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G20

Kann man in Markenkleidung gegen den Kapitalismus kämpfen?

Zwei Meinungen.
Foto von Rebecca Rütten

Kann man "Kampf dem Kapital" auf der Jacke stehen haben und trotzdem bei McDonald's einkaufen? Kann man Autos anzünden und Polizisten mit Steinen bewerfen, während man Markenkleidung für mehrere 100 Euro trägt? Kann man Kapitalismuskritik üben, aber gleichzeitig ein völlig in das System integrierter Mensch sein? Manche sagen ja, andere nein und der Spiegel macht sich ein bisschen lustig, indem er auf einem Foto die Kleidung von zwei Demonstranten analysiert, die während des G20-Gipfels in Hamburg gerade Steine werfen.

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In der Redaktion ist ein kleiner Streit ausgebrochen, wie gut dieser Vergleich wirklich ist und ob man Kritik an Kapitalismuskritikern üben kann, auch wenn sie bei Großkonzernen einkaufen – ganz abgesehen davon, ob dieser Vorwurf nicht eigentlich ziemlich daneben ist, wo doch Großkonzerne immerhin effizienter arbeiten als Kleinbetriebe und das dem Ziel des Marxismus, den Arbeitsaufwand zu minimieren, nicht mal widersprechen muss. Aber ja, schwieriges Thema, verschiedene Meinungen. Hier zwei davon:

Ist Kapitalismuskritik nur dann legitim, wenn man dabei nackt ist?

Am Montag postete Spiegel Online ein Foto, das zwei junge Männer in Hamburg beim Steineschmeißen zeigt. Kritisiert werden die beiden Männer in der Grafik aber nicht für ihre Steinwürfe, sondern für ihre Kleidung. Der eine trägt North Face und New Balance, der andere Adidas und Jack Wolfskin. Markenklamotten, die um einige Euros teurer sind als die Billigvarianten von Kik und Co. aber dennoch unter ähnlichen Produktionsbedingungen fabriziert wurden. Darauf spielt Spiegel Online an. Gleichzeitig suggeriert das Bild: "Echte Kapitalismusgegner dürfen doch keine bösen Markenklamotten tragen!"

Aber warum passen Adidas und Randale eigentlich nicht zusammen? Und wieso trägt fast jeder zweite Kapitalismusgegner heute New-Balance-Schuhe? Die Frage ist eigentlich leicht zu beantworten: Weil selbst radikale Politik gewissen Trends unterliegt. In diesem Fall einem Modetrend. Denn anders als Spiegel Online uns hier weismachen will, hat der Konsument im Kapitalismus nämlich keine Entscheidungsmacht.

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Stattdessen wird gefordert: Wenn schon Randale und radikale Kapitalismuskritik, dann bitte in passender Fairware-Bekleidung und selbstgenähtem Jutesack. Oder am besten nackt, dann wird das mit der Identifizierung auch leichter – vorausgesetzt man findet die Beamten, die sich dann tagelang Muschi- und Dickpics anschauen und diese Vergleiche vornehmen. So oder so: Die unterschwellige Forderung ist völlig bescheuert.

Wenn schon Randale und radikale Kapitalismuskritik, dann bitte in passender Fairware-Bekleidung und selbstgenähtem Jutesack.

Hinter der Forderung steht die hippieske Annahme, dass alles gut wird, wenn nur alle gut werden. Was Spiegel Online dabei aber vergisst: Eine solche Annahme verschleiert die wahre Macht des Kapitalismus, um deren Bruch es den Autonomen vordergründig geht. Hippies mögen an den Einfluss von Fairtrade auf den Weltfrieden glauben. Für Autonome spielt er keine Rolle.

Fairtrade, Fairware, Selbstversorgung oder Dumpstern zu gehen sind – bei aller Liebe und momentanen Sinnhaftigkeit – keineswegs antikapitalistische Lösungen. Grundlegende Strukturen eines kapitalistischen Systems werden durch sie nicht angegriffen – genau um diesen Angriff geht es aber in der Kapitalismuskritik.

