Wir haben 'Bad Banks' mit einem Banker geguckt
Alle Fotos: Eva L. Hoppe

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Popkultur

Wir haben 'Bad Banks' mit einem Banker geguckt

Die ZDF-Produktion ist die beste deutsche Serie der letzten Jahre. Nur: Arbeiten in Frankfurt wirklich lauter koksende Soziopathen?

Jahrelang galt: Wer deutsche Serien guckt, findet auch Mario Barth lustig. Statt spannende, über mehrere Episoden erzählte Geschichten guckt der Durchschnittsdeutsche GZSZ, Berlin – Tag & Nacht und als Premiumprodukt der deutschen Unterhaltung gibt es den Tatort. Serien, die die Welt veränderten, spielten nicht in Ansbach, sondern Albuquerque. Doch langsam wendet sich das Blatt. 2017 brachte die erste deutsche Netflix-Produktion Dark Tausende US-Amerikaner dazu, zum ersten Mal die Untertitelfunktion zu aktivieren. Mit Bad Banks haben die Öffentlich-Rechtlichen jetzt nachgelegt und eine Art deutsches House of Cards geschaffen – nur eben mit machthungrigen Bankern in Frankfurt am Main.

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1,3 Millionen Menschen haben die sechs Folgen bisher online gesehen, die schon vor der Erstausstrahlung im Fernsehen über die ZDF-Mediathek verfügbar waren. Und auch Kritiker zeigten sich begeistert. Die logische Schlussfolgerung: Bad Banks wird fortgesetzt, die zweite Staffel befindet sich bereits in Planung. Doch wie realistisch ist das Banker-Drama? Arbeiten im Frankfurter Bankenviertel wirklich lauter Soziopathen mit Kokainproblem?


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"Die Serie ist erstaunlich akkurat", sagt Laurent Hengesch. Seit sieben Jahren arbeitet der gebürtige Luxemburger im Finanzsektor, dreieinhalb davon als Banker im Business Development. Anfang des Jahres hat sich der 27-Jährige selbstständig gemacht und berät Investoren auf der ganzen Welt. Wie ein klassischer Banker sieht der 1,95-Meter-Mann nicht aus. Hengesch lacht viel in den eineinhalb Stunden, in denen wir uns in einem Meeting-Raum von VICE verbarrikadiert haben, um Bad Banks zu gucken. Statt elegantem Anzug trägt er Pullover und Jeans. Als Aussteiger kann er offen über die Zeit sprechen, in der sich sein Leben um Geld, Macht und Intrigen unter Mitarbeitern drehte. Er sagt, Personen, die Millionen per Klick verschieben und ihre moralischen Bedenken in Champagner ertränken, gebe es wirklich. "Auch wenn wir kleinere Erfolge eher mit Crémant begossen haben", grinst der Ex-Banker.

"Wir trauen uns beim ersten Date nicht zu sagen, welchen Beruf wir haben", sagt der Ex-Banker

Viel zu Feiern gibt es in Bad Banks nicht. Jana Liekam (Paula Beer) verliert ihren Job bei einer Luxemburger Bank, weil sie ihren Vorgesetzten übertrumpft, und landet mit Hilfe von Ex-Chefin Christelle Leblanc (Désireé Nosbusch) bei der "Deutschen Global Invest" in Frankfurt. Von dort soll sie Leblanc geheime Informationen zuspielen und wird vor eine schwere Wahl gestellt: Ist sie bereit, für den Erfolg über (metaphorische) Leichen zu gehen? Und was genau hat Jana getan, dass als Folge in den ersten paar Minuten der Serie die Geldautomaten streiken und wütende Demonstranten die Straßen in Brand setzen?

Laurent Hengesch

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Bad Banks zeigt ein gnadenloses System, in dem jeder nur so viel wert ist wie sein aktuelles Projekt. Junge Menschen, die ihr Chef Gabriel Fenger (Barry Atsma) in Denglisch darauf einpeitscht, sich nicht länger für ihre Ambition zu schämen: "Wir trauen uns zehn Jahre nach der Krise beim ersten Date immer noch nicht zu sagen, welchen Beruf wir haben!", ruft er bei einem Meeting in nickende Gesichter.

