Die Stripperin Miriam
Alle Fotos: Sophie Wanninger
Menschen

10 Fragen an eine Stripperin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Bist du Stripperin, weil es für einen richtigen Job nicht gereicht hat? Wie oft bieten dir Kunden Geld, damit du mit ihnen schläfst?

Es ist Montagabend gegen 21 Uhr in einer Doppelhaushälfte in Oberhaching, einem Dorf mit knapp 13.000 Einwohnern am Rand von München. In der Küche legt Miriam gerade Wurst und Schinken auf einen Teller für das Abendessen. Sie ist 36, ihre Haare blond gefärbt, ihre Fingernägel pink und aufgeklebt. Seit 16 Jahren tritt sie unter dem Namen Jarly als Stripperin auf – früher in Tabledance-Clubs, heute auf Junggesellenabschieden und Geburtstagen, meistens am Wochenende, denn sie hat zwei kleine Kinder, für die sie morgens fit sein möchte, sagt sie.

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In Miriams Keller stehen eine Poledance-Stange und Regale voller Kisten mit Kostümen: Polizistin, Krankenschwester, ihr Lieblingskostüm die Sekretärin, aber auch ein hellblaues Mini-Dirndl und eine Nonnenkutte, weil sie einmal bei dem Geburtstag eines katholischen Priesters strippte, der eine Affäre mit einer Nonne gehabt haben soll. Zum Strippen kam sie, weil sie mit 16 an einem Gogo-Contest teilnahm und 3.000 Mark Preisgeld gewann. Danach tanzte sie in allen möglichen Discos in Oberbayern. Bis sie schließlich mit Anfang 20 als Stripperin und nicht als Gogo-Tänzerin gebucht war – ohne es zu wissen, sagt sie. Als sie auf der Bühne stand, forderte sie der DJ plötzlich auf, ihr Top auszuziehen. "Und ich tat es", sagt Miriam. "Denn ich war schon immer extrem zuverlässig."

Wir haben Fragen.


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VICE: Bist du Stripperin geworden, weil es für einen richtigen Job nicht gereicht hat?
Miriam: Nee. Ich dachte mir nach der dritten Klasse: Ich zieh mich lieber für Geld aus. Blöde Frage! Tatsächlich habe ich eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ich habe bei Gucci und Prada Einzelhandelskauffrau gelernt. Mit 18 war ich stellvertretende Geschäftsleitung in einem Laden. Deshalb würde ich nicht sagen, dass es zu nichts anderem gereicht hätte.

Strippen ist anspruchsvoll. Früher gab es in den Tabledance-Clubs richtige Ausscheidungsprogramme mit Vorstellungsgesprächen auf Englisch, bei denen man in Highheels die Stange rauf- und runtertanzen musste. Da ging nichts mit billigem Arschgewackel und Cellulite. Eine Stripperin muss animieren können und sie braucht Menschenkenntnis. Ich muss schnell abchecken können, wie weit ich gehen kann. Bei einem 50. Geburtstag zum Beispiel, bei dem alle Familienmitglieder um mich herum sitzen, kann ich keine große Pornonummer abziehen.

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Stripperin an der Pooldancestange

Wie viel verdienst du?
Für einen Auftritt nehme ich zwischen 170 und 220 Euro. Im Schnitt komme ich an einem Wochenende auf 200 bis 500 Euro. Aber Strippen ist für mich jetzt ein Nebenjob.

Früher war es auf jeden Fall mehr, vor allem während des Oktoberfests. 2006, in meinem besten Jahr, habe ich bis zu 2.000 Euro an einem Abend gemacht. An meinem allerersten Abend überhaupt habe ich mich blöd verdient, weil es alle süß fanden, dass ich das Unschuldslamm war. Auch in dem Tabledance-Club, in dem ich fünf Jahre lang gearbeitet habe, habe ich gut verdient. Aber diese Branche stirbt. Weil in den Tabledance-Clubs das Niveau so gesunken ist, kommt weniger Publikum.

Bei Junggesellenabschieden, bei denen ich auftrete, ist das anders. Die wird es immer geben. Früher gab es Abende, da bin ich um 19 Uhr losgefahren und morgens um 4 Uhr zurückgekommen. Am Ende hatte ich 1.600 Euro in der Tasche, bin aber auch knapp 1.000 Kilometer gefahren.

Als Stripperin kann man echt Geld machen. Aber bei mir stehen jetzt morgens um 6 Uhr zwei Kinder auf der Matte. Da kann ich mir nicht mehr die ganze Nacht um die Ohren schlagen. Heute bin ich in einem Fitnessstudio angestellt und habe ein Nagel- und Wimpernstudio.

