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Streit im Saarland

Das Verbot der Porno-Trikots offenbart die Doppelmoral im deutschen Fußball

Mit Brüsten haben die Verbände ein Problem – mit Schmiergeld, Medikamentenskandalen und Alkoholtoten aber nicht.
Torsten Nelz (links) trägt Lena Nitro | Foto: SV Oberwürzbach 

Deutsche Fußballklubs tun einiges, um Fans auf der ganzen Welt zu erreichen: Der FC Bayern München hat ein Büro in New York, Borussia Dortmund war im Sommer auf Asientour. Doch auch der SV Oberwürzbach wollte etwas internationalen Ruhm erlangen. Der Kreisligist aus dem saarländischen 2600-Seelen-Örtchen hatte aber weder das Geld noch die Titel. Also heuerte der Verein nach einer feuchtfröhlichen Mannschaftsfahrt den Pornostar Lena Nitro als Trikotsponsor an.

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Sie ist bekannt aus Streifen wie Inzest – Papa, dein Schwanz ist zu groß oder Dreckig angemacht und aufgespießt. Seit August stehen ihr Name und ihre Webseite auf dem Trikot der Amateurkicker. "Eigentlich wollten wir nur im Saarland ein wenig Aufmerksamkeit erregen, aber dann schlug die Nachricht ein wie eine Bombe", erzählt Torsten Nelz, Sportvorstand des SV Oberwürzbach, gegenüber VICE. Von der Türkei über Frankreich bis nach Mexiko, überall berichteten Medien über den Verein und sein Pornosponsoring. Es folgten Anfragen von Trikotsammlern aus Irland, Bewerbungsmappen von Spielern anderer Klubs – und nun ein Verbot des Saarländischen Fußballverbandes (SFV).

Dessen Vorstand, in dem neben vielen älteren Herren seit Juni auch eine Frau sitzt, entschieden das in einer außerordentlichen Versammlung zum Thema "Ethik und Moral". "Wir haben dabei alle Facetten beleuchtet und die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen", sagt SFV-Geschäftsführer Andreas Schwinn gegenüber VICE. Dabei sei es besonders um die Frage der Vorbildfunktion einer Fußballmannschaft gegangen, bei deren Spielen auch Kinder und Jugendliche aller Altersklassen zuschauen würden. "Auch wenn in der heutigen Gesellschaft die Jugend womöglich deutlich früher aufgeklärt ist, sehen wir mit Ihrer verwendeten Trikotwerbung eine Grenze zu den Vorgaben der DFB-Satzung überschritten." Der Deutsche Fußball-Bund schreibt vor, dass Werbung nicht gegen die "allgemein im Sport gültigen Grundsätze von Ethik und Moral" verstoßen dürfe. Ganz klar verboten sind etwa Geldgeber, die für Tabakwaren oder starken Alkohol werben. "Wir stehen mit dem Verband nicht auf Kriegsfuß, aber wir sehen das anders", sagt Oberwürzbach-Sportvorstand Nelz. "Bei diesem Verband müsste es Ethik und Doppelmoral heißen."

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Wie im ganzen Sport nimmt es auch der DFB mit der Ethik nicht immer so genau. Ob die bis heute nicht aufgeklärte dubiose Millionen-Zahlung von Deutschland nach Katar die WM 2006 gekauft hat. Oder fragwürdige Sponsoren wie Gazprom oder der Doha Airport aus Ländern, wo die Menschenrechte und Arbeiter auf WM-Baustellen mit Füßen getreten werden – aber eben auch Millionen in die Kassen mancher Bundesligaklubs spülen. Ist man damit ein besseres Vorbild für Kinder als mit den Pornos, über die man schimpft?

Bei der Werbung hat sich aber schon viel getan. RW Frankfurt aus der Hessenliga lief Anfang dieser Saison mit dem Logo eines FKK-Saunaclubs auf der Brust auf. Der hessische Fußballverband überprüfte dies ebenfalls auf "Ethik und Moral" – und konnte keine Regelverletzung feststellen. Das war vor Jahren noch undenkbar. Im Jahr 1988 präsentierte der damalige Bundesligist FC Homburg, ebenfalls aus dem Saarland, einen Kondomhersteller als Sponsor. Der DFB verhängte eine Strafe von 50.000 DM, die Saarländer mussten den Schriftzug schwarz überkleben. "Heute, behaupte ich mal, würde der DFB diese Kondomwerbung zulassen, wegen des Gesundheits- und Präventivzwecks", sagt Andreas Schwinn vom Saarländischen Fußballverband. Pornografie solle im Saarland aber auch in Zukunft auf Trikots verboten bleiben. "Wir sind nicht Hüter von Gesetz und Moral, aber wir müssen sorgen, dass der Fußball nach unseren Regeln läuft."

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Lena Nitro selbst, die laut SV Oberwürzbach "sehr viel Wert auf den Jugendschutz" lege, kann das Verbot übrigens nicht verstehen. "Ich kann darüber nur lachen", sagte sie der Bild. "Andere werben mit Bier oder Medikamenten. Aber sobald es um Sex geht, ist es ein Problem. Ich finde daran nichts verwerflich."

Tatsächlich sind Sex und Pornografie wohl kaum "verwerflicher" als andere Fußballsponsoren. Zum Vergleich: Der Bierbrauer Bitburger ist etwa seit 1992 und noch bis Ende 2018 Sponsor des DFB. Etwa 1,3 Millionen Menschen gelten in Deutschland als alkoholabhängig, 9,5 Millionen konsumieren Alkohol "in gesundheitlich riskanter Form", heißt es in einem aktuellen Bericht der Bundesregierung. Und der Pharmakonzern Bayer ist nicht nur Inhaber und Namensgeber von Bayer 04 Leverkusen, sondern auch für einige Skandale verantwortlich. Nur ein Beispiel: Im Jahr 2001 gab der Konzern zu, dass weltweit mindestens 52 Menschen durch die Einnahme des Medikamentes Lipobay starben – nur ein Skandal. Der SV Oberwürzbach verkauft trotzdem im eigenen Fanshop die Nitro-Trikots "wie warme Semmeln", sagt Sportvorstand Nelz. Die Einnahmen sollen in die Jugendarbeit des Vereins und an eine gemeinnützige Organisation gehen. "Dafür haben wir auch schon die Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken kontaktiert, die uns bei der Suche helfen soll", so Nelz. Auch wenn der Klub zum Spiel am Wochenende den Lena-Nitro-Schriftzug auf seinen Trikots überkleben muss, soll die profitable Partnerschaft mit dem Pornostar weitergehen. Man wolle neue Trikots in Auftrag geben, sagt Torsten Nelz: "Vielleicht mit dem Schriftzug 'Lena Nitro – Ethik und Moral'".

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