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Israelische Entwickler kritisieren deutsche Selbstzensur von 'Wolfenstein II' mit Schnurrbart-Game

"Wenn ihr so tut, als ob Nazis keine Nazis seien, dann macht ihr was falsch. Wenn ihr euer Spiel nicht in Israel verkauft, weil wir Juden sind, dann macht ihr was falsch."
Foto: Wolfenstache: The New Censorship | Screenshot: Motherboard

Statt eines Fadenkreuzes dient in Wolfenstache: The New Censorship ein Davidstern als Zielhilfe. Die Quintessenz des neuen Browsergames: Eine Ladung nach der anderen auf hinabschwebende Hitler-Schnurrbärte abfeuern. Im Hintergrund dröhnt dazu Wagners "Der Ritt der Walküren". Ja, es steckt viel Ironie in der Parodie auf das heiß diskutierte Wolfenstein II: The New Colossus.

Mit Wolfenstache: The New Censorship nehmen drei israelische Entwickler die Änderungen auf die Schippe, denen The New Colossus für seine Version für den deutschen Markt unterzogen wurde. Außerdem protestieren sie dagegen, dass genau das Spiel über Nazis, das wir jetzt brauchen, in ihrer Heimat Israel erst gar nicht veröffentlicht wurde.

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"Warum könnt ihr euer Game stolz in jedem Videospielladen der Welt anbieten, aber in Israel schämt ihr euch so sehr dafür, dass ihr es uns nicht mal verkaufen wollt? Wo ist euer Rückgrat?", schütteln die Macher im Interview mit Motherboard den Kopf über Bethesda, die Entwicklerfirma von Wolfenstein II: The New Colossus.

Weltweit zeigt das neue Wolfenstein eine fiktive Welt, in der die deutschen Nationalsozialisten in den USA an der Macht sind und mit dem Ku Klux Klan gemeinsame Sache machen. Für die Veröffentlichung in Deutschland hat Bethesda bei Wolfenstein II jedoch einige Anpassungen vorgenommen. So wurden alle Hakenkreuze und sogar Hitlers Schnurrbart aus dem Game entfernt. Hitler selbst heißt nicht Hitler, sondern Heiler, statt "Heil Hitler", sagen seine Untertanen "Mein Kanzler". Hintergrund dieser Änderungen speziell für den deutschen Markt ist, dass das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Deutschland gegen Paragraph 86a des Strafgesetzbuches verstößt.

Im Spiel finden sich immer wieder ironische Seitenhiebe auf Bethesdas Veröffentlichungspolitik | Foto: Wolfenstache: The New Censorship | Screenshot: Motherboard

Bethesda ging sogar so weit, die jüdischen Wurzeln des Protagonisten B.J. Blazkowicz in der deutschen Version weniger stark zu betonen. In Israel kommt das Spiel aus nicht bekannten Gründen gar nicht erst auf den Markt. Auf unsere Anfrage zum Hintergrund dieser Entscheidung hat Bethesda nicht reagiert.

Die israelischen Entwickler Shalov Moran, Alon Karmi und Nadav Hekselman fanden Bethesdas Veröffentlichungspolitik weder deutschen noch israelischen Gamern gegenüber fair. Wolfenstache: The New Censorship ist ihr Protest. In einem Videospiel Nazis abknallen, habe für sie eine befreiende Wirkung.

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Karmi vermutet hinter den Entscheidungen, dass Bethesda Angst hatte, Israelis könnten sich von dem Spiel vor den Kopf gestoßen oder gekränkt fühlen. Allerdings erzählt er gegenüber Motherboard, dass Videospiele über den Zweiten Weltkrieg in Israel eigentlich nie zensiert würden. Seine Freunde außerhalb von Israel seien darüber geschockt, dass Bethesda ein Game, in dem ein jüdischer Protagonist "einen Haufen Nazis" abknallt, ausgerechnet in Israel nicht veröffentlichen wolle.

"Ist das nicht der befreiendste Plot für uns, den es geben kann?", fragt Karmi. Auch Hekselman findet es schade, dass Bethesda die Chance, "die Dinge etwas aufzumischen", nicht genutzt hat. Sein Mitstreiter Moran wird da schon etwas direkter. Er glaubt, dass Bethesda deutschen Gamern einen Gefallen getan hätte, wenn sich der Entwickler für eine unzensierte Version von Wolfenstein II eingesetzt hätte. Für ihn ist die Gesetzgebung veraltet, schließlich wurde Paragraph 86a StGB geschaffen, um nationalsozialistische Propaganda zu verbieten, nicht aber um Diskussionen über Nazismus zu verhindern.

Tatsächlich ist es laut der sogenannten Sozialadäquanz-Klausel unter bestimmten Umständen auch in Deutschland möglich, Symbole wie das Hakenkreuz zu zeigen – unter anderem dann, wenn sie der "staatsbürgerlichen Aufklärung" oder der Kunst dienen. Bislang hat aber noch kein Spieleentwickler das rechtliche und finanzielle Risiko in Kauf genommen, ein Videospiel mit Nazisymbolik in Deutschland auf den Markt zu bringen – auch nicht, wenn es sich auf künstlerisch-kreative Weise mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzt.

"In erster Linie wollen wir Bethesda öffentlich für etwas vorführen, das meiner Meinung nach eine der dümmsten Revisionismus-Aktionen der Geschichte ist", sagt Moran. "Wenn ihr Juden aus eurem Spiel heraus zensiert, dann macht ihr etwas falsch", sagt Moran. "Wenn ihr so tut, als ob Nazis keine Nazis seien, dann macht ihr was falsch. Wenn ihr euer Spiel nicht in Israel verkauft, weil wir Juden sind, dann macht ihr was falsch."

Bis sich ein Game-Entwickler traut, in Deutschland endlich einmal das laut Moran und Co Richtige zu tun, müssen Gamer vorerst aber noch mit der geänderten Version von The New Colossus vorlieb nehmen – oder eben hemmungslos Wolfenstache zocken.