Die Liste Pilz hat ein Frauenproblem
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Politik

Die Liste Pilz hat ein Frauenproblem

Die Frauensprecherin nimmt ihr Mandat nicht an, um es einem Mann zu überlassen, dem in mehreren Fällen sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Und das ist leider nicht alles.

Nach tagelangem Überlegen entschied sich die Frauensprecherin der Liste Pilz, Maria Stern, am 6. Juni, ihr Nationalratsmandat nicht anzunehmen. Das bedeutet: Peter Pilz könnte nun nach langem Hin und Her endlich in den Nationalrat einziehen. In einer Klubsitzung am Mittwoch soll das weitere Vorgehen besprochen werden.

Aber spulen wir kurz zurück. Ein paar Rücktritte und Rücktritte von Rücktritten davor: "Jetzt steht der Rückkehr nichts mehr im Weg", hatte die Liste Pilz am 22. Mai in einem Facebook-Posting erklärt. Denn die Staatsanwaltschaft Innsbruck hatte kurz zuvor bekannt gegeben, dass sie die Ermittlungen wegen sexueller Belästigung gegen Peter Pilz eingestellt habe. Für den Listengründer war klar: Nun könne er in den Nationalrat zurückkehren. Aber der Rückkehr stand doch noch etwas im Weg. Und zwar, dass im Vorfeld eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter der Liste Pilz auf ihr oder sein Mandat verzichten müsste. Das wurde in den vergangenen Wochen mehr als ausreichend kommuniziert.

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Immer wieder wurde ein Name genannt, der dem Einzug von Peter Pilz im Wege stehe: Martha Bißmann. Zumindest bis zum 6. Juni, als Maria Stern ankündigte, ihren Platz zu räumen. Durch den Rücktritt von Peter Kolba wanderte die Entscheidung von Bißmann zu ihr; der Druck lastete nun auf einer anderen Frau. Dass gerade nach den Vorwürfen der sexuellen Belästigung ausgerechnet die Frauensprecherin der Liste geht, hinterlässt einen faden Beigeschmack.


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Anfang November hatte der ehemalige Grüne Peter Pilz in einer Pressekonferenz angekündigt, aufgrund dieser Vorwürfe sein Nationalratsmandat nicht anzunehmen. Auf einem steirischen Landesmandat rückte die Umweltaktivistin Martha Bißmann nach. Für viele schien es deshalb lange Zeit logisch, dass Bißmann ihr Mandat niederlegen müsse, wenn Pilz zurückkommen wollte.

Und tatsächlich war Bißmann auch lange Zeit die Einzige, die sich bereit zeigte, einen Rücktritt überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ihr Mandat war der Liste vermeintlich viel wert. Der scheidende Klubobmann Peter Kolba veröffentlichte vergangene Woche, wie viel genau: Demnach wollte Bißmann unter anderem geschäftsführende Parteiobfrau werden, bei der EU-Wahl auf Listenplatz 1 oder 2 kandidieren und einen gesicherten Platz bei der nächsten Nationalratswahl.

Bis Montag, den 28. Mai, soll dieses Angebot gegolten haben. Doch Bißmann wollte den Nationalrat nicht verlassen: "Ich bin gekommen, um zu bleiben", hatte sie am Tag ihrer Angelobung erklärt – und wiederholte es in einem Facebook-Video, nachdem die Frist verstrichen war. Aber warum hatte sie überhaupt angeboten, zu gehen? "Ich wollte nie auf mein Mandat verzichten. Aber niemand wollte gehen und ich dachte, es liegt an mir, einen Beitrag zur Lösung zu leisten", erklärt Bißmann im Gespräch mit VICE.

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"Nur weil du als Letzte gekommen bist, heißt das nicht, dass du schwächer bist."

Der Spin, der in der Öffentlichkeit nach dem 22. Mai verbreitet wurde, war klar: Martha Bißmann stehe dem Einzug von Peter Pilz ins Parlament im Weg. Auf die Frage, ob sie den Einzug von Peter Pilz in den Nationalrat verhindere, sagt Martha Bißmann: "Zu einem Siebtel."

Sie war schließlich nicht die Einzige, die Platz machen konnte. Doch die Version der Geschichte nutzte den anderen Abgeordneten. "Am Anfang des Jahres hieß es noch: 'Nur weil du als Letzte gekommen bist, heißt das nicht, dass du schwächer bist. Du bist eine von uns'", erklärt Bißmann gegenüber VICE.

