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Wie 'Africa' von Toto zum Lieblingslied des Internets wurde

Irgendwie hat es dieser 35 Jahre alte, kitschige Song geschafft, sich in die Herzen der Internetnutzer zu trommeln. Wir haben mit einer Medienwissenschaftlerin über das Phänomen gesprochen.

Eigentlich habe ich dem 80er-Hit "Africa" von der US-Rockband Toto nie sonderlich viel Beachtung geschenkt. Er war halt einfach schon immer da.

Doch eines Abends ergriff der Song völlig unverhofft Besitz von mir und lässt mich seitdem nicht mehr los. Ich saß auf der Rückbank eines Taxis, das mich gerade durchs nächtliche Amsterdam kutschierte. Ich war ganz benebelt von der lauen Sommernacht, großartiger Gesellschaft und einer guten Flasche Rotwein. Offenbar die besten Voraussetzungen, um sich von einem liebenswerten 80er-Hit verzaubern zu lassen.

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Nachdem ich "Africa" erst einmal verfallen war, merkte ich schnell, dass es nicht nur mir so ging. Im Netz ist der Song so beliebt, dass er eigentlich schon ein Meme ist. Die kompletten vier Minuten und 55 Sekunden sind wahres Internet-Gold. Eigentlich ist der Song vielmehr als ein bloßes Musikstück, er ist ein Lebensgefühl.

Die ersten Klänge sind ganz sanft, fast schon unscheinbar. Darum brauchte ich im Taxi auch einen Moment, bis ich das Lied überhaupt erkannte. Doch dann ging es los: “ I hear the drums echoing tonight”, erklingt David Paichs klare Stimme über das Keyboard hinweg. “ Hurry boy, it’s waiting there for you!”. Nach ein paar Takten tue ich nicht mal mehr so, als ob ich dem Gespräch im Taxi lausche. Als der mitreißende Chorus einsetzt, singe ich bereits lauthals mit: “ It’s gonna take a lot to drag me away from you!”

Alle lieben 'Africa'

Dieses Jahr wird "Africa" 35 Jahre alt, und irgendwie schafft es dieser eigenwillige Song noch immer, in allen Ecken des Netzes Bewunderung hervorzurufen. Da wäre beispielsweise der "Africa"-Bot, der nichts anderes tut, als alle drei Stunden eine der Textzeilen zu tweeten. Außerdem gibt es die Website www.ibless.therains.downin.africa, auf der das offizielle Musikvideo von 1982 in Endlosschleife abgespielt wird. Allein auf YouTube hat das Video bis heute über 250 Millionen Views. Außerdem wurde der Song bereits in zahlreichen Werbeclips und TV-Serien verwendet, darunter Family Guy, Scrubs und kürzlich erst in der Netflix-Serie Stranger Things. Auch South Park, Community mit dem Gaststar Betty White und The Tonight Show with Jimmy Fallon mit Justin Timberlake haben dem Song mit eigenen Parodien Tribut gezollt.

Wenn man bei Twitter nach "Africa + Toto" sucht, erhält man sofort zahllose Posts, die vor Freude und Liebe für das Lied nur so übersprudeln: "Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei 'Africa' von Toto fühl ich mich, als ob ich alles schaffen kann", heißt es in einem Tweet. "Sprich mich nicht an, bevor ich nicht meine morgendliche Dosis 'Africa' von Toto hatte", schreibt ein anderer. "Wenn du dich gestresst fühlst", philosophiert ein anderer Tweet, "denk einfach daran, dass 'Africa' von Toto existiert."

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Auch der Popmusik-Enthusiast Nick Desideri erfuhr am eigenen Leib, dass "Africa" im Herzen der Internet-Community einen ganz besonderen Platz einnimmt. Als er letzte Woche seine inzwischen viral gegangene musikalische Übersichtsgrafik "Unifying Theory of Bops" postete, erntete er von "Africa"-Fans sehr viel Kritik dafür, dass er den Song so schlecht bewertet hatte. "Da 'Africa' von Toto inzwischen sowas wie ein Meme ist, überrascht mich die allgemeine Unzufriedenheit nicht”, sagte Desideri gegenüber Motherboard, "aber ich war doch etwas überrascht, wie tief der Unmut geht."

Diese bedingungslose Liebe für den Popsong erklärt vielleicht auch, warum sich so viele neue Songs an Totos Klassiker messen lassen müssen. Als Taylor Swift im August die erste Single ihres neuen Albums veröffentlichte, bekam die Journalistin Mollie Goodfellow fast 60.000 Likes für den Tweet: "Warum sollte ich mir den neuen Song von Taylor Swift sechs Mal anhören, um mich 'dafür zu begeistern', wenn ich 'Africa' von Toto nur einmal hören muss, um völlig auszuflippen?"

Der Song verkörpert eine Musik-Ära und ein Lebensgefühl

Doch wie hat es "Africa" geschafft, zum vielleicht beliebtesten Song des Internets aufzusteigen? Im selben Jahr, als "Africa" die Nummer Eins der US-Charts wurde und auch in Deutschland bis auf Platz 14 der Single-Charts kletterte, kamen auch andere große Pop- und Rock-Alben heraus, darunter Billie Jean von Michael Jackson, Let’s Dance von David Bowie und 1999 von Prince. Trotzdem traf vor allem "Africa" den Nerv der engagierten Meme-Community im Netz.

