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islamophobie

Wie der Fastenmonat Ramadan zum Feindbild der Rechten wurde

Dass der Ramadan für Muslime ein Monat ist, in dem sie aus freien Stücken ihren Glauben ausleben, scheint für AfD, NPD und Junge Freiheit undenkbar.
Collage: imago/Emmanuele Contini, Screenshot

In Deutschland begann am 16. Mai 2018 gegen 3:30 Uhr der Fastenmonat Ramadan mit einem Fadschr, dem Morgengebet. Seitdem fasten gläubige Muslime tagsüber und essen einen Monat lang – bis zum 14. Juni – erst nach Sonnenuntergang. Der Ramadan gilt für viele von ihnen als Monat der inneren Einkehr, der Disziplin und des bewussten Verzichts.

So weit, so gut. Religion ist Privatsache, eigentlich sollte es also niemanden interessieren, ob muslimische Mitbürger für sich selbst entscheiden, tagsüber auf Essen zu verzichten. Doch der Ramadan ist in Deutschland zum politischen Schlachtfeld geworden. Die AfD, die Identitäre Bewegung, die NPD oder rechte Publizisten instrumentalisieren den Fastenmonat für ihre eigenen politischen Zwecke. Momentan ist der Fastenmonat das Lieblingsthema der AfD.

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Martin Sichert, AfD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, forderte, dass Arbeitgeber muslimische Bauarbeiter und Ärzte für die Zeit des Ramadan in einen Zwangsurlaub schicken. Damit wirbt die AfD quasi für vorübergehende Berufsverbote, bei denen Firmen ihre Mitarbeiter in zwei Klassen einteilen.

Der AfD-Abgeordnete Malte Kaufmann entdeckte einen Ramadan-Kalender im Sortiment der Einzelhandelskette Kaufland – und postete ein Bild davon in sozialen Netzwerken, um das Ende des Abendlandes heraufzubeschwören. "Eine #Islamisierung findet nicht statt. Oder doch???", fragt Kaufmann.

Bereits letztes Jahr hatte der Parteivorsitzende Jörg Meuthen in bestem Sarrazin-Sprech erklärt, dass sich Deutschland wegen des Ramadan abschaffe. Dieses Jahr zündelt die AfD mit der gleichen Rhetorik: Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch warnt wegen des Ramadan vor einer "Anbiederung an den Islam". Der Ramadan gehöre nicht zu Deutschland. "Wer erwartet, daß Unternehmen, Schulen und staatliche Einrichtungen darauf Rücksicht nehmen, kann in ein islamisches Land ziehen", sagte von Storch der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit, die immer noch die alte Rechtschreibung pflegt.

Publizisten der Jungen Freiheit zitieren nicht nur von Storch, sondern beziehen auch in eigenen Kommentaren Stellung. Boris T. Kaiser schreibt etwa eine "Ramadan-Mania" herbei. Der Kommentar wartet mit kruden Vergleichen auf: "Warum sollte man moslemische Freunde beim ungesunden Fasten helfen? Man würde ja auch niemandem raten, einen befreundeten Kettenraucher oder Alkoholiker zu unterstützen, indem man ihm regelmäßig Zigaretten holen oder billigen Fusel besorgen geht."

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Der Fastenmonat ist eine wiederkehrende Inspirationsquelle für die JF-Redaktion. Letztes Jahr wurde der Ramadan als eine "Machtdemonstration" eingestuft, die für "perfiden Ramadan-Rummel" genutzt wurde. Weil Trump die Ramadan-Feier im Weißen Haus strich, fand die JF damals lobende Worte für den US-Präsidenten.

Auch in den sozialen Netzwerken regen sich rechte User über den Ramadan auf. Eine beliebte Argumentation geht so: Die Zustände in Deutschland sind bereits so schlimm, dass wir vor den Augen von fastenden Muslimen auf Konsum an öffentlichen Orten verzichten müssen. Und wenn sich der Biodeutsche 2018 nicht mal Orangensaft und Fleischwurst-Semmel in der Anwesenheit von Muslimen reinziehen kann, dann ist das heilige judeo-christliche Abendland endgültig dem Untergang geweiht.

Die ARD erntete einen regelrechten Shitstorm, weil sie in einem Beitrag schilderte, wie man fastende Muslime unterstützen kann. "Noch krasser ist es, komplett auf deutsches Halb-VerblödungsTV zu verzichten und gleich Al Jazeera einzuschalten. Wie unsere Muselfreunde!", schreibt ein Nutzer.

Außerdem wird der Fastenmonat als Beleg dafür genutzt, dass Politiker mit zweierlei Maß messen würden. Nachdem die Bundesregierung "allen muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen gesegneten und friedvollen Ramadan" wünschte, empörte sich die NPD: "BEI DIESER BUNDESREGIERUNG WUNDERT EINEN GAR NICHTS MEHR!"

Auch Erika Steinbach, Ex-CDU-Politikerin, sieht in dem Post der Bundesregierung einen Affront. Ihre Logik: An Pfingsten – für die gottesfürchtigen Deutschen natürlich der wichtigste Feiertag des Jahres, Leute! – habe die Kanzlerin der Bevölkerung nichts gewünscht, wohl aber zum Ramadan! Ganz im Gegensatz zum österreichischen Kanzler Sebastian Kurz – der ist schließlich gegen illegale Migration und denkt an alle österreichischen Pfingstfeiernden.

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Apropos Österreich: Der Posterboy der Identitären Bewegung, Martin Sellner, nutzte den Fastenmonat für ein Filmchen, in dem er verkrampft ironisch einen "Ramadan-Knigge" lernt, Verse aus dem Koran rezitiert und Glückwünsche wie "Ramadan Karim" in seine Webcam stammelt. Das Ganze ist zwar eher mittellustig, aber unter der Anhängerschaft von Sellner findet das Video Anklang. "Ich grill meinen Spanferkel mitten in Park. Somit wird der ganze Bereich automatisch zum Musel freien Bereich", grunzt der User "Olf Tolf" unter dem Video.

Schlechtere Leistungen in Schule und Beruf, falsche Rücksichtnahme, Houellebecq’sche Unterwerfungsgelüste, politische Anbiederung und eine Islamisierung des Abendlandes: Um gegen den Fastenmonat Stimmung zu machen, ist jedes Argument Recht. Dass der Ramadan für Millionen Muslime einfach ein Monat ist, in dem sie aus freien Stücken ihren Glauben ausleben und bewusst auf Konsum verzichten, scheint für viele in Deutschland im Jahr 2018 undenkbar.

Der muslimische Journalist Tarek Baé schrieb auf Facebook: "Wenn man schaut, wie viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass man etwas so Konsequentes, Diszipliniertes wie das Fasten aus freiem Willen und mit Freude begeht, sollte man erkennen, wie notwendig es geworden ist, Menschen an diese Freiheit, sich vom Konsum loszulösen, zu erinnern."

Im Anschluss an den Fastenmonat kommt es Mitte Juni übrigens zu einem einem dreitägigen Fastenbrechfest, bei dem sich muslimische Familien und Freunde versammeln, beschenken und gemeinsam speisen. Viele Moscheen laden an diesem Tag auch Nichtmuslime ein. Vielleicht könnte Martin Sellner für sein nächstes Identitären-Vlog solch eine Moschee aufsuchen – und sich in ironischem Unterton darüber echauffieren, dass Datteln, Couscous und Kichererbsen statt österrrrreichischem Spanferrrrrrkel serviert werden.

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