Wenn du an Heavy Metal denkst, ist die Schweiz vielleicht nicht das erste Land, welches dir in den Sinn kommt. Gräbst du jedoch ein bisschen tiefer, entdeckst du bald den prägenden Einfluss, den unsere Heimat auf die Metal-Geschichte hatte. Und auch heute bewegen sich die helvetischen Acts immer noch zielstrebig auf das Level von internationalen Metal-Giganten zu. Mit dem aktuellen Boom an aufregenden neuen Bands und der Reformation vieler 90er- und 2000er-Titanen steht dem Schweizer Metal vermutlich sogar eine goldene Ära bevor. Zeit, einen Blick in unsere Metal-Szene zu werfen.
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Laut der Metal-Enzyklopädie Metallum, gibt es hierzulande 523 aktive Metalbands. Die Schweiz hat somit weltweit eine bemerkenswert hohe Position erreicht (auch wenn sie mit Skandinavien natürlich nicht mithalten kann). Was kann denn in einem Land, welches aufgrund der regionalen Sprachunterschiede nicht mal über eine nationale Zeitung verfügt, schon über Metal gesagt werden? Klar, es gibt etliche Bands in jedem möglichen Subgenre. Doch existiert auch eine Verknüpfung, welche die vielen, diversen Teile zu einem Ganzen zusammenfügt? Diese Frage lässt sich vermutlich in Anbetracht der typischen Schweizer Charakteristiken beantworten.Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass die Kunst eines Landes von deren Landschaft, Kultur und Politik geprägt ist. Auch auf Metal trifft dies zu 100 Prozent zu. In den 70ern wurde die Szene noch von einigen erfolgreichen Rock- und Prog-Rock-Bands wie Gotthard, Krokus, Toad, Krokodil und The Young Gods geprägt. Doch die wirkliche Schweizer Metal-Bewegung begann erst in den 80er Jahren mit der legendären Band Celtic Frost.Der internationale Einfluss von Thomas Gabriel Fischer, dem Gründer von Celtic Frost, sowie deren Vorgänger Hellhammer und seinem neuesten Projekt Triptykon kann nicht verleugnet werden. Die einst eher thrashigen Black-Metal-Alben von Celtic Frost wurden immer weiter von einem Stilwechsel Richtung Doom und Avantgarde abgelöst. Ihr nun gotischer, hypnotisierender Sound wurde mit Sicherheit vom Leben im Schatten unser majestätischen Alpen inspiriert.
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Bis heute ist der Einfluss der Alpen auf den hiesigen Metal deutlich spürbar. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Folk-Metal-Band Eluveitie. Die Band gilt als eine der bedeutendsten musikalischen Exporte unseres Landes und ist per Definition schweizerisch: "Eluveitie" ist ein Wort aus dem antiken Etruskisch und bedeutet "Schweiz". Die Band spielt auf traditionellen Folklore-Instrumenten, wie zum Beispiel der Drehorgel und dem Dudelsack. Ausserdem heisst einer ihrer bekanntesten Songs "The Call Of The Mountains". Neben Eluveitie vertont auch die Post-Hardcore-Band Oregon Trail aus Neuchâtel die eher bescheidene jurassische Berglandschaft als Teil des kargen Landschaftsbildes der Schweiz. Der Einfluss der Schweizer Geographie ist also auch hier deutlich erkennbar.Auch die uns viel nachgesagte Präzision findet sich nicht bloss an den Handgelenken der Uhrenträgerinnen und -träger – sie hat sich gesellschaftlich tief eingenistet und zeigt sich auch in der Musik. Ein leicht technisches, langatmiges Flair bleibt in allen Metal-Subgenres spürbar. Coroner gilt hierbei als prägender Wegbereiter.Alle Bands, mit denen für diesen Artikel gesprochen wurde, führten die progressiven Zürcher Thrash-Legenden Coroner als ihren bedeutendsten Einfluss an – obwohl Coroner während ihrer Blütezeit Ende der 90er international auf relativ geringes Interesse gestossen war. Frontmann Tommy Vetterlis chromatisches Gitarrenspiel (Halbton, Halbton, Halbton, Ratatatatat) zeigt sich auch in den Produktionen moderner Schweizer Bands wie Knut, Nostromo und Erkonauts. Vor Kurzem formten sich Coroner nach einem langjährigen Unterbruch neu und veröffentlichten 2016 ihr Album / Blu-Ray-Package Autopsy. Zudem legten sie am französischen Hellfest letztes Jahr eine spektakuläre Performance hin. Steve Huber, Gitarrist der Progressive-Metal-Band Time Grid und Gitarrenlehrer an der Genfer Schule für kontemporäre Musik, äusserte sich ebenfalls zu Coroner: "Die Alben Mental Vortex und Grin haben mich stark beeinflusst. Die Band half mir, die Clichés der zeitgenössischen Musik zu umgehen und mit mehr Farben, Techniken und verschiedenen Modi zu spielen."
