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Menschen

Wir haben einen Anwalt gefragt, was die Polizei bei Demonstrationen darf und was nicht

"In nicht wenigen Fällen musste der Staat eine Entschädigung an die Betroffenen zahlen."
Der Anwalt Peer Stolle
Foto: Peer Stolle

In den vergangenen Tagen wollten plötzlich alle der Polizei für ihre tolle Arbeit beim G20-Gipfel danken. Die Bild startete eine eigene Kampagne: "Danke, Polizei." Bürgermeister Scholz nannte ihren Einsatz "heldenhaft".

Wahr ist aber auch: Polizisten haben die "Welcome to Hell"-Demo bewusst und teils unnötig brutal nach wenigen Metern gestoppt. Auch Unbeteiligte und friedlich Demonstrierende bekamen Schläge und Pfefferspray ab. Beamte forderten eine Busladung von Demonstranten auf, ihre Handys zu entsperren und den Polizisten zu zeigen. Und selbst Journalisten beschwerten sich, dass Polizisten sie zu Boden schubsten und schlugen.

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Sobald ein Einsatz der Polizei kritisiert wird, fällt ein Totschlag-Argument: Die Polizisten machen auch nur ihren Job.

Aber was genau ist ihr Job? Dürfen Polizisten die Handys von Demonstrierenden durchsuchen? Wann dürfen die Polizisten mit dem Schlagstock austeilen? Und wann den Zugang zu Anwälten verwehren?

Die Antwort der Hamburger Polizei zu den Vorwürfen am G20-Wochenende:

Wir wollen wissen, welche Chancen Demonstrierende auf dem Rechtsweg nun tatsächlich haben. Peer Stolle ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger, seine Fachgebiete: Polizei- und Versammlungsrecht. Er ist Vorstandsvorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Der Verein vertrat unter anderem die Kläger gegen die Demo-Verbotszone in der Hamburger Innenstadt. Der Anwalt steht also eindeutig auf der Seite der Protestierenden, aber er kann uns sagen, was die Polizei aus rechtlicher Sicht darf und was nicht.

VICE: Herr Stolle, was haben Sie am Wochenende in Hamburg gemacht?
Peer Stolle: Ich bin Vorsitzender eines Vereins, der sich für die Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten einsetzt. Gerade bei Großveranstaltungen wie G20 werden solche Rechte von der Polizei aber gerne mal ignoriert.


Ebenfalls bei VICE: Ein verdeckter Ermittler erzählt von seiner Vergangenheit


Und wie hilft der Verein?
Wir haben für den G20-Gipfel einen anwaltlichen Notdienst organisiert. Wir bieten Beratung bei Demonstrationen oder bei polizeilichen Maßnahmen, vertreten aber auch Betroffene, die in Gewahrsam genommen oder verhaftet worden sind. Das habe ich in den letzten Tagen gemacht.

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Ordentlich was erlebt?
Ja. Ich habe einige Versammlungen begleitet, die sehr brutal von der Polizei gestoppt und eingekesselt worden sind. Wir wurden dann von den Demonstranten gefragt, ob wir bei der Verhandlung mit der Polizei helfen können. Die Demonstranten konnten dann weiterziehen.

Darf die Polizei überhaupt einkesseln?
Wenn die Einkesselung länger dauert, dann handelt es sich um Freiheitsentziehung. Es ist auf jeden Fall rechtswidrig, eine friedliche Demonstration mit Gewalt zu stoppen und einzukesseln. Selbst wenn sie nicht angemeldet ist. Wenn Straftaten bei der Demo begangen werden, ist die Rechtslage etwas anders. Aber das kommt dann sehr auf den Einzelfall an.

Die berüchtigte "Welcome to Hell"-Demo am Donnerstag wurde umgehend nach Beginn aufgelöst. Weil sich einige Teilnehmer vermummten und laut Polizei Flaschen flogen. Wurde hier das Grundrecht zu demonstrieren verletzt?
Solange eine Demo friedlich ist, wird sie vom Grundgesetz geschützt. Einige Teilnehmer waren wohl vermummt, legten die Vermummungen nach Aufforderung der Polizei aber ab. Eine einzige Flasche soll dann wohl geflogen sein. Dadurch wird eine Versammlung aber nicht gleich unfriedlich. Die Polizei hatte also nicht das Recht, die Demo aufzulösen.

Und was ging in Hamburg schief?
Die Polizei hat die Demonstration gestoppt und die Teilnehmer aufgefordert, die Vermummung abzulegen. Das haben die meisten wohl auch getan. Während die Verhandlungen mit der Polizei noch liefen, sind dann Polizisten ohne Ankündigung in die Demo hinein gestürmt; in voller Montur und mit gezücktem Schlagstock.