"'Afrika' ist ein totaler 80er-Song. Er steht komplett für die Musik seiner Zeit", sagte Ben Lunt, Executive Digital Director bei BMB, einer Werbeagentur in London. Lunt erinnert sich noch, dass der Song in seiner Kindheit als "extrem uncool" galt, aber heute betrachtet er ihn als eine Art heimliche Leidenschaft. "'Africa' setzt sich über alle Generationengrenzen hinweg. Leute meines Alters werden echt nostalgisch, wenn sie den Song hören, und auch die jüngeren Leute fühlen so etwas wie geborgte Nostalgie", sagt Lunt. Er denkt, dass junge Leute den Song mögen, weil er sie an die Musik erinnert, die ihre Eltern während ihrer Kindheit spielten. "Du verbindest den Song mit deiner Kindheit und darum fühlst du dich sicher, wenn du ihn hörst."

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Natürlich schadet es der Beliebtheit des Songs nicht, dass es sich mit den mitreißenden Drum-Loops, mehrstimmigen Harmonien und dem Hymnen-artigen Chorus um ein sehr gut durchdachtes Musikstück handelt. Die Lyrics sind nicht ganz so leicht greifbar – selbst wenn man den Text direkt vor sich liegen hat. Aber vielleicht hat gerade diese Mehrdeutigkeit dem Song zu einem so großen Erfolg im Netz verholfen, meint Lunt – denn ein Meme muss vage genug sein, damit Leute ihm einen eigenen Dreh geben können, während sie es verbreiten. Trotzdem unterscheidet sich "Africa" von anderen Memes, erklärt Lunt gegenüber Motherboard, denn normalerweise werde bei den Memes irgendeine Bedeutung umgekehrt. "Das geschieht bei dem 'Africa'-Meme jedoch nicht. Die Leute verwenden es meist einfach als Ausdruck der Freude und Liebe."

Die Band besingt einen Kontinent, auf dem sie nie war – und lässt kein Klischee aus

Als der Toto-Keyboarder David Paich und Schlagzeuger Jeff Porcaro den Song schrieben, waren sie tatsächlich noch nie in Afrika gewesen. Porcaro, der 1992 starb, beschrieb den Text einmal wie folgt: "Ein weißer Junge versucht einen Song über Afrika zu schreiben. Aber da er selbst noch nie dort war, kann er nur das verwenden, was er im Fernsehen gesehen hat oder was er mal gehört hat." "Africa" soll kein Lied über den Kontinent sein, es geht vielmehr um eine Idee oder ein nostalgisches Gefühl für einen Ort, an dem du noch nie warst.

"Der Song 'Africa' ist aus einem bestimmten kulturellen Moment entstanden", sagt Kate Miltner, eine Medienwissenschaftlerin an der University of Southern California gegenüber Motherboard. Die immer wiederkehrende Zeile "I bless the rains down in Africa" macht im Kontext der großen Hungersnot in Äthiopien Anfang der 80er Jahre Sinn, die eine ganze Reihe von Charity-Songs wie "We Are The World"" und "Do They Know It’s Christmas" inspirierte. Auch Totos Lied nimmt eine weiße, westliche Sichtweise auf den afrikanischen Kontinent ein. Im Musikvideo finden sich einige afrikanische Klischees wieder, die man aus heutiger Sicht wohl nicht mehr verwenden würde.

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Das Internet ist heute nicht gerade dafür bekannt, kulturelle Fehltritte oder Whitewashing, also die Praxis, nicht-weiße Rollen mit weißen Schauspielern zu besetzen oder eine Gesellschaft mit ausschließlich hellhäutigen Menschen abzubilden, leichtfertig zu vergeben. Daher ist es eher überraschend, dass dem Song diese Elemente nie großartig zur Last gelegt wurden – immerhin wurde er von einer Band geschrieben, die ursprünglich aus sechs weißen Typen bestand. Miltner meint, dass die Mehrdeutigkeit des Songs der Grund dafür sein könnte. Oberflächlich betrachtet scheint der Song "von einem Typen zu handeln, der etwas für ein Mädchen empfindet und außerdem gibt es noch ein paar mythologische Anspielungen", meint Miltner. Sie stellt auch die geographisch widersinnige Textzeile heraus: "As sure as Kilimanjaro rises like Olympus above the Serengeti". "Es geht mehr darum, ein bestimmtes Gefühl hervorzurufen, als eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen", fügt sie hinzu.

Aus heutiger Sicht wirkt "Africa" vielleicht etwas kitschig. Doch bei seiner Veröffentlichung 1982 war der Song völlig ernst gemeint. "Momentan beobachten wir eine Fetischisierung von ernstgemeinten und unverfälschten Inhalten in der Netzkultur. Darum sieht man auch manchmal Bilder von einem Hund, der mit einem Reh kuschelt, und der Unterschrift 'Zu unschuldig für diese Welt'", sagt Miltner.

Miltner glaubt, dass auch das aktuelle politische Klima dazu beiträgt, dass Totos Song so beliebt ist. "Er lädt dich zur Katharsis ein", meint Miltner. "Wir leben gerade in sehr seltsamen Zeiten." Der hyper-aufrichtige Nostalgie-Track wird vielleicht niemals als cool gelten, aber darum geht es auch nicht: Wir können den Song aus vollem Herzen mitgrölen und ihn ohne Vorbehalte lieben – das habe ich während einer nächtlichen Taxifahrt durch Amsterdam am eigenen Leib erfahren.