Durch die Forderung nach einem ethisch korrekten Konsum wird die Schuld an kapitalistischer Ausbeutung auf den Konsumenten abgewälzt, was zwangsläufig die Stabilität der Konzerne stärkt, anstatt sie zu schwächen. Dem Konsumenten wird eine Konsummacht vorgetäuscht, die er gar nicht besitzt.

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Foto von Rebecca Rütten

Unser Wirtschaftssystem baut auf Fremdversorgung auf. Konsum ist überlebensnotwendig, worin sich die Totalität eines kapitalistischen Systems zeigt, das zwar Nischen wie Fairtrade zulässt, ihnen aber eine natürliche Grenze setzt. Denn: Auch fairer Kapitalismus basiert auf Konkurrenz. Großzügigeren Löhnen oder faireren Arbeitsbedingungen sind damit von vornherein Grenzen gesetzt.

Würden die Kapitalismusgegner in Fairtradeklamotten protestieren, würde das ihren Protest weder glaubhafter noch gefährlicher machen. Der Kapitalismus würde ebensowenig überwunden, wie er am Wochenende im Hamburg Schaden genommen hat. Durch einen fairen und ethischen Konsum werden weder Kapitalakkumulation, noch Produktionsbedingungen in Frage gestellt. Beides sind aber notwendige Angriffsziele einer ernst gemeinten Kapitalismuskritik.

Der Kapitalismus kennt keine Kategorien wie "gut" und "böse". Sie existieren in ihm nicht. Gut ist im Kapitalismus nur Kapitalgewinn. Schlecht ist Kapitalverlust. Kapital kann dabei mit allem erzeugt werden: Mit Bananen, die unter Ausbeutung geerntet werden genauso wie mit Bomben, die unter fairen Arbeitsbedingungen fabriziert werden. Einzige Voraussetzung ist eine entsprechende Nachfrage. Radikale Kapitalismuskritik kann also nicht bei einem "Kapitalismus fair" Halt machen, sondern muss weitergehen und das Verhältnis von Kapital und Arbeit desillusionieren.

Ausbeutung ist kein moralisches Problem des Kapitalismus, das mit vermeintlich fairem Handel bekämpft werden kann. Ausbeutung ist dem Kapitalismus inhärent.

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Schlussendlich geht es in der Kapitalismuskritik um die Auflösung des Widerspruchs zwischen den Interessen des Kapitals, und den Interessen jener, die die Werte, aus denen sich das Kapital schöpft, produzieren. Marx hat sie das Proletariat genannt. Der Begriff scheint heute aus der Zeit gefallen. Dennoch geht es in der radikalen Kapitalismuskritik auch heute um nichts Geringeres als die Überwindung des Kapitalismus hin zu einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem nicht nur jeder "fair" für seine geleistete Arbeit entlohnt wird, sondern selbstbestimmten Zugriff auf die Produktionsmittel hat – und seine erarbeiteten Wert für die Gesellschaft und damit auch für sich selbst produziert hat.

Ausbeutung ist kein moralisches Problem des Kapitalismus, das mit vermeintlich fairem Handel bekämpft werden kann. Ausbeutung ist dem Kapitalismus inhärent. Nicht der Adidas-Schuh ist schuld an Ausbeutung von Mensch und Natur, sondern das System, in dem er produziert wurde. Ein System, das dem Konsumenten von Fairtrade-Gütern ein reines Gewissen verkauft, für zum Beispiel indische Teepflückerinnen aber keine reale Verbesserung ihrer Löhne beinhaltet, wie Sarah Besky in ihrer Buch The Darjeeling Distinction darlegt.

Echte Kapitalismuskritik kann nur radikal sein. Das hat mit der Kleidung, in der sie ausgefochten wird, nichts zu tun. Über die Form dieser Kritik muss diskutiert werden – nach Hamburg mehr denn je. Mit einem oder auch mehreren Steinwürfen lässt sich der Kapitalismus sicher nicht überwinden, unabhängig von der Kleidung. Das hätte auch vor Hamburg schon klar sein müssen.

