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I said what I said

Liebe Weiße Mitmenschen

Warum ich mit euch nicht mehr über Rassismus sprechen möchte, den ihr nicht wahrnehmen wollt.
Autorin hält sich die Hände vor den Mund
Foto: Steven Meyer

Dieser Artikel ist Teil unserer Kolumne 'I said what I said'.

Mit hellhäutigen Menschen über Rassismus zu reden, ist für People of Color wie Topfschlagen im Minenfeld. Spätestens nach #Metwo, wo Betroffene auf Twitter über rassistische Erlebnisse berichtet haben, ist eines klar: Wenn Rassismus offen angesprochen wird, dann folgen darauf noch mehr Rassismus und noch mehr Diskriminierung. Deswegen hat Reni Eddo-Lodge ein Buch geschrieben, in dem sie sagt, dass sie nicht mehr mit Weißen über Rassismus sprechen möchte. So geht es vielen. So geht es auch mir.

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Auch ich musste schon oft erklären, warum etwas rassistisch ist oder warum es mich verletzt, wenn ich dauernd erklären muss, wo ich WIRKLICH herkomme. Ein Arbeitskollege nahm mich sogar einmal beiseite, um mir zu erklären, dass das N-Wort in Österreich einfach ganz normaler Sprachgebrauch sei.

Wir lernen früh, dass Rassismus eine Tat ist, die von einem Individuum mit böser Absicht ausgeführt wird. Rassismus ist aber nicht nur, dass Nazis einen Ausländer verdreschen oder Asylunterkünfte anzünden. Rassismus beschränkt sich nicht auf eine einzige bösartige Handlung einer Person, es ist ein System, in dem wir leben und sozialisiert werden. Rassismus sind Reaktionen und Denkweisen, die wir erlernen und nicht hinterfragen.


Auch bei VICE: Die Black Women's Defense League kämpft mit Waffen gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit


Wenn man selbst mir einreden kann, dass Schwarze Babys dreckig sind und abfärben, kann sich wirklich niemand rausreden. Wir alle haben das ein oder andere Vorurteil, auch ich. Auch du. Menschen werden in zwei Kategorien eingeteilt: Weiß und Nicht-Weiß. Weiß gilt als die Norm, daher werden auch nur Menschen, die Nicht-Weiß sind, explizit benannt und gruppiert. Ein einfaches Beispiel dafür findet man in jedem Bücherregal: Protagonisten in Büchern sind für uns so lange Weiß und heterosexuell, bis die Autorin uns etwas anderes sagt.

Einen hellhäutigen Mitbürger als Weiß zu adressieren, lässt bei einigen den Blutdruck sofort auf 180 schnallen. Weiß und auch Schwarz – mit großen Anfangsbuchstaben – beschreiben die gesellschaftspolitische Zugehörigkeit, keine biologischen Eigenschaften.

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Ich werde hier bewusst die Worte Weiß und Hellhäutig verwenden, um Nicht-Schwarze zu adressieren. Genauso werde ich bewusst Hellhäutige so ansprechen, wie es bei PoC auch der Fall ist. Menschen, die Schwarz sind, werden ständig verallgemeinert und anhand ihrer körperlichen Merkmale in Gruppen zusammengefasst. Es gilt Sippenhaft. Das allein ist ein Statement für sich. Ihr werdet es also überleben. Bestenfalls werdet ihr lernen zu verstehen, wie es ist, eine homogene Masse zu sein, der man bestimmte Merkmale zuschreibt.

Ich kann mir vorstellen, ja, ich hoffe es fast, dass es in einigen Wut und Zorn hervorruft, verallgemeinert zu werden. Wie es einige in den Fingern juckt, gleich "Ich bin aber nicht so!" oder "Für mich sind alle Menschen gleich!" zu antworten. Merkt euch dieses Gefühl, ihr müsst euch das nur für die Dauer des Artikels antun. Menschen, die wie ich aussehen, lesen und hören das jeden Tag.

Rassismus wird nicht nur von bösen Menschen mit voller Absicht reproduziert. Verabschiedet euch von diesem Gedanken. Die Wahrheit ist, dass körperliche und verbale rassistische Angriffe, die gezielt Schaden zufügen sollen, zum Glück so selten passieren, dass es den meisten nie persönlich widerfahren wird. Viel präsenter – aber in der Masse nicht weniger brutal/verletzend – sind Mikroagressionen. Das sind kurze, alltägliche Äußerungen, die abwertende Botschaften beinhalten. Und die kommen nicht nur von Unbekannten, sondern auch von hellhäutigen Familienmitgliedern oder Bekannten.

