Video, in dem Bibi ihren Fans zeigt, was sie in die Tasche packt, die sie mit ins Krankenhaus nimmt, wenn die Wehen einsetzen, fokussiert sie sich schon beinahe rührend auf die Klamotten, die sie tragen wird. Alles in Schwarz oder Weiß, weil das kann man gut miteinander "kombinieren". Als sie zeigt, welchen Strampler ihr Kind direkt nach der Geburt tragen soll, ruft Julian aus dem Off: "Jetzt tust du so cool, aber wir haben drei Stunden gebraucht, um das auszusuchen!"

Richtig verzweifelt wirkt das Paar, als sie sich in einem Vlog an ihre Abonnentinnen und Abonnenten wenden und nach Hebammen fragen. "Wir wurden wie die letzten Opfer überall abgelehnt", sagt Julian – in Deutschland fehlen momentan Tausende Hebammen, da hilft es offenbar nicht einmal, Influencer zu sein. Bibi sitzt mit nachlässig hochgemachten Haaren und im Hoodie daneben und sieht plötzlich gar nicht mehr aus wie die perfekte werdende Mutter, die immer lacht und in dieser aufregenden Phase ihres Lebens nichts als Glück verspürt. "Ich fühle mich damit total überfordert", sagt sie.

Vielleicht, ganz vielleicht, macht das Wunder des Lebens uns am Schluss also doch alle gleich. Inklusive Morgenübelkeit, Unterleibskrämpfen und dem Wunsch nach möglichst weichem Klopapier. Weswegen Bibi dann doch noch einen ganz praktischen Tipp für die Zeit nach der Geburt hat, die man als frischgebackene Mutter noch im Krankenhaus verbringen muss: "Viele sagen, dass es für sie so richtig unangenehm war, dieses dünne, harte Klopapier zu haben. Da dachte ich mir: Wenn da unten eh alles so wund und offen ist, dann nehme ich lieber mein schönes, weiches Klopapier mit."

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