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– Paul Donnerbauer (@Gewitterland)


Wer kritisiert, muss Kritik einstecken können

Gleich vorweg: Ich finde, Kapitalismus ist nicht der richtige Weg, aber ich weiß auch, dass das meine Meinung ist und sie die Mehrheit der Bevölkerung nicht betrifft. Die meisten Menschen wollen keine Systemänderung – entweder weil sie darüber nicht nachdenken oder weil es einfach mühsam ist, ein System zu ändern. Dafür sollte man Verständnis haben. Was Spiegel Online gemacht hat, ist für mich journalistisch genial.

Erstens ist die Idee handwerklich super und zweitens zeigt sie die Lebenswelt der autonomen Linken auf. Die, wie ich finde, mehr ideell als praktisch ist. Nach etlichen Semestern auf der Soziologie und einem abgeschlossenen Studium dort, muss ich auch gestehen, dass ich bis heute die Lebenswelt von autonomen Linken nicht ganz verstanden habe und mir weder persönliche Gespräche noch Facebook-Diskussionen helfen. Grundsätzlich glaube ich, dass sie für das Wohl aller das System stürzen wollen. Oder ich glaube zumindest, dass sie das glauben. Vor allem durch Proteste und Demos zeigen sie ihre politische Meinung öffentlich.

Um klar zu machen, warum ich und andere Leute das Spiegel Online-Bild gut finden, vergleiche ich es gern mit Vegetariern. Natürlich gibt es Demos von Vegetariern oder auch Gewaltaktionen von Vegetariern, die auf systemische Missstände in unserer Gesellschaft aufmerksam machen sollen – wie zum Beispiel Einbrüche in Massentierhaltungsbetriebe oder die Freilassung von Labortieren. Aber diese Tätigkeiten hat die breite Bevölkerung, die sich bis dato nicht viele Gedanken über Tierhaltung gemacht hat, immer abgelehnt. Weil extreme Aktionen nicht überzeugen, sondern eher abschrecken. Was eine Bewegung aber braucht, damit sie tatsächlich etwas bewirken kann, sind Anhänger – und im Idealfall eine wachsende Zahl von ihnen.

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Was eine Bewegung aber braucht, damit sie tatsächlich etwas bewirken kann, sind Anhänger – und im Idealfall eine wachsende Zahl von ihnen.

Anhänger bekommt man nicht, indem man von den Medien aufgegriffen wird. Sie kommen auch nicht automatisch, weil man extreme Handlungen ausübt. Zu dem Thema gibt es eine Studie, die herausgefunden hat, dass Mainstream-Medien bei Protesten und Demos fast immer die Gewalthandlungen in den Fokus rücken und nicht das Thema des Protests. Anhänger bekommt man, weil man etwas Konstruktives tut. Vegetarier haben so viele Anhänger, weil sie tatsächlich etwas tun, ohne dabei andere in Mitleidenschaft zu ziehen: Sie verzichten auf den Konsum von Fleisch.

Selbst etwas tun zu können, ohne anderen dabei zu schaden, fühlt sich gut an und auch, wenn man kein Vegetarier ist, kennt man mittlerweile ihre Lebenswelt und ihre utopische Vorstellung von einer für sie möglich erscheinenden Zukunft. Sie akquirieren Anhänger nicht nur durch Proteste (die ja nur von Menschen besucht werden, die ohnehin schon so denken wie sie), sondern durch Postings in sozialen Medien und vor allem durch ihre aktive Durchsetzung.

Die Chance, dass einer meiner Freunde auch Vegetarier wird, wenn er bei mir sieht, wie einfach es ist, auf tierische Produkte zu verzichten und mit mir über das Thema redet, ist einfach viel höher, als wenn ich auf eine Demo gehe und man sich darauf verlässt, dass Medien schon davon berichten werden. Genau so sehe ich das mit allen großen Denkschulen, wie zum Beispiel auch dem Feminismus.

