2Pacs aktuelles Biopic und die Gefahren unserer Idol-Vergötterung
Standbild aus 'All Eyez On Me' mit freundlicher Genehmigung von Lionsgate

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2Pacs aktuelles Biopic und die Gefahren unserer Idol-Vergötterung

'All Eyez On Me' ist nicht der erste Versuch, aus 2Pacs Erbe Kapital zu schlagen und wird bestimmt auch nicht der letzte sein.

Dieser Artikel ist ursprünglich bei Noisey US erschienen.

Tupac Shakurs beispielloser Aufstieg zum Superstar hat zu zwei Dingen geführt. Erstens hievte es einen jungen, schwarzen und vom Leben müden Amerikaner auf die Weltbühne und verlangte von ihm, dass er zum Sprecher seiner Familie, Freunde und fiktiven Mitstreiter wurde – anderen jungen, armen und schwarzen Amerikanern. Zweitens katapultierte sein Erfolg ihn in Höhen, von denen niemand gedacht hätte, dass ein junger, schwarzer Amerikaner aus armen Verhältnissen sie jemals erreichen könnten. Dort oben angekommen war er der Witterung schutzlos ausgesetzt, innerlich unruhig und hoffnungslos wie eh und je und mit keinem Ausweg als nach unten. Am Ende starb er als Mordopfer.

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Am 13. September 1996 erlag sein Körper nach mehreren Operationen und schrecklichen Krämpfen seinen Schussverletzungen – sechs Tage nachdem er in Las Vegas Opfer eines Drive-By-Shootings geworden war. "Der Doktor kam raus und sagte, dass Tupac dreimal zu atmen aufgehört hätte und dass sie ihn dreimal wiederbelebt hätten", sagte seine Mutter Afeni Shakur fünf Monate nach seinem Tod. "Und ich habe ihn darum gebeten, ihn in Ruhe zu lassen und ihn gehen zu lassen. Ich fühlte, dass das wichtig für Tupac war, der so hart für die Freiheit seiner Seele gekämpft hatte. Ich fühlte, dass es wichtig für seine Seele war, frei zu sein. Und deswegen habe ich mich mit ihm und mit der Befreiung seiner Seele gefreut. Ich habe mich damals gefreut und ich freue mich jetzt, wenn ich nicht gerade weine."

Die Umstände, die Benny Booms Biopic All Eyez On Me hervorgebracht haben, reichen bis weit vor Produktionsbeginn zurück. Der in den USA pünktlich zu Tupacs Geburtstag in den Kinos gestartete Film (hier war es ein Tag früher) hat wenig bis kaum etwas mit Tupacs tatsächlichem Leben zu tun – wie das bei den meisten posthumen Medienspektakeln rund um den Rapper der Fall ist. Money B von Digital Underground spielt in dem Streifen sich selbst, Snoop Dogg leiht dem Film immerhin seine Stimme, aber Kritiker sind alles andere als begeistert von dem Machwerk. Genauso wenig sind das Menschen wie Jada Pinkett-Smith und Malik Shakur, die allein schon die Entstehung des Films als persönliche Beleidigung auffassen. Als man Money B auf den Widerstand von 2Pacs Mutter gegen All Eyez On Me befragte, zeichnete er ein wenig schmeichelhaftes Bild von der früheren Black Panther-Aktivistin und gewieften Geschäftsfrau. Sie sei eine überemotionale und trauernde Mutter, die auch zwei Jahrzehnte später nicht den Tod ihres Sohnes verarbeitet hat.

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"Ernsthaft! Wie willst du einen Film über einen Mann machen, wenn du seine Mutter verklagen musst, um seine Geschichte erzählen zu dürfen?!", sagte John Singleton, der dann auch aus dem Projekt ausgestiegen hat (anderswo heißt es, er sei gefeuert worden). In der Kritik auf Rotten Tomatoes steht, der Film "ist ein größtenteils oberflächliches, formelhaftes Biopic über eine überlebensgroße Legende." Forbes sagt: "Ohne Subtext, Nuancen oder Erkenntnisse ist dieses schmerzhaft-formelhafte Biopic seinem Subjekt künstlerisch unwürdig." Und weiter: "Es ist eine weichgezeichnete Heiligengeschichte – eine, die sich so sehr darum bemüht, Tupac Shakur in einem negativen Licht darzustellen, dass sie dabei vergisst, ihn interessant darzustellen." Selbst 50 Cent ließ kein gutes Stück an dem Film.


