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Russland 'beweist' mit Screenshot aus Videospiel, dass IS und USA kooperieren – und das ist erst der Anfang

Das russische Verteidigungsministerium klaut sich seine "Beweise" zusammen und wird dabei erwischt – was dann folgt, zeigt, wie Russland reagiert, wenn es der Lüge überführt wird.
Bild: Screenshot Youtube

Manipulierte Bilder und falsche Fährten gibt es im Netz haufenweise. Selten sind die Fälschungen allerdings so plump wie in einem mittlerweile gelöschten Tweet, mit dem sich das russische Verteidigungsministerium gestern auf Twitter zur Lachnummer gemacht hat.

Am Dienstagvormittag behauptete der offizielle Kanal @mod_russia des Ministeriums, man liefere hier und jetzt “unwiderlegbare Beweise” dafür, dass die USA die Terrororganisation IS direkt unterstütze. Dazu präsentierte man fünf Luftaufnahmen, die angeblich IS-Konvois am 9. November 2017 auf dem ungehinderten Weg Richtung syrisch-irakischer Grenze zeigten.

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Das Bild aus dem Tweet des Verteidigungsministeriums (links) und der Screenshot aus dem Computerspiel-Video (rechts). Am jeweils rechten oberen Rand erkennt man noch eine abgeschnittene Nachricht des Entwicklers aus dem Promovideo: “ALL CONTENTS SUBJECT TO CHANGE”. Bild: Bellingcat

Doof daran: Das Aufmacherbild stammt keineswegs von einer russischen Aufklärungsdrohne, sondern ist ein Zuschnitt aus einem Promovideo für ein drei Jahre altes Computerspiel. Das konnten Rechercheure des russischen Conflict Intelligence Team und andere Twitter-Nutzer nur wenige Stunden nach dem Tweet zweifelsfrei nachweisen. Sie lieferten auch gleich den YouTube-Link mit der Quelle des Screenshots: Es handelt es sich um das Handyspiel AC-130 Gunship Simulator: Special Ops Squadron, das 2014 als App entwickelt wurde und thematisch im Vietnamkrieg angesiedelt ist.

Wenige Minuten nach der Enttarnung löschte das Verteidigungsministerium die Tweets zum Thema auf Englisch, Arabisch und Russisch. Kritische Kommentare unter dem Facebook-Post des Verteidigungsministeriums wurden schon den ganzen Mittag über von der Social-Media-Abteilung des Ministerium gelöscht, wie Nutzer berichteten – kurz darauf verschwand gleich der ganze Post. Das Conflict Intelligence Team hatte die Bilder für die “unwiderlegbaren Beweise”, die sich das Ministerium plötzlich beeilte zu vernichten, aber glücklicherweise vorher archiviert. Auf Facebook berichten mehrere russische User, das der Link zum Archiv für sie nur über ein VPN erreichbar sei.

Am Nachmittag musste sogar das Verteidigungsministerium zugeben, dass der Screenshot ein Fake ist, schob die Sache aber nicht ganz elegant auf “den Fehler eines Zivilbeamten”. Man würde den Fall nun untersuchen, heißt es in einer Pressemitteilung.

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Leider vergaßen das Verteidigungsministerium und auch die staatliche Nachrichtenagentur TASS zu erwähnen, dass die restlichen vier der fünf “Beweisbilder” aus dem Tweet ebenfalls geklaut sind: nämlich aus einem alten Video des irakischen Militärs.

Die Aufnahme stammt eigentlich aus dem Sommer 2016. Gezeigt wird ein Angriff der irakischen Luftwaffe auf IS-Fahrzeuge nahe der irakischen Stadt Fallujah. Gepostet hat dieses Video ironischerweise der Kreml-Propagandakanal RT. Den Vorwurf, die USA würden mit dem IS kooperieren, stützen diese Fakes natürlich genauso wenig wie Screenshots aus Computerspielen.

Der mittlerweile gelöschte Tweet des russischen Verteidigungsministeriums mit Screenshots eines Videos der irakischen Luftwaffe aus dem Sommer 2016. Bild: CIT

Eine so offensichtliche Fälschung zu Propagandazwecken ist für ein hohes Staatsorgan wie das russische Verteidigungsministerium überraschend. Doch das ist nur der Anfang: Der weitere Umgang mit einer widerlegten These zeigt anschaulich, welche Taktiken Russland und seine Staatsmedien verfolgen, wenn ein Fake zweifelsfrei enttarnt wird und keinen Raum mehr für Dementi bietet.