Und die Öffentlichkeit schien die Version, die nach außen kommuniziert wurde, zu glauben, was den Druck auf sie erhöhte: In Mails schrieben Wählerinnen und Wähler, Bißmann verhöhne die Demokratie, sie sei eine Schande und als einziges Mitglied der Liste Pilz nicht gewählt worden, weshalb sie nun als Vernichterin der Liste Pilz in die Geschichte eingehen werde.

Kolba schrieb am Tag von Bißmanns Angekündigung, die Liste Pilz habe den "ultimativen Forderungen von Frau Martha Bissmann … bis 11.00 entsprochen." Bißmann wurde dabei als diejenige dargestellt, die die Abmachung völlig überraschend platzen ließ. Doch das ist so nicht richtig: Mehrere Klubmitglieder hatten im Vorfeld angekündigt, die Forderungen nicht zu unterzeichnen – man hatte sich aber darauf geeinigt, dass sich Klubmitglieder und Parteivorstand einstimmig entscheiden müssten, den Forderungen zu entsprechen. Bißmann hätte das Angebot also gar nicht annehmen können, schließlich stand es nicht.

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"Die Zukunft soll den Frauen gehören"

Generell scheinen die Männer in der Liste Pilz ihre Kolleginnen nur bedingt ernst zu nehmen und generell ein – vorsichtig formuliert – schwieriges Verhältnis zu Frauen zu haben. Nach den Vorwürfen gegen Peter Pilz verbreitete dieser gemeinsam mit seinem ehemaligen Klubchef Peter Kolba immer wieder Verschwörungstheorien, wer diese (vermeintlich falschen) Anschuldigen in die Welt gesetzt haben könnte, um der Liste und ihrem Gründer zu schaden: Gegnerische Parteien, Unternehmen, Medien.

Damals-noch-Klubchef Peter Kolba fiel auf Facebook und Twitter außerdem immer wieder mit sexistischen Meldungen auf: Er vermutete zum Beispiel eine Intrige rund um die Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch den ehemaligen Chefredakteur der Wiener Zeitung und schrieb, dass es "ja inzwischen gängige Praxis" sei, "… dass man [durch Vorwürfe der sexuellen Belästigung] politisch nicht genehme Männer 'abschießen' kann."

Selbst nachdem Kolba sein Mandat zurückgelegt hatte, trat er nach und erklärte in einem Interview mit Oe24, er habe "jahrzehntelange Verhandlungserfahrung aus dem Konsumentenschutz". Wenn ihm das "die 30-jährigen Mäderl im Klub" nicht glauben, könne er ihnen auch nicht helfen. Seinen Rücktritt erklärte er damit, dass "eine Partei, die sich das gefallen lässt, was Martha Bißmann diese Woche aufgeführt hat" am Ende sei.

Laut einem Mitarbeiter der Liste seien die weiblichen Abgeordneten von ihren männlichen Kollegen oft heftig für vermeintliche Fehler kritisiert worden, während bei den Männern vieles durchging. Auch Kritik an Kolbas Social-Media-Eskapaden habe es nicht gegeben. Kolba hatte neben dem Verbreiten von Verschwörungstheorien unter anderem rigoros User blockiert, die ihn kritisiert oder auch nur Postings von ihm unliebsamen Journalisten geliket hatten.

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Der Mitbegründer und Liste-Pilz-Abgeordnete Alfred Noll rief während der Rede einer Parteikollegin in Richtung der zwischenrufenden FPÖ deutlich hörbar für Abgeordnete, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, man solle sie doch in Ruhe lassen, sie sei "eh lieb".

Auf Bißmann lastete unterdessen weiterhin starker Druck, das Mandat niederzulegen. Ein Abgeordneter soll diesbezüglich gesagt haben, Bißmann zeige durch ihr Verhalten nur, dass ihr "a Watschn" gehöre. In einer Klubsitzung wollte man dann ihren Klub-Ausschluss diskutieren.

"Wenn ich jetzt gehe, bin ich nicht aus freien Stücken gegangen", sagte sie vergangene Woche im Gespräch. Das wird nun allem Anschein nach nicht mehr notwendig zu sein (sofern die dafür nötige formelle Rochade zustande kommt: Noll muss innerhalb einer Woche entscheiden, ob er Kolbas niederösterreichische Mandat annimmt, um so den Weg für Pilz endgültig freizumachen). Bißmann gibt sich trotz allem optimistisch und sagt, sie glaube an eine Versöhnung und gute Zusammenarbeit in der Zukunft.

Bei der Pressekonferenz Ende Mai, in der Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl ankündigten, die Klubspitze zu übernehmen, erklärte Rossmann, auf lange Frist solle "bei uns den Frauen die Zukunft gehören". Dieses Lippenbekenntnis wurde vorerst in eine ferne Zukunft verschoben, die derzeit nicht sehr realistisch scheint.

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