Laurent Hengesch kennt das auch. "Es ist tatsächlich so", sagt er. "Ich habe oft vermieden zu sagen, dass ich Banker bin, weil ich mich damit einfach nicht so wohlgefühlt habe." Nach der globalen Finanzkrise 2008 sei das Bankwesen eben nicht mehr so "sexy", es fehle der Nachwuchs. Wer früher Investment-Banker geworden wäre, sitze heute lieber bei Start-ups oder Fintech-Unternehmen.

Männer machen Geld, Frauen sich gegenseitig kaputt

In Bad Banks ist das Nachwuchsproblem noch nicht angekommen, hier kämpfen gleich mehrere Menschen Anfang/Mitte 20 um die Gunst von Investment-Guru Fenger. Besonders intensiv ist das Konkurrenzverhalten zwischen Jana und Thao Hoang (Mai Duong Kieu), die zu Beginn offenbar zeigen sollen, dass junge Frauen nach wie vor in männerdominierten Feldern vor allem das eigene Geschlecht als Feind sehen. Die Serie lässt Jana nach einem volltrunkenen Abend im Club schließlich ein Machtwort sprechen. "Es geht halt nicht, ne. Wir sind halt Frauen", lallt sie der konsternierten Thao ins Gesicht. "Und Frauen arbeiten nicht zusammen, die bilden keine Clubs, die gehen auch nicht zusammen in den Puff. Wir tun lieber so, als würden wir uns hassen und machen uns gegenseitig kaputt."

Ex-Banker Laurent Hengesch sagt, er habe in Meetings gesessen, in denen nur eine einzige Frau dabei war: "Sie hatte dieselbe berufliche Position wie ich und wurde trotzdem nicht ernst genommen. Da hieß es dann vom Vorgesetzten: 'Die Schöne setzt sich in die Mitte.'"

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Dem Banker-Drama gelingt es, die Arbeitsbedingungen von Frauen in der Männerdomäne so selbstverständlich einzuweben, dass man sich fragt, warum sich andere Serien nach wie vor so schwer damit tun, überzeugende weibliche Figuren zu schreiben, ohne den Zuschauern immer wieder ins Gesicht brüllen zu müssen: Das hier ist übrigens unsere starke Frau! Ertragen müssen die Frauen am Schauplatz der Serie, der fiktiven Deutschen Global Invest, so einiges. Als "Fotze" bezeichnet einer von Janas Kollegen sie, weil er glaubt, dass sie ihm einen Kunden streitig machen möchte. Später drückt er sie wütend an eine Flurwand und würgt sie. So übertrieben die Szene auch wirkt, im Kern treffe sie, sagt Laurent Hengesch, eine unangenehme Wahrheit der Finanzwelt: Jeder ist sich selbst der Nächste. Oder in seinen Worten: "Loyalität ist ein schwieriges Thema."

Keiner traut dem anderen

In der Finanzbranche gehe es noch mehr als in anderen Berufsfeldern um Geld und Macht. Und manchmal müsse man eben ungewöhnliche Wege gehen, um beides zu bekommen. "Ich weiß von einem Fall, in dem einer Mitarbeiterin nicht gekündigt werden durfte, weil sie eine Affäre mit dem Chef einer anderen Bank hatte", erzählt Hengesch. "Die Firmen sollten fusionieren und ihr Chef hat sich berufliche Vorteile davon versprochen, dass seine Mitarbeiterin mit dem neuen CEO schläft."

So wie sich in der Serie immer wieder neue Allianzen zwischen ehemaligen Feinden bilden, gebe es auch tatsächlich in Banken Zusammenschlüsse zwischen Kollegen. Man dürfe das eben nur nicht mit echter Kollegialität oder Freundschaft verwechseln. "Manchmal tun sich Leute zusammen, weil sie es müssen", sagt Hengesch. "Sie wissen, dass sie zueinander nicht loyal sind, aber sie haben etwas gegeneinander in der Hand – und so schützen sie sich." Keiner traut dem anderen. In den Banken, in denen Laurent Hengesch arbeitete, konnten Mitarbeiter nicht einmal USB-Sticks in ihre Rechner stecken. Die Angst, dass jemand Daten aus der Firma mitnehmen könnte, war zu groß.

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In der Finanzwelt sind nur die Panikattacken umsonst

Bad Banks-Protagonistin Jana navigiert ziemlich geschickt durch die Fallen, die ihr ihre Kollegen stellen. Aber auch sie ist nur ein Mensch. Immer wieder bleibt ihr in Anbetracht des großen beruflichen Drucks die Luft weg, sie bekommt Panikattacken.

