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Sexismus

Steuererklärungen diskriminieren keine Homosexuellen mehr, sind aber immer noch sexistisch

Egal wie viel die Frau verdient, für das Finanzministerium kommt sie immer an zweiter Stelle.
Foto: imgflip

Steuererklärungen sind nicht nur so spannend wie der 80. Geburtstag von Tante Gerda aus Gelnhausen, sondern auch so modern wie Verwandte, die bei jedem Familientreffen fragen, wieso ein hübsches Mädel wie du denn keinen Freund findet. Daran ändert auch die neu dazugewonnene Gleichberechtigung von Homosexuellen nichts.

2013 beschloss der Bundestag, dass auch homosexuelle Paare in eingetragenen Lebensgemeinschaften vom Ehegattensplitting profitieren sollen. Grund dafür war ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Seitdem gibt es die Möglichkeit sich auf der Einkommensteuererklärung als Person A oder Person B einzutragen. Seit der Ehe für Alle heißt es: Person A/ Ehegatte A und Person B/ Ehegatte B. Im Bundesamt für Finanzen ist also die Gleichwertigkeit der homosexuellen Partnerschaft angekommen, die Gleichstellung der Frau allerdings noch nicht. Bei heterosexuellen Eheleuten ist nämlich ganz klar angegeben, wer sich bei einer Zusammenveranlagung wo einzutragen hat. Erst kommt der Mann. Dann kommt die Frau.

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Ursache seien laut einem Sprecher des Bundesfinanzministeriums (BMF) organisatorische Gründe. Dass der Mann zuerst genannt wird, sei keine wertenden Rangfolge, sondern Teil eines automatisierten Massenverfahrens. Der Mann ist zwar statistisch häufiger der Hauptverdiener, trotzdem muss sich die Frau auch dann an zweiter Stelle eintragen, wenn sie mehr verdient als ihr Ehemann oder Lebenspartner – und das waren 2015 immerhin 13 Prozent der Frauen.

Da die Steuererklärung schnell für Nervenzusammenbrüche sorgen kann, gibt es eine beiliegende Anleitung. So lernt man am Beispiel der Familie Muster, an welcher Stelle welche Angaben gemacht werden müssen und so richtig nach 2018 klingt das Leben der Familie Muster auch nicht: Herr Muster ist Kraftfahrzeugschlosser in Vollzeit, seine Ehefrau arbeitet halbtags als Buchhalterin. Obwohl Hannelore Muster sich also vermutlich wunderbar im Finanzwesen auskennt, macht ihr Mann Heribert die Steuererklärung für beide. Dabei war Hannelore im Januar 2017 aufgrund von Heriberts Arbeitslosigkeit sogar die Alleinverdienerin der Familie. ("Alleinverdienerin" unterkringelt übrigens die Autokorrektur von Google Docs rot, mit der Empfehlung daraus "Alleinverdiener" zu machen.)


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Die Musters heißen Hannelore und Heribert und haben seit 1998 einen Sohn namens Volker. Welcher Zwanzigjährige heißt Volker? Und welche Eltern eines Zwanzigjährigen heißen Hannelore und Heribert? Handlungsbedarf sieht mittlerweile auch das Finanzministerium. "Trotz der vorangestellten Gründe [für die feste Reihenfolge] verkennt das BMF nicht die gesellschafts- und gleichstellungspolitischen Belange, die für eine geschlechterneutrale Gestaltung der Steuererklärungsvordrucke sprechen", so ein Pressesprecher des Ministeriums gegenüber VICE.

Anlässlich der Jahrestagung der Finanzministerinnen und Finanzminister letzte Woche veröffentlichte der Deutsche Juristinnenbund (djb) eine Pressemitteilung, in der er fordert, Steuerformulare umgehend diskriminierungsfrei zu gestalten. Maria Wersig, Präsidentin des djb, sagt darin: "Überkommene Rollenklischees haben darin nichts zu suchen und auch im Hinblick auf eine Sprache, die alle anspricht – statt wie bisher nur das generische Maskulinum zu verwenden – ist noch viel Luft nach oben."

Auch eine sexistische Steuererklärung sollte leider pünktlich abgegeben werden – spätestens am 31. Mai, sonst könnte es teurer werden.

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