Wie viel Geld investierst du in dein Äußeres und was davon in plastische Chirurgie?
Für Wimpern und Nägel sind es 70 Euro im Monat. Außerdem habe ich mir mit 25 in Tschechien die Brüste machen lassen. Mit Fahrt und Hotel kostete das 2.500 Euro. Das ist extrem günstig.

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Tattoos auf dem Rücken

Du bist fast 37. Wann bist du zum Strippen zu alt?
Wenn ich könnte, würde ich wahrscheinlich strippen, bis ich ins Gras beiße. Aber irgendwann geht es von der Optik her nicht mehr. Mit Schminke lässt sich zwar viel machen, aber die Falten auf der Stirn fallen mir langsam auf. Noch will ich mir kein Botox spritzen lassen, weil ich es furchtbar finde, wenn man sich so verbastelt.

Bis jetzt haben mich Kunden noch nie auf mein Alter angesprochen. Ich bekomme nicht weniger Anfragen als früher. Mit 18. Geburtstagen kann ich mich allerdings nicht mehr identifizieren. Jetzt buchen mich mehr die Biker-Clubs – gestandene Männer, die lieber eine Frau wollen und kein Mädchen. Zwei Jahre kann ich den Job bestimmt noch machen.

Als ich schwanger war, habe ich unter Tränen meine schönsten Kostüme in Kisten gepackt und in den Keller gestellt. Aber als meine Tochter sechs Wochen alt war, bin ich ein paar Kilometer weiter doch wieder bei einem Junggesellenabschied aufgetreten. Genmäßig bin ich gesegnet. Ich hatte dicke Milchbrüste, aber keinen Bauch.

Trotzdem war mir immer klar, dass ich meinen Horizont erweitern muss. Ich bin kein Vorstand-Frauchen, das bloß zu Hause sitzt und ihre neonpinken Fingernägel feilt.

Hast du Angst, dass deine Kinder sich eines Tages für dich schämen?
Ich lüge meine Kinder nicht an. Meine Tochter weiß, dass ich Tänzerin bin – auch, dass ich auf Geburtstagen oder Firmenfeiern auftrete. Unten im Keller habe ich einen Raum mit einer Stange, wo meine Perücken und Kostüme verstaut sind. Dieser Raum ist immer offen. Manchmal lädt meine Tochter Freundinnen ein und sie verkleiden sich da. Das finden alle cool. Wenn sie später auch Stripperin werden wollen würde, würde ich sie dabei unterstützen. Wahrscheinlich könnte es mit meinem Sohn eher Probleme geben – dass seine Freunde mit 14, 15 sagen: "Deine Mama ist ja eine geile Milf." Aber er ist erst sieben. Bis er in die Pubertät kommt, bin ich 45 und dann strippe ich sicher nicht mehr.

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Beine Highheels

Wie oft bekommen Männer während deiner Show eine Erektion?
Das kam einmal vor, bei einem 18-Jährigen. Ich habe ihn dann gefragt: "Na, geht’s wieder?" Das hat es natürlich nicht besser gemacht vor der versammelten Mannschaft. Es war ihm super unangenehm. Einen Orgasmus hatte noch nie jemand. Im Grunde ist eine Stripshow ja nicht wahnsinnig erotisch. Es guckt ja immer jemand zu. Egal, wer auf dem Stuhl sitzt, am Anfang hat jeder Panik. Es gibt Jungs, die sich kaum trauen, hinzuschauen. Da musst du aufpassen, dass sie nicht aufhören zu atmen vor lauter Schock. Deshalb sage ich den Männern, bevor es los geht, immer ins Ohr: "Egal was passiert, die Hose bleibt an." Dann sind alle erleichtert.

Manchmal kommt es vor, dass der Typ gar keine Lust auf mich hat. Es gibt Männer, die für ihren Kumpel eine Stripperin buchen, ganz egal wie oft er vorher gesagt hat, dass er das auf gar keinen Fall möchte. Dann sitzen die da und verdrehen die Augen. Aber ich weiß, dass solche Situationen nicht an mir liegen, sondern dass jede andere Stripperin das gleiche Problem gehabt hätte.

Wer war dein unangenehmster Kunde oder deine unangenehmste Kundin?
Mir ist grundsätzlich egal, für wen ich strippe. So hart es klingt: Diese Menschen sind für mich Arbeitsmaterial. Alles drumherum blende ich aus. Ich hab mal für einen Griechen gestrippt, der ganze Raum roch nach Knoblauch und Schweiß, der Mann wog um die 180 Kilo und brauchte zwei Stühle.