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Wie wir wissen, hält sich unsere Nation seit Jahrhunderten mehr oder weniger erfolgreich aus allem raus, was seinem Ruf als neutrales Land schaden könnte, und das Bünzlitum verleiht Helvetia eine komfortable Hülle, die sie vom Rest Europas abschirmt. Dies und die gesellschaftlich schon beinahe erzwungene Bescheidenheit des typischen Schweizers und der typischen Schweizerin wird unserer Musikindustrie aber zum Verhängnis. Für Bands, die den Durchbruch tatsächlich schaffen, wird kaum geworben. Das Gratismagazin der französischsprachigen Schweiz, Daily Rock, bietet zwar ein Band-Verzeichnis und eine Plattform für Reviews. Dennoch existiert hierzulande kein einziges nationales Metal-Magazin. Trotz der hochwertigen musikalischen Ausbildung an Schweizer Schulen wird gemäss vielen Musikern das professionelle musikalische Können nur gering geschätzt.
Was nicht vergessen werden darf, sind die riesigen regionalen Unterschiede. Der Charakter der Metalbands variiert von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, von Kanton zu Kanton und von Sprachregion zu Sprachregion. Frederyk Rotter ist Gitarrist und Sänger der Band Zatokrev und Gründer des Basler Labels Czar of Crickets. Auch er bemerkt eine musikalische Kluft, die sich im Röstigraben am stärksten manifestiert. "Ich habe den Eindruck, dass viele Metalbands aus der Romandie ihre Wurzeln bei alternativen Hardcore- und Punk-Genres haben, wohingegen sich die Deutschweiz eher am ‘wahren’ oder ‘klassischen’ Metal anlehnt. Wenn man in der Deutschschweiz einer Band zuschreibt, sie klinge, als sei sie aus der Romandie, wissen alle genau was dies bedeutet", meint er.
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Rotter kann in der Produktion von Schweizer Metal dennoch ein Verbindungselement ausfindig machen, welches den vielfältigen Sound unseres Landes vereint: eine gewisse Kälte. Er erklärt: "Egal ob die Band älter ist, wie zum Beispiel Young Gods, Celtic Frost, Fear of God und Bloodstar oder wie Knut, Kruger, Nostromo, Unfold, Darkspace und Bölzer erst später aufgekommen ist – sie haben meiner Meinung nach alle etwas Trostloses, Kaltes und Eisiges, was an das Schweizer Klima und das raue Landschaftsbild erinnert."In den letzten drei Jahren hat vor allem die damals noch unbelebte Basler Metal-Wüste eine Metal-Explosion miterlebt. Die Doom-, Death-, und Sludge-Metal-Band Zatokrev wurde 2015 als erste Metal Band für den hochgeachteten Basler Pop-Preis nominiert und erweckte so die Szene zum Leben. Schammasch folgte ein Jahr später und wurde im selben Jahr noch Headliner fürs erste Czar Fest, welches von Czar of Crickets veranstaltet wurde. Das Czar Fest war die allererste Show für Zeal & Ardor kurz vor ihrem kometenhaften Aufstieg. Am diesjährigen Czar Fest war die Extreme-Gothic-Metal-Band Triptykon Headliner. Hierzu meint Rotter: "Letztes Jahr fragte mich eine deutsche Zeitschrift, wie Basel denn eigentlich zu einer Metal-Stadt geworden ist. Da realisierte ich, was gerade geschah: Wir haben mehr Bands, Managements, Labels und Booking-Agenturen, die von jungen, motivierten Leuten angetrieben werden, als jemals zuvor."