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Ein prominentes Beispiel: Wenn ich aus reiner Neugier gefragt werde, wo ich herkomme, dann ist das natürlich nicht böse oder rassistisch. Ich bin stolz und mache keinen Hehl daraus, wo meine Wurzeln liegen.

Wenn das Gegenüber aber nicht damit zufrieden ist, dass ich, eine Schwarze Frau, aus einem oberbayerischen Dorf komme, weil ich so "exotisch" aussehe, dann wird es kritisch.

Erstens muss man sich als Nicht-Schwarzer Mensch fragen, warum ein Schwarzer Mensch nicht gebürtig aus Bayern stammen kann. Wo soll ich denn wirklich herkommen? Zweitens, wer will meist völlig unbekannten Menschen seine komplette Familiengeschichte erzählen?

Als Nicht-Schwarzer Mensch: Wie oft wurdest du gefragt, wo du WIRKLICH herkommst, wo deine Eltern herkommen? Wie oft musst du erklären, warum du hier bist oder warum du so gut Deutsch sprichst? Wie oft wirst du gefragt, wo du geboren wurdest?

Wer über Rassismus ernsthaft sprechen will, der muss sich auch über Privilegien Gedanken machen. Für Hellhäutige bedeutet das die Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus. Sie können sich frei bewegen. Hellhäutige können anderen einfach so in die Haare greifen und sie bewerten. In Clubs gehen, ohne mit dem Türsteher diskutieren zu müssen. Und einfach so existieren, ohne ständig als fremd wahrgenommen zu werden.

Das sind Privilegien, denen man sich als Hellhäutiger oft nicht bewusst ist. Ich habe auf der Aufklärungsseite was-ist-rassimus.de das perfekte Beispiel gefunden, durch das wirklich jedem einleuchten sollte, was ein Privileg ist:

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Die meisten Menschen tragen eine Schuhgröße zwischen 35 und 45. Wer Übergröße trägt, hat schon weniger Auswahl im Schuhgeschäft. Aber ab Schuhgröße 49 muss man in ein Spezialgeschäft gehen. Das ist lästig, teuer und aufwendig, aber man kann sich damit arrangieren.

Wenn man Menschen mit einer Schuhgröße zwischen 35 und 45 fragt, ob sie sich beim Schuhkauf gehindert fühlen, sagen die meisten sicher nein. Das Übergrößen-Problem kennen sie einfach nicht. Das ist ein Privileg.

Ich gönne es allen, einfach in ein beliebiges Geschäft gehen zu können, um Schuhe zu kaufen. Aber jemand mit Normgrößen kann einfach nicht für alle Schuhkäufer und -käuferinnen sprechen.

Ich als Normgrößen-Trägerin weiß auch nicht, wo man Schuhe für so große Füße bekommt. Ich wusste nicht mal, dass dieses Problem für einige Menschen existiert. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:

1) Ich höre Menschen mit übergroßen Füßen zu, versuche daraus zu lernen und erkenne ihre Probleme, Sorgen und Ängste an. Es ist keine Schande, nicht zu wissen, dass eine kleine Gruppe von Menschen keine passenden Schuhe findet. Für mich war das bisher nie ein Thema, aber ich erkenne an, dass ich in diesem Fall einen Vorteil habe. Da ich das jetzt weiß, kann ich darauf Rücksicht nehmen.

2) Ich sage einfach, dass ich noch nie Probleme beim Schuhe kaufen hatte, niemand, den ich kenne, hat sich jemals darüber beschwert, und überhaupt ist das lächerlich, weil wir sicher größere Probleme haben, als ein paar Leute, die keine passenden Schuhe finden.

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Wie wir mit der Information, dass wir einen Vorteil gegenüber jemand anderen haben, umgehen, ist hierbei der springende Punkt. Wer die erste Möglichkeit für sich in Betracht zieht, ist auf einem sehr guten Weg.

Leider passiert in der Realität oft genau das Gegenteil. Bei einer Veranstaltung, wo ich als Freiwillige mithalf, kam ich mit der dortigen Fotografin ins Gespräch. Wir unterhielten uns ganz zwanglos, normal, sie war mir richtig sympathisch. Plötzlich ließ sie einen Satz fallen, der für mich so absolut nicht unkommentiert stehen bleiben kann: Sinngemäß sagte sie zu mir, dass ich sehr hübsch sei, weil meine Haut eher Milchkaffee ähnele und nicht so dunkel sei.

