Ein junger Torajaner raucht zusammen mit seinem Onkel, der vor mehr als 40 Jahren verstorben ist
Ein junger Torajaner raucht zusammen mit seinem Onkel, der vor mehr als 40 Jahren verstorben ist | Alle Fotos: Claudio Sieber

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Wo der Tod nicht scheidet: Warum die Toraja ihre Toten immer wieder ans Licht holen

Dem indonesischen Volksstamm gelten Verstorbene erst mal nur als krank. Deshalb bekommen sie manchmal jahrelang weiter Essen und Zigaretten.

Vier Kinder, höchstens im Grundschulalter, beugen sich über den mit einem bunten Tuch ausgelegten Holzkasten. Vorsichtig fahren sie mit ihren Fingern durch das dunkle, gekräuselte Haar ihres kleinen Cousins. Was wie ein wohliger Moment eines Familientreffens klingt, wirkt jedoch sehr morbide: Das Baby ist schon seit zehn Jahren tot.

Die vier Kinder gehören den Toraja an, einem Volksstamm im saftig grünen Hochland im Süden der indonesischen Insel Sulawesi. Anders als in der westlichen Welt setzt man sich dort schon früh mit dem Thema Tod auseinander. In der Kultur der Toraja hört das Leben nicht auf, wenn man stirbt: Der Tod gilt dort eher als Teil des Lebens.

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Wenn innerhalb des Volksstamms jemand stirbt, behandeln die Verwandten die Toma Kula – die Toten – so, als ob er oder sie nicht tot ist, sondern nur krank. So werden die Toma Kula weiter mit Essen, Wasser und sogar Zigaretten versorgt. Die Seele ist noch da und man muss sich um sie kümmern.


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Diese ganze Pflege erfolgt im Tongkonan, dem traditionellen Pfahlbau der Toraja. Dort bleiben die Toten mehrere Monate, manchmal sogar mehrere Jahre liegen, bis sich die Familie ein richtiges Begräbnis leisten und die dazugehörige Zeremonie – Rambu Solo genannt – planen kann. Bis dahin müssen getrockneten Pflanzen den beißenden Geruch des Formalins zur Leichenkonservierung überdecken.

Offiziell sind die "kranken Menschen" erst dann tot, wenn ein während der Beerdigung geopferter Wasserbüffel seinen letzten Atemzug ausgehaucht hat. Nur so können die Seelen der Verstorbenen nach Puya, also in die Toraja-Version des Himmels aufsteigen. Je mehr Büffel zusätzlich geopfert werden, desto schneller finden die Toten ihren Weg zu den Göttern.

Laut Aluk To Dolo, dem Glaubenssystem der Toraja, reichen 24 Wasserbüffel in den meisten Kasten als Opfergabe. Die genaue Anzahl legt aber der zuständige Dorfoberste in Absprache mit der Familie fest. Manche Beerdigungsgäste bringen dann noch weitere Büffel als Geschenk mit. In der Toraja-Kultur ist es zudem ungeschriebenes Gesetz, dass beim nächsten Begräbnis ein gleichwertiger Büffel zurückgeschenkt werden muss.

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Toraja Funeral

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Eine Beerdigung in einer Familie aus einer niedrigen Kaste kann schnell um die 50.000 Dollar kosten. In höheren Kasten kommen aber auch schon mal zwischen 250.000 und 500.000 Dollar zusammen. Von nahen Verwandten der Verstorbenen wird erwartet, mindestens einen teuren Opferbüffel zur Verfügung zu stellen – und die kosten auf dem Viehmarkt zwischen 10.000 und 40.000 Dollar. Der Preis hängt davon ab, wie die Haut des Tiers beschaffen ist, wie lang die Hörner sind und welche Farbe seine Augen haben. Die Größe einer Toraja-Beerdigung wird an der Zahl der Büffel gemessen.

Die ganze Zeremonie kann zwischen drei und fünf Tagen in Anspruch nehmen. Sie endet aber immer damit, dass der oder die Verstorbene in einem Mausoleum oder in einem Steingrab beigesetzt wird. Damit ist es für die Familie allerdings noch nicht vorbei: Alle ein bis drei Jahre findet das Ma'Nene-Ritual statt, bei dem die Toten aus ihren Gräbern geholt, sauber gemacht und neu eingekleidet werden. Selbst weit entfernt lebende Verwandte reisen zu diesem Anlass an. Es will schließlich niemand die Gelegenheit verpassen, zusammen mit der Familie zu feiern und an die Verstorbenen zu erinnern.

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Je mehr Büffel die Toraja opfern, desto schneller finden die Seelen der Verstorbenen ihren Weg in den Himmel

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Beim Rambu Solo bereitet die Familie die Leiche für das Begräbnis vor

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Beim Ma'Nene-Ritual wird die Leiche zuerst gesäubert und dann neu eingekleidet

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