Gegenüber dem russischsprachigen und von den USA finanzierten Sender Current Time behauptet das Verteidigungsministerium weiterhin, die Zusammenarbeit zwischen dem IS und den USA sei “ein objektiver Fakt” – freilich, ohne Belege zu liefern. Dass die USA sich am 9. November geweigert hätten, einen IS-Konvoi anzugreifen, sei immer noch “in Transkripten von Gesprächen und Bildern belegt”, heißt es etwas lahm. Wo denn wohl diese Bilder seien und ob man sie auch mal zu sehen bekäme, fragt sich dabei nicht nur die pro-ukrainische Faktenchecker-Website Stopfake. “Die veröffentlichen wir aus Gründen der Kriegsethik nicht”, erklärt der Generaldirektor des Kreml-Propagnadasenders Sputnik, Dmitri Kisseljow.

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Sie zu beschreiben findet er aber offensichtlich okay: In seiner eigenen sonntäglichen Sendung im Staatsfernsehen verbreitet er die Theorie, auf diesen Bildern würden IS-Fahrzeuge auf US-Stützpunkten in Syrien herumstehen. “Es ist klar, dass die Geländewagen auf dem Stützpunkt für die USA, milde gesagt, untypisch sind”, erzählt er laut Stopfake.

Um die kolportierte These der USA-IS-Kooperation zu stützen, hat das russische Verteidigungsministerium auf Twitter und Facebook gestern nachmittag einen neuen Versuch gestartet und die als Fake enttarnten Screenshots durch neue Bilder ohne Geotag und Zeitstempel ersetzt, auf denen man überhaupt nichts erkennen kann. Dabei sind russische Drohnen in der Lage, weitaus bessere Bilder zu machen. Was diese neuen Bilder also tatsächlich zeigen, wann und wo sie aufgenommen wurden, ist unklar. Eine Beweiskraft für die verbreitete These der US-amerikanischen Zusammenarbeit mit dem IS ist damit eindeutig nicht gegeben.

"Fehler passieren", wiegelt Putins Sprecher ab.

Schon seit Jahren wirft Russland den USA vor, den Kampf gegen den IS in Syrien zu behindern oder nur vorzutäuschen. Die gefälschten Bilder sollten diese Narrative offenbar erneut stützen und belegen, dass die USA den IS schützen würde, wenn niemand hinguckt.

In Putins Büro dagegen verfolgt man derweil eine Taktik der Beschwichtigung und wirbt um Verständnis für den Fauxpas: “Fehler passieren”, findet Putins Sprecher gegenüber dem Portal iz.ru und gibt eine praktische Empfehlung aus: “Ich würde die Bedeutung nicht überbewerten.”

Doch Eliot Higgins von der Rechercheorganisation Bellingcat, die unter anderem aufgedeckt hat, dass prorussische Kräfte das Flugzeug mit der Flugnummer MH17 über der Ukraine abgeschossen haben, hat in einem längeren Thread noch viele andere Beispiele für offensichtliche Lügen des russischen Verteidungsministeriums gesammelt – und beweist damit, dass die angeblichen “Fehler” eindeutig System haben.

Das jüngste Beispiel: In der Oliver Stone-Doku “Putins Interview” zeigt Putin dem US-Regisseur stolz ein Video, in dem russische Soldaten in Syrien zu sehen sein sollen – tatsächlich ist auch dieses Video gefälscht: es handelt sich in Wahrheit um US-Streitkräfte in Afghanistan. Die Konsequenzen? Der zuständige Mitarbeiter im russischen Verteidigungsministerium, der Putin das Video zur Verfügung gestellt hatte, behielt seinen Job, und der Kreml dementiert bis heute eisern jede Fälschung, obwohl diese bereits eindeutig nachgewiesen wurde.

Immerhin haben die russischen Social Media-Nutzer ihren Humor nicht verloren, auch wenn sie gnadenlos von ihrer eigenen Führung verarscht werden: “Nein, das sind solide Belege”, schreibt einer auf der Facebook-Seite des russischen Verteidigungsministeriums unter den neuen Bildern, “wenn man ganz nah an die hochauflösenden Bilder von den IS-Konvois rangeht, kann man sogar leise die amerikanische Nationalhymne hören.”