Es war wohl als Kompliment gedacht. Aber es suggeriert, dass alle, die dunkler sind als ich, hässlich sind, nur weil sie kein weißes Elternteil haben. Ich freue mich nicht über Komplimente, die nur funktionieren, weil sie andere herabstufen. Dieses "Kompliment" habe ich übrigens schon sehr oft bekommen.

Wenn ich auf eine problematische Aussage hinweise, dann meine ich das genauso wenig böse wie die Person, von der die Aussage kommt. Eventuell war diese Aussage unreflektiert und unbedacht, so wie ich manchmal, aus Versehen, Worte wie "behindert" und "schwul" verwende, obwohl ich das eigentlich nicht will. Solange ich einsehe, dass es Menschen gibt, die durch meinen Sprachgebrauch diskriminiert werden, mich eventuell auch entschuldige, ist auch niemand wirklich sauer auf mich. Aber ich muss eben anerkennen, dass Worte verletzen können und beginnen, Diskriminierendes aus meinem Sprachgebrauch zu streichen.

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Wenn ich jemanden auf eine rassistische oder diskriminierende Aussage anspreche, ist das meistens der Startschuss für eines der folgenden Reaktionsmuster:

1) Verteidigung: "Ich bin kein Rassist", "Das war nicht so gemeint" – behauptet auch niemand, ich bin nicht homofeindlich, trotzdem rutschen mir Dinge raus, die ich so eigentlich nicht sagen will. Solange man nicht darauf besteht, verletzendes Vokabular unbedingt weiterhin verwenden zu wollen, ist alles okay.

2) Definitionshoheit: "Jetzt darf man ja gar nichts mehr sagen!" – Doch, man darf sogar relativ viel als "Meinung" verkaufen. Wenn ich aber weiß, dass Angehörige der Sinti zum Beispiel nicht möchten, dass man das Z-Wort verwendet, dann tue ich es einfach nicht. Rutscht es mir doch raus, entschuldige ich mich und gelobe Besserung.

3) Verkehrung der Rollen: Betroffene werden diffamiert, müssen sich erklären oder werden lächerlich gemacht. So wie es die Cousine von Innenminister Herbert Kickl auf Twitter getan hat. Daniela Kickls Antwort auf die Bitte, People of Color nicht als exotisch zu bezeichnen:

Tweet von Daniela Kickl

Tweet von Daniela Kickl

4) Falsche, unpassende Vergleiche: "Im Ägypten Urlaub, da wurde ich auch die ganze Zeit angestarrt wegen meiner blonden Haare, ich versteh wie das ist." – Nein, nein und nochmals NEIN. Das ist nicht das Gleiche, zwei Wochen Ägyptenurlaub mit etwas zu vergleichen, was andere seit Tag eins ihres Lebens erfahren. Außerdem ist man als Hellhäutiger in Ägypten genauso privilegiert wie sonst überall auch, wenn nicht sogar noch mehr als zuhause.

Ich habe absolut keine Lust mehr, immer wieder den gleichen Mist durchzukauen. Immer wieder die gleiche Diskussion über die gleichen Dinge zu führen. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, was vor zehn Jahren noch okay war, ist heute teilweise verpönt. Rassismus wird weiterhin erforscht, Definitionen und Bedeutungen verändern sich. Es ist noch nicht so lange her, da galt Rassenlehre als bewiesene Wissenschaft.

Aber ich will nicht auf die Gefühle derer Rücksicht nehmen, die sich um mein Befinden nichts scheren. Solange man sich gegenseitig keinen Respekt zeigt, kann und wird es keinen offenen Dialog geben.

Wer es überlebt hat, diesen Text zu lesen, der sollte auch gleich Deutschland Schwarz Weiß von Noah Sow nachlegen und danach White Fragility von Robin DiAngelo lesen. Das Thema ist zu groß und zu komplex, um es in einem Artikel vollständig begreifbar machen zu können. Ich möchte hier nur noch einmal dazu anstoßen, die Diskussion für alle zugänglich zu machen. Rassismus ist nicht nur das Problem der Minderheiten, die ihn zu spüren bekommen. Rassismus geht uns alle an.

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