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Richtig unangenehm war mal eine Gruppe lesbischer Frauen. Die waren alle richtig touchy. Als ich nach der Show mit meinem Tuch in die Kabine wollte, liefen sie mir hinterher und machten Kommentare wie: "Kann ich deine Brüste noch mal sehen?", "Du hast so geile Lippen", "Leckst du mir den Finger ab". Das war einfach zu viel.

Dafür hatte ich auch mein schönstes Strip-Erlebnis mit einer Frau: Sie buchte mich für den 60. Geburtstag ihres Mannes, stand nach der Show auf, klatschte, verbeugte sich vor mir und sagte: "Das war wunderschön." Das zeigte mir, dass das, was ich tue, richtig ist.

Wie reagierst du, wenn dir Kunden während einer Show zwischen die Beine fassen oder dich sexuell belästigen?
So eine richtig schlimme Situation hatte ich erst einmal. Das war in einer Hütte, so weit draußen, dass es sicher niemand gemerkt hätte, wenn mir dort jemand den Kopf abgehackt hätte. Dort hat mir einer, als ich wie eine Katze über den Boden gerutscht bin, einen Arschtritt gegeben. Ich hab zu ihm gesagt, dass ich keine Nutte bin und auch kein Stück Fleisch, sondern ein Mensch. Er hat sich entschuldigt, aber mich hat das noch lange beschäftigt. Wäre es meine erste Show gewesen, wäre es sicher auch meine letzte gewesen.

Zur Polizei zu gehen und das anzeigen, kam für mich nicht in Frage. Die Polizisten hätten sicher eh nur gesagt: "Was erwartest du denn als Stripperin?" Würde ich aber offensichtlich sexuell belästigt werden, würde ich das auch anzeigen.

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Aber es ist noch nie passiert, dass ich irgendwo angefasst wurde, wo ich nicht wollte. Ich bin sehr selbstbewusst und sage im Vorfeld immer klar, was Sache ist. Doch eine Stripshow ohne Körperkontakt funktioniert nicht. Nur liegt die Betonung auf Show – wir sind quasi Zauberkünstler: Wir machen ein großes Tamtam, aber es sieht krasser aus, als es wirklich ist. Der Intimbereich ist immer tabu. Aber es gibt zum Beispiel eine Szene, da nehme ich seine Hand und fahre mir in die Hose. Jeder denkt "krass", aber ich habe ja einen Tanga drunter.

Stripperin leuchtende Jacke

Wie oft bieten dir Kunden Geld, damit du mit ihnen schläfst?
Bei den Stripshows, die ich jetzt mache, kommt das gar nicht vor. Es würde ja niemand in einem rosa Tütü auf einem Junggesellenabschied vor seinen ganzen Jungs sagen: "Hey, gehen wir aufs Zimmer?" Die Leute buchen mich wie einen DJ als Highlight der Party. Wenn ich mit meinen Kunden telefoniere, fragt vielleicht einer von zehn, ob es bei Sympathie noch mehr gibt. Dann leite ich ihn an andere Adressen weiter.

Wie hat sich durch deinen Job dein Männerbild verändert – und förderst du nicht ein falsches Frauenbild?
Ich habe gelernt, dass viele Männer Frauen nicht zu schätzen wissen – auch nicht die eigene. Es kam vor, dass mir Männer die Hand auf den Oberschenkel legten und mit mir Champagner tranken, während am Telefon ihre Frau war. Ich glaube deshalb nicht mehr an Monogamie. Wenn man nicht glücklich ist, wird man immer anfangen zu betrügen. Ich habe auch gelernt, dass Frauen schlauer sind als Männer. Die wären nie so doof, ein "Du hast die schönsten Augen der Welt" für 300 Euro Champagner zu kaufen.

Was das Frauenbild angeht: Tatsächlich kam ich mir bei meinem ersten Lapdance schäbig vor. Denn bis dahin gehörte mein Körper mir alleine. Trotzdem würde ich sagen: Nein. Vielleicht wäre das anders, wenn ich wie ein Blödchen mit einem IQ wie ein Toastbrot auftreten würde. Aber ich habe mittlerweile so ein Selbstbewusstsein, dass ich es gar nicht zulasse, als Objekt herabgewürdigt zu werden. Kritik prallt an mir ab. Viele Menschen wissen gar nicht, was hinter so einer Stripshow steckt. Es geht eher darum, die Fantasie anzuregen und den Menschen aus dem realen Leben herausholen. Ich bereite ihnen Urlaub für den Kopf.

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