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Foto von Rebecca Rütten

Was einige autonome Linke dabei wahrscheinlich nicht verstehen: Die Mehrheit der Menschen weiß überhaupt nicht, was sie wollen. Manche Menschen sehen sie als "linke, störrische Chaoten" und denken nicht darüber nach, warum sie ihre Autos angezündet haben, mit denen sie am Montag zur Arbeit fahren wollten (die in den meisten Fällen nicht in der Vorstandsetage passiert). Das halte ich für einen extrem unreflektierten Zugang.

Natürlich braucht es auch Demos und Proteste – vor allem wenn es um einen Systemsturz geht –, aber in erster Linie braucht es Anhänger, damit diese Demos und Proteste und ihr thematisches Ziel nicht nur die linke Blase erreichen, sondern eben potenziell alle.

Was einige autonome Linke dabei wahrscheinlich nicht verstehen: Die Mehrheit der Menschen weiß überhaupt nicht, was sie wollen.

Nun, wie wird man ein aktiver Antikapitalist im Kapitalismus? Diese Frage ist natürlich schwer und ich erwarte mir nicht, dass alle autonomen Linken ab sofort mit Fairtrade-Slippern aus Hanf herumrennen und vegetarisch leben.

Adidas-Schuhe für 100 Euro zu kaufen und dann gegen die Ausbeutung zu demonstrieren, ist der einfachste Weg. Man könnte auch den schwierigeren Weg gehen und zum Beispiel dumpstern, auf Selbstversorger umstellen, nur noch lokale Produkte einkaufen oder komplett auf Märkte mit Tausch und Eigenproduktion umsteigen. Die gibt es mittlerweile (zumindest in Städten) zuhauf – und dieser Lebensstil-Wandel kostet auch nicht mehr Geld.

Das zusammen mit der politischen Botschaft zu verbinden und darüber zu reden, würde meiner Ansicht nach viel mehr Leute ansprechen. Niemand behauptet, dass autonome Linke keine Smartphones mehr haben dürfen, sich Dreads wachsen lassen müssen oder nie wieder Markenkleidung tragen sollten – aber sie sollten versuchen, ihre Kauf- oder Tauschentscheidungen im Alltag zumindest an ihre Ideale anzupassen.

Wie wird man ein aktiver Antikapitalist im Kapitalismus?

Dass man meistens nur im Rahmen des bestehenden Systems handelt und seine angelernte Perspektive nicht von heute auf morgen über Bord werfen kann, ist klar. Aber genau darum ist es umso wichtiger, zumindest im Rahmen des Systems kleine Schritte zu machen und wirklich zu der Veränderung beizutragen, die man sich wünscht – auch wenn es mühsam und langwierig ist. Das sind oft Ideale, die weit von unserer alltäglichen Lebensrealität entfernt sind. Aber wenn wir uns davon abhalten lassen, brauchen wir das große Ziel gar nicht verfolgen.

Solange die Strömung des Antikapitalismus nur ein paar Linksdenkenden vorbehalten bleibt, wird sich nichts ändern. Und wenn es den autonomen Linken zu wenig ist, aktiv im Rahmen des Kapitalismus zu handeln, und ihre Gedankenwelt außerhalb der Blase zu transportieren, dann werden wir Jahr für Jahr Ausschreitungen erleben, die niemals etwas verändern werden.

Die Mehrheit wird immer hinter der Polizei stehen (eine Institution, der man generell mehr vertraut als irgendwelchen Menschen, die man nicht versteht und die Medienberichten zufolge Autos anzünden). Gegen ein System zu revoltieren, das man selbst im höchsten Maße reproduziert, wird wohl keine Durchschnittsbürger anlocken. Mich auch nicht.

– Frederika Ferkova (@Schla_Wienerin)