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Ich selbst lebe in Genf, wo mir stets gesagt wird, die Metal-Szene sei ausgestorben und bereits Ende der 90er Jahre ausgebrannt. Hältst du jedoch die Augen offen, so findest du mit Bestimmtheit an jedem gegebenen Abend eine Band, die irgendwo auftritt. Sei es auch nur vor einem winzigen Publikum. Jedes Subgenre hat seine treuen Anhänger: sowohl Impure Wilhelminas verzwickter Post-Hardcore als auch Bands wie Cardiac, Voice of Ruin, Kess’khtak, Stortregn, Rorcal und Nansis. Des Öfteren präsentieren lokale Venues insgeheim einige der bedeutendsten Namen der Metal-Geschichte. Beispielsweise spazierte ich 2017 immer wieder mal in meine Stammkneipe L’Usine, bloss um mich im Pit bei Paradise Lost, Napalm Death, Cattle Decapitation und Power Trip wiederzufinden.Debbie Smee aus Genf reist als loyaler Schweizer Metalhead durchs ganze Land, um die bekannten Locations in Zürich, Pratteln und Lausanne zu besuchen. Sie ist mit der Aussage, Genf habe keine Metal-Szene, überhaupt nicht einverstanden. "Klar gibt es eine Szene. Du musst bloss nach ihr suchen", sagt Debbie.Eine Schweizer Metal-Szene zu definieren ist etwa so schwierig, wie das Schweizer-Sein zu definieren. Eine Szene ist weder eine Gemeinschaft, noch ist sie ein physischer Raum. Sie ist etwas Kurzlebiges, etwas Imaginäres, Flüssiges, der Nexus einer Vielfältigkeit. Diese Szene weitet sich gerade immer weiter aus und erhält endlich das internationale Ansehen, welches sie verdient.
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Dies sind die Bands, welche die Kreativität des zeitgenössischen Schweizer Metal repräsentieren:Der Basler Manuel Gagneux eroberte mit seinem einzigartigen Black-Metal-Projekt 2017 die Welt. Sein experimentelles Debüt Devil Is Fine, in dem Black Metal mit Blues und amerikanischen Sklaven-Gesängen verschmilzt, erhielt weltweit hohe Anerkennung. Eine Reihe hastig arrangierter Live-Auftritte stellte ausserdem seine Fähigkeiten, Live zu spielen, unter Beweis – zu seinen Gunsten. Obwohl er etwas ausserhalb von Basel aufwuchs, seine Bandmitglieder von seinem Heimatdorf aus anwarb und bis vor Kurzem seinen obligatorischen Schweizer Zivildienst leistete, bezeichnet er seine Musik nicht als schweizerisch. Mit seinem Zweitling Stranger Fruit schliff Manuel seinen Sound weiter und konnte Kritiker und Fans überzeugen, dass Zeal & Ardor kein One-Hit-Wunder ist. Der Erfolg führt die Band gerade mit Auftritten um den Globus – und sie sind Gast an jedem relevanten Metal-Festival.Requiem steht für Oldschool Death Metal. Seit 2001 hat die Band acht Alben veröffentlicht, die nebenbei auch in vielen deutschen Medien positive Reviews erhielten. Ihr neuestes Album Global Resistance Rising wurde im März 2018 veröffentlicht. Nachvollziehbare, aber keineswegs simple Strukturen machen die Band seit 20 Jahren zu einer Underground-Erfolgsgeschichte. Ihr Groove wird von mächtigem Speed und messerscharfen Riffs getragen. Die Schweizer Metal-Webseite Metalfactory.ch beschreibt Requiem als "DAS eidgenössische Aushängeschild in Sachen harten Metal". Ab Herbst 2018 ist Requiem auf einer Vielzahl Schweizer Bühnen zu sehen, unter anderem am Meh Suff! Metal-Festival in Hüttikon vom 7. - 8. September.
Zeal & Ardor
Requiem
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Nostromo
The Erkonauts
Schammasch
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Darkspace
Darkspace wird mit sphärischem Black Metal in Verbindung gebracht, der von der kosmischen Mystik und der furchteinflössenden Majestät des Universums getragen wird. Das Berner Trio, bestehend aus zwei Gitarristen und einem Bassisten (Wroth, Zorgh und Zhaaral), vermeidet bewusst Interviews und Songtitel. Trotz ihrer Anonymität haben sie einen beträchtlichen Einfluss auf die sphärische Black-Metal-Szene. Ursprünglich von Samael inspiriert, führte Darkspace ihre kosmischen Elemente in ein viel kargeres Gebiet über. Obschon sie nur selten live auftreten, spielten sie am diesjährigen Deathfest in den Niederlanden und in Maryland.
Bölzer
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Impure Wilhelmina
Colossus Fall
Voice of Ruin
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Coilguns
VIVRUM
Metal bietet mehr als nur einen schmerzenden Nacken:
Folgt Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram und SpotifyDieser Artikel stammt ursprünglich aus unserer Redaktion in den USA.