"Wenn du bei den großen Investment-Banken anfängst, solltest du in den ersten Monaten mindestens zweimal komplett im Büro übernachten", sagt Laurent Hengesch. "Du hast einfach kein Leben." In Großbanken gelten jene, die feste Arbeitszeiten einfordern, als Verlierer. Er selbst habe im vergangenen Jahr 114 Mal im Flugzeug gesessen – doppelt so oft wie eine befreundete Stewardess. Wer jung ist und noch keine Familie hat, könne den Job einfacher wegstecken. An den Rand des körperlichen und geistigen Zusammenbruchs wie in Bad Banks geraten trotzdem einige. "Ein Freund von mir war Investment-Banker in London, mit 500.000 Euro Bonus", sagt Hengesch. "Nach eineinhalb Jahren sah der mit 26 Jahren aus wie 40. Der war richtig kaputt, der konnte nie wieder richtig arbeiten."

Regisseur Christian Schwochow erzählte in einem Interview mit der Zeit, wie wichtig es ihm gewesen sei, bei der Vorbereitung der Serie mit Experten aus der Finanzbranche zu sprechen. Und das merkt man in nahezu jeder Szene. Bad Banks nimmt ein Thema, das für viele sperriger nicht sein könnte, und macht es zu gutem, unterhaltsamem Fernsehen, ohne sich dabei allzu sehr von der Realität zu entfernen. "Es gibt trotzdem ein paar Sachen, die nicht ganz stimmen", sagt Laurent Hengesch. Zwar würden Banken ihren frisch angeworbenen Mitarbeitern durchaus eine Wohnung stellen, die kämen allerdings nicht im Ansatz an das Luxus-Apartment mit Panoramablick über das Bankenviertel heran, in das Jana einzieht.

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Auch die Bilanzfälschung, die Janas Arbeitgeber in große Probleme stürzt, sei lächerlich durchschaubar aufgezogen. "Nahezu jedes Unternehmen schiebt Gewinne hin und her, das ist eine gängige Praxis", erklärt er. "Normalerweise wird das nur etwas verschachtelter gemacht und fliegt deswegen auch nicht so einfach auf."

Kauft Wein, keine Bitcoins

Am meisten scheint ihn allerdings ein Detail aus der ersten Folge aufzuregen. Als Jana nach ihrer Kündigung in ihrem Auto eine Panikattacke bekommt, ruft sie ihren Freund an – und beruhigt sich erst, als der sie zwingt, sich ihren Kontostand in Erinnerung zu rufen. "Wer hat denn einfach so 160.000 Euro auf der Bank liegen? Bei der Zinslage!", sagt Hengesch.

Würde Jana sich tatsächlich mit Finanzen auskennen, würde sie in in Edelmetalle, Fonds, Immobilien und Aktien investieren. Auch wenn das in Zeiten von gehypten Krypto-Währungen natürlich ziemlich altbacken klingt. "Leute lesen, dass Bitcoins gerade abgehen und denken, dass sie reich werden, wenn sie 500 Euro investieren", erklärt der Ex-Banker. "Ich kann mir vorstellen, dass Krypto-Währungen mittelfristig komplett an Wert verlieren und das ganze Geld weg sein wird." Ganz allgemein würde er Menschen mit geringerem Vermögen eher dazu raten, ihr Geld in ihren Lifestyle zu investieren, als es anzulegen. "Fahr in den Urlaub, geh schön essen, kauf dir eine gute Flasche Wein. Selbst wenn du 10.000 Euro erbst, lohnt sich Investieren nicht. Das kann man nicht substantiell vermehren."

Als sich Hengesch nach sechs Folgen auf eine Lieblingsszene festlegen soll, muss er nicht lange überlegen: das erste Gespräch zwischen der Luxemburger Finanzchefin Christelle Leblanc und Jana. Als Leblanc Jana entlässt, gibt sie der Jung-Bankerin nicht nur die Aussicht auf einen neuen Job, sondern auch einen unbezahlbaren Ratschlag mit auf den Weg: "Es gibt keine Loyalität. Nicht zu deinen Mitarbeitern, nicht zu deiner Bank", sagt die erfahrene Bankerin. "Ab jetzt arbeiten Sie für sich." Ein Leitsatz, den jeder Nachwuchs-Banker gar nicht früh genug hören könne, findet Hengesch. "Irgendwann wird man immer verarscht, egal ob vom Chef oder von einem Mitarbeiter", sagt er. "Besser, man ist vorbereitet."

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