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Wann ist der Einsatz des Schlagstocks denn gerechtfertigt? Wann Pfefferspray?
Unmittelbaren Zwang dürfen Polizisten anwenden, um eine polizeiliche Maßnahme durchzusetzen oder wenn sie angegriffen werden. Welches Mittel sie dabei benutzen, richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das gilt auch für den Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfern. Gezielte Schläge auf den Kopf und der Einsatz von Pfefferspray gegen friedliche Demonstranten sind auf jeden Fall unverhältnismäßig.

Und was ist mit der Dienstwaffe? Es gibt ein Foto, auf dem ein Polizist auf einen Mann zielt, der am Fenster steht. Darf er das?
Der Einsatz der Dienstwaffe geht nur in absoluten Ausnahmefällen, bei Gefahr für Leib und Leben und wenn andere Mittel keinen Erfolg versprechen. Auch wenn die Waffe "nur" als Drohmittel eingesetzt wird. Ich kenne das Foto nicht, kann dazu daher zu dem konkreten Fall nichts sagen. Schusswaffen einfach auf Passanten oder Unbeteiligte zu richten, wäre natürlich rechtswidrig.

Wann darf die Polizei mich in Gewahrsam nehmen?
Es gibt den sogenannten Vorbeugegewahrsam, also wenn es die Annahme gibt, dass die Person ohne die Freiheitsentziehung Straftaten begeht, und andere Maßnahmen nicht ausreichen. Das Hamburger Polizeigesetz erlaubt bis zu zehn Tage präventiv hinter Gittern. Präventivgewahrsam hat strenge Voraussetzungen.

Die Polizei kann Menschen einfach so zehn Tage wegsperren?
Nein, nicht einfach so. Darüber muss unverzüglich ein Richter entscheiden. Dieses Unverzüglichkeitsgebot wurde in Hamburg während der letzten Tage flächendeckend missachtet. Die Person darf auch nur so lange in Gewahrsam genommen werden, wie die Gefahr besteht. Ist eine Demo oder eben der G20-Gipfel zu Ende, muss die Person freigelassen werden.

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Und ab wann haben Demonstrierende Recht auf einen Anwalt?
Jederzeit. Und darauf sollte man auch bestehen. In der Regel steht aber eine Anwältin nicht in jeder Situation zur Verfügung, gerade dann, wenn Demonstranten eingekesselt werden. Das ist der Sinn unseres anwaltlichen Notdienstes.

Die Polizei hat einen Bus voller Demonstranten angehalten und sie aufgefordert, ihre Handys zu entsperren, um die IMEI-Nummern auszulesen? Ist das legal?
Das ist so offensichtlich rechtswidrig, da brauchen wir gar nicht weiter drüber zu reden.

OK.
Also, die Polizei darf das nur, wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt. Ohne Einverständnis der Person darf das nur mit richterlicher Anordnung erfolgen. In diesem Fall war das meiner Meinung nach klare Schikane. Man sollte den Einblick ins Handy immer verweigern.

Auch viele Journalisten berichten, sie seien bei den Demonstrationen schikaniert und teilweise sogar verletzt worden.
Das haben wir tatsächlich oft erlebt. Journalisten, die trotz klarer Presse-Kennzeichnung aus dem Weg geschubst wurden oder sogar Pfefferspray abbekommen haben.

Und wie ist die Rechtslage?
Journalisten dürfen nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Wenn sie die Arbeit der Beamten behindern, kann man sie natürlich auffordern, wegzugehen. Die Polizei ist mit der Behauptung, es liegt eine Behinderung vor, immer schnell bei der Hand und legt das sehr weit aus. Davon sind Journalisten genauso betroffen wie Anwälte.

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Und was kann ich als Journalist dagegen machen, wenn ich verletzt wurde?
Das ist Körperverletzung im Amt seitens des Polizisten. Leider sind unsere Erfahrungen mit Anzeigen gegen Polizisten nicht die besten; in der Regel werden die Verfahren eingestellt. Darüber hinaus ist es auch schwierig, die Beamten wiederzuerkennen – vermummt und ohne Kennzeichnung.

Also kann man die Anzeige auch gleich sein lassen?
Wie gesagt, alles ist vom Einzelfall abhängig. Dafür gibt es ja Anwälte, die einen beraten können. In solchen Fällen kann es ja auch um Entschädigung und Schmerzensgeld gehen.

Und wogegen könnten Demonstranten auf einer Demo noch klagen?
Wenn man beispielsweise einen Platzverweis oder ein Aufenthaltsverbot erteilt bekommen hat oder längere Zeit eingekesselt worden ist oder die Demo aufgelöst worden ist, kann man das polizeiliche Vorgehen nachträglich gerichtlich überprüfen lassen. In nicht wenigen Fällen musste der Staat dann auch Entschädigung an die Betroffenen zahlen, zum Beispiel wegen Freiheitsentzug beim Einkesseln.

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