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Fußball-WM 2018

Diese 3 Zitate aus Bierhoffs Anti-Özil-Interview zeigen, was bei der DFB-Elf falsch läuft

Die Welt fragt den Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft, was sich nach dem WM-Aus ändern muss – und der drischt auf Mesut Özil ein.
Foto: imago | ULMER Pressebildagentur

Über eine Woche ist es her, dass Die Mannschaft™ zum ersten Mal in ihrer Geschichte in der Vorrunde einer Fußball-Weltmeisterschaft ausgeschieden ist. Und das auch noch als Gruppenletzte, hinter Mexiko, Schweden und Südkorea. Das WM-Aus war sportlich verdient, Deutschland befindet sich seither trotzdem in einer Art Schockstarre – und sucht verzweifelt nach Schuldigen. Am rechten Rand hatte man sich schnell auf einen Buhmann geeinigt: Mesut Özil, knapp hundertfacher Nationalspieler und ehemaliger Weltmeister, der vor der WM für ein (zu Recht kritisiertes) Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan posiert hatte.

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Jetzt veröffentlichte die Welt ein Interview, in dem auch Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff sich plötzlich recht sicher scheint, dass es keine so gute Idee war, Özil mit nach Russland zu nehmen. Der Ex-Fußballprofi traf in dem Artikel mehr als eine Aussage, die sinnbildlich dafür steht, was bei der deutschen Fußballnationalmannschaft gerade falsch läuft.

"Man hätte überlegen müssen, ob man auf Özil verzichtet"

Die Überschrift des Interviews ist zwar leicht irreführend. Auch die Artikelvorschau – wer kein Welt+-Abo hat, sieht nur die Frage nach Özil – legt nahe, dass Bierhoff vor allem über den in Ungnade gefallenen Nationalspieler gesprochen hat. Tatsächlich kommt der Teil erst gegen Schluss. Die Welt hat das Thema also größer gemacht, als Bierhoff es wahrscheinlich beabsichtigte (mit Erfolg übrigens: In den sozialen Netzwerken sorgte das Thema für jede Menge Irritation). Schwierig bleibt Bierhoffs Aussage trotzdem.

"Ich glaube, die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftigt", beschwichtigt er zunächst. Anschließend spricht er aber davon, dass es "bei Mesut nicht gelungen" sei, ihn "für eine Sache zu überzeugen", und schlussfolgert: "Insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet." Das bezieht sich in der konkreten Antwort zwar darauf, dass Özil nach der Erdoğan-Kontroverse nicht bei einer DFB-Pressekonferenz aufgetaucht war. Liest sich im Kontext des kompletten Interviews aber wie: Wenn sich der türkischstämmige Spieler nicht deutlich genug distanziert, darf er nicht Teil der deutschen Nationalmannschaft sein. Und ist in dieser verqueren Logik auch irgendwie mitverantwortlich dafür, dass es bei der WM so historisch schlecht lief.

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Rückendeckung und mannschaftlicher Zusammenhalt sehen anders aus. Umso absurder, dass Bierhoff im Anschluss betont, "nicht einzelne Spieler oder Mitarbeiter an den Pranger stellen" zu wollen. "Das ist nicht unsere Art, mit Menschen, die über Jahre hinweg viel für uns geleistet haben, umzugehen." Schon klar.

"Ich glaube, am Ende waren zu viele Spieler mehr mit sich selbst beschäftigt"

Interessant ist, dass Oliver Bierhoff allgemein dazu tendiert, die Schuld von der sportlichen Leitung auf die Spieler abzuwälzen. Zwar betont er immer wieder, dass nicht nur bei der Mannschaft "konkrete Maßnahmen" ergriffen werden müssten, sondern es "personelle Änderungen auf allen Ebenen" geben sollte. Für Bundestrainer Jogi Löw findet Bierhoff allerdings fast nur positive Worte. Wenn es Kritik in den eigenen Reihen gibt, trifft die vor allem die Spieler.


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"Ich glaube, am Ende waren zu viele Spieler mehr mit sich selbst beschäftigt", so Bierhoff auf die Frage, ob die Zusammensetzung des Kaders möglicherweise nicht optimal gewesen sei. Das erklärt er zwar unter anderem damit, dass viele nicht unbedingt "mit einem riesigen Erfolgserlebnis" im Rücken zur WM gefahren seien. Die Kritik von Fan- und Medienseite, moderne Fußballspieler interessierten sich nur noch für ihren Instagram-Feed und die eigene Karriere, nicht für das Wohl des Teams , schwingt aber in mehreren Antworten Bierhoffs mit.

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"Natürlich hätte ich es am liebsten, dass sie weniger aufs Handy schauen und keine unnötigen Posts ins Netz stellen", sagt er zum Beispiel. An anderer Stelle wird er zitiert mit: "Wir sind alle angehalten, den Spagat zu finden – zwischen Social Media, der Einzelvermarktung und dem Mannschaftsgedanken." Wer auf Social Media unterwegs ist oder auch außerhalb der Nationalelf stattfindet, steht also dem "Mannschaftsgedanken" entgegen, suggeriert Oliver Bierhoff. Womit der geschäftstüchtige Manager allerdings keine Probleme hat: die Kommerzialisierung des Fußballs und seiner Stars. "Wer glaubt, dass ein Spieler besser spielt, wenn er keine Logos auf dem Trikot hat, täuscht sich", sagt Bierhoff. Wir lernen: Selbstvermarktung ist schwierig – außer der DFB profitiert davon finanziell.

"[Die Menschen] sehen, ob ein Spieler stolz ist, für die Nationalmannschaft zu spielen. Das müssen wir wieder vermitteln"

Wer dachte, dass schon das Özil-Bashing verdächtig danach klingt, als hätte sich Bierhoff ein bisschen zu sehr auf dem Niveau der fremdenfeindlichen Stimmen rund um die Nationalelf eingependelt, der versteht spätestens bei dieser Aussage: Auch beim DFB wird 2018 verzweifelt versucht, AfD-Wähler abzuholen.

Klar: Identifikation mit einer Mannschaft ist auch auf Spielerseite wichtig. Wer keine letzte Motivation spürt, für ein Team zu spielen, gibt nicht alles. Diese Motivation aber auf das Thema "Nationalstolz" herunterzubrechen, bedient rechte Argumentationsmuster – und gibt jenen Kritikerinnen und Kritikern Recht, die deutsche Identität vor allem an Hautfarbe und fehlendem Migrationshintergrund festmachen. Wer das tut, macht überhaupt erst Unterschiede innerhalb eines Teams auf, in dem sich doch eigentlich niemand ausgeschlossen fühlen sollte. Oder was soll man unter dem Nationalelf-Hashtag #zsmmn sonst verstehen?

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Wie genau sich Oliver Bierhoff diese patriotische Offensive vorstellt, erklärt er nicht. Deutschland ist allerdings nicht zu einer der erfolgreichsten und spielerisch stabilsten Fußballnationen der Welt geworden, weil jeder die Nationalhymne mitgesungen, sich die Zähne mit schwarz-rot-gold gebrandeten Zahnbürsten geputzt und die Herkunft seiner Großeltern geleugnet hat.

Am Schluss gilt aber halt auch 2018 noch: Alle Nationalspieler sind gleich, aber manche sind eben gleicher als andere. "Gehen Sie davon aus, dass die Mannschaft ein neues Gesicht bekommen und zeigen wird", sagt Bierhoff am Schluss des Welt-Interviews. Wenn es nach den Leuten geht, die seine Aussagen gegen Özil bejubeln, hat dieses Gesicht nur eine Farbe: weiß.

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