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Das Interesse daran, Tupacs Lebensgeschichte erzählen zu wollen, ist natürlich nicht neu. So berühmt Tupac zu Lebzeiten auch war, nach seinem Tod stieg seine Bekanntheit ins Unermessliche. Und mit einer dermaßen gesteigerten Aufmerksamkeit geht in der Regel auch eine Glättung der Substanz einher. Vor Kurzem erst wurden zum Beispiel die Unternehmen Urban Outfitters und Forever 21 von dem Fotografen Danny Clinch auf 600.000 US-Dollar verklagt, weil sie seine Tupac-Porträts ohne Genehmigung verwendet hatten. Zu Lebzeiten brachte das "Thug Life" den Rapper vor Gericht und bescherte ihm massig Scherereien und Kontroversen. Nach seinem Tod hat man das "Thug Life" dampfgereinigt und dekontextualisiert. Das, was den Tiefpunkt in Tupacs kurzem Leben darstellte – eine für ihn prägende Zeit der mentalen und emotionalen Erschöpfung – wurde zu wenig mehr als Big-Business-Branding umgemodelt und damit eine regelrechte Verspottung der ursprünglichen Intention.

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All Eyez On Me ist nur ein weiteres Beispiel für die Missachtung von Tupacs Komplexität. Inwiefern sind also wir Fans – Tupac-Fans, HipHop-Fans und alle anderen, die sich eine Kinokarte gekauft haben – Komplizen? Wie gehen wir ehrlich mit seinem Erbe mitsamt seiner Ecken und Kanten um, ohne es übermäßig zu dramatisieren? Es sollte inzwischen, fast 22 Jahre später, klar sein, dass das Gedenken an unsere Toten – prominent oder nicht – mit Feingefühl und Sorgfalt geschehen sollte. Es sollte mehr dahinter stecken als der unstillbare Durst nach mehr, mehr und immer mehr – insbesondere bei einer Person wie Tupac, die gleichzeitig als einzigartig gefeiert und als Gangster gehasst wird. Und genau in diesem Umstand dürfte auch die wahre Wurzel des Problems liegen. In einer perfekten Welt hätte die Nachricht ausgereicht, dass Afeni Shakur – bis zu ihrem Tod 2016 die alleinige Verwalterin des Tupac-Nachlasses – gegen den Film war. In einer perfekten Welt hätte die Nachricht von Jadas Unzufriedenheit mit Booms Darstellung ihrer Beziehung zu Tupac jedem Hype sofort ein Ende gesetzt. Und in einer perfekten Welt hätte, die beschämte Beichte von Tupacs Neffen, "Ich stimme euch allen zu und finde es auch super peinlich, dass mein Vater in All Eyez On Me sein jüngeres Selbst spielt", einen Flop an den Kinokassen besiegelt. Aber nein, der Film hat allein in den USA am ersten Wochenende 27 Millionen Dollar eingespielt.)

Ich will hier keineswegs dazu aufrufen, von jeglicher Darstellungen von Tupacs Leben abzuraten. Tupacs Familie selbst hat zum Beispiel erst vor Kurzem ihre Unterstützung für einen Dokumentarfilm von Steve McQueen geäußert. Tom Whalley von Interscope –Tupacs heutiger Nachlassverwalter und jener Mann, der ihn ursprünglich unter Vertrag genommen hat – will in Zukunft mit Amaru Entertainment (der Firma von Afenis Schwester, Gloria Cox) zusammenarbeiten, um die Dokumentation zu realisieren. Für McQueen jedenfalls ist die Sache klar: "Wenige, wenn überhaupt irgendjemand, haben heller geschienen als Tupac Shakur", sagte er. "Ich freue mich darauf, eng mit seiner Familie zusammenzuarbeiten, um die ungeschminkte Geschichte dieses talentierten Mannes zu erzählen." Für Fans und Rap-Enthusiasten eigentlich wesentlich ansprechendere Aussichten und darüberhinaus eine ethisch korrektere Alternative zum umstrittenen Spielfilm.

Ohne den Ruhm lebte Tupac ein relativ durchschnittliches und sehr amerikanisches Leben. Er wurde in ein Zuhause geboren, das nur dem Namen nach ein Zuhause war. Er wuchs zu einem neugierigen, talentierten und nicht zuletzt mittellosen Teenager heran, schmiss die Schule und verfolgte etwas, in dem er größere Erfolgsaussichten für sich sah. Und nichts davon brachte ihm etwas. Am Ende starb er. Kaltblütig ermordet. Die genauen Umstände immer noch ungeklärt. Für diejenigen, die es verstehen – diejenigen, deren Leben seines in gewisser Weise widerspiegeln – war Tupacs Leben eine Geschichte voller Hoffnungslosigkeit und vermeidbarer und verheerender Tragik. Um seine Geschichte vernünftig zu erzählen, müssen alle Fragmente, die diesen Mann ausgemacht haben, so gezeigt werden, wie sie waren: so unverfälscht wie möglich und – das ist das Allermindeste – mit dem Segen seiner Hinterbliebenen. Und wenn das nicht möglich ist, ist es vielleicht einfach an der Zeit, die Erinnerung an Tupac ruhen zu lassen. Ein für alle Mal.

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