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Meinung

Die deutsche Politikerin Dorothee Bär hat keinen Bock mehr auf Deutsche

Zumindest nicht auf Twitter. Recht hat sie.
Doro Bär hinter einem Screenshot ihres Tweets
Foto Dorothee Bär: imago | Eibner

Dorothee Bär ist etwas besonderes. Eigentlich ist die CSU-Frau nur Staatsministerin – kein Job, in dem die Bekanntheit vorprogrammiert ist. Trotzdem hat es Bär geschafft, immer wieder Gesprächsthema zu werden. Was vor allem daran liegt, dass sie gerne Sachen sagt, über die Leute sich aufregen (Flugtaxis sind super, Gendern sei eine "Vergewaltigung der Sprache", "Chili habe ich immer in der Handtasche"). Normalerweise sind es aber eher Linke, die sich über sie ärgern.

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Am Montag hat sie es allerdings geschafft, eine ganze Horde rechtschaffener Bürger gegen sich aufzubringen – und zwar durch diesen simplen Tweet:

Gut, um es vorneweg zu sagen: Für eine deutsche Politikerin ist es vielleicht nicht der smarteste Move, das zu schreiben. Aber andererseits…

…andererseits…

…spricht sie uns nicht allen aus der Seele? "Deutsche in der Timeline" – klingt das nicht wirklich gruselig?

Um das zu verstehen, muss man auch keiner von denen sein, die es automatisch und immer für den feinsten Grad von aufgeklärtem Humor halten, sich (als Deutsche) permanent über Deutsche lustig zu machen. Es ist ja nicht mal so, dass Deutsche da jetzt besonders schlimm wären (habt ihr mal englische Twitter-Debatten gesehen? Oder französische?).

Eigentlich geht es darum, dass man sich eine gute Reise oder neue Erfahrung mit nichts besser versauen kann, als wenn man Twitter aus der Heimat aufmacht.

Was zur Hölle ist ein #mehlgate? Und wen interessiert das?

Beispiel: Ich war neulich in Österreich und habe mich vier lange, glückliche Tage lang mit absolut nichts beschäftigt, vor allem nicht mit irgendwelchen "Debatten". Kurz nach meiner Rückkehr habe ich dann dummerweise wieder in Twitter reingeschaut – und landete sofort mitten in einer sehr aufgeregten Diskussion um… #mehlgate.

Erinnert ihr euch an #mehlgate? Ich auch nicht wirklich. Es ging los, dann wurde extrem hitzig über irgendwas diskutiert, Menschen haben sich gegenseitig beleidigt und für dumm erklärt, und zwei Tage später hatten es alle vergessen.

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Und das ist eigentlich bei den meisten dieser Debatten so: Wer wäre wirklich traurig, wenn er das ganze Gelaber über Karneval und Annegret Kramp-Karrenbauers Anti-Witz und all die nachdenklichen Kommentare, die dann über die Grenzen des Humors, der Meinungsfreiheit und des Saarlandes einfach komplett verpasst hätte? Niemand, genau.

Dabei sind natürlich nicht alle Debatten in den sozialen Medien völlig sinnlos –bei weitem nicht: Der #metoo-Hashtag zum Beispiel hat – zusammen mit den Enthüllungen der New York Times über Harvey Weinstein – wirklich etwas losgetreten, das unsere Welt verändert hat.

Andererseits scheinen mittlerweile vor allem auf Twitter praktisch jeder und jede zu glauben, dass JEDER MISSSTAND SOFORT GEMELDET werden muss – egal, ob es sich um den neuesten dummen Tweet von Julian Reichelt, gegendertes Kinderspielzeug im Lidl oder die Reaktivierung der Bahnstrecke Kiel-Schönberger Strand handelt. Im einzelnen sind das vielleicht alles wichtige, empörungswürdige Gründe. Aber in der Summe ergibt sich daraus beim Öffnen der Twitter-App oft ein Effekt, als würde man in einen Keller steigen, in dem sich tausende blinzelnde Besserwisser gegenseitig die Ohren vollnörgeln. Kann das wirklich gesund sein? Natürlich nicht.

Sorry Doro, du musst da trotzdem durch

Andererseits: Dieses ewige Genörgel ist ja nichts neues, das gibt es nicht erst seit Twitter. Das ist nunmal einfach Teil der demokratischen Debatte – nur dass sich jetzt eben nicht mehr nur noch langweilige Politiker, sondern auch langweilige IT-Unternehmerinnen und langweilige Kindergärtner energisch daran beteiligen.

Was aber auch heißt: Jemand wie Doro Bär, die nunmal in der Politik tätig ist, hat leider keine Entschuldigung. Sie muss sich damit auseinandersetzen, schließlich hat sie sich das freiwillig ausgesucht – und vor allem, weil sie dauernd Sachen tut (Gendern mit Vergewaltigung gleichsetzen) oder nicht tut (sich um gutes Internet auf dem Land kümmern), die Leuten auf die Nerven gehen.

Das heißt: Man kann kein deutscher Politiker sein, wenn man keinen Bock auf nervige deutsche Debatten hat – das ist ganz einfach gegen die Spielregeln. Denn das ist genau der Deal: Von uns bekommt sie Dienstwagen, Reisen nach Austin und Macht – und ist dafür dazu verdammt, jede einzelnen nörgelnden Marcel auf Twitter ernstzunehmen. Das schuldet sie uns. Das ist unsere Rache.

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