Die Konferenz von Frauke Petrys Abgang – Ein Drama in drei Akten
Foto: imago | Christian Thiel

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Bundestagswahl 2017

Die Konferenz von Frauke Petrys Abgang – Ein Drama in drei Akten

Die Rechten hatten nicht einmal Zeit, ihren Siegesrausch richtig auszuschlafen.

9 Uhr, Montagmorgen. Der liberale Teil Deutschlands hat einen Kater und gurgelt sich gerade den Rotweinatem vom Vorabend weg. Die AfD ist mit 12,6 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft bei der Bundestagswahl geworden, doch den gebeutelten 87 Prozent (ausgenommen der NPD-Wähler), die ihr Kreuzchen woanders gemacht haben, bleibt zumindest eine Hoffnung: Vielleicht "entzaubern" sich die Rechten ja innerhalb kürzester Zeit, wenn sich herausstellt, dass sich Probleme nicht selbst beheben, indem man einfach nur Parolen herausbrüllt. Schließlich hatte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland bei Anne Will bereits verlauten lassen, dass er es nicht als Aufgabe der AfD sehe, Deutschland "gut und konstruktiv" zu verändern.

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In Berlin trifft sich derweil die Führungsriege der Alternative für Deutschland, um sich nach einem triumphalen Wahlergebnis den Fragen der übernächtigt wirkenden Presse zu stellen. Alice Weidel, Jörg Meuthen und Frauke Petry wirken ausgeruht, Alexander Gauland hingegen scheint rührselig über seinen Wehrmachts-Memorabilia eingeschlafen und am Morgen direkt zur Konferenz geschlurft zu sein. Zumindest trägt er anscheinend dasselbe Outfit wie am Wahlabend, inklusive eigenwilliger Hundekrawatte. (Ein Statement von PETA steht hierzu noch aus.)


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Die Konflikte der Vergangenheit scheinen vergessen, auch wenn Gauland Petry beim Gruppenfoto scheele Blicke zuwirft. Die ungeliebte Kollegin hat in ihrem Wahlkreis schließlich das Direktmandat geholt und die Partei selbst mehr als 35 Prozent – so viel wie nirgendwo sonst. Die rechten Politiker setzen sich, lassen den Blick selbstzufrieden durch den Raum schweifen, und schon dürfen sie der Reihe nach verkünden, was sie zu diesem historischen Erfolg (gab's in der Form seit den 30ern schließlich nicht mehr!) zu sagen haben. Weidel ist stolz und dankt den Wählern, Gauland ist sehr rot im Gesicht und dankt sich erst einmal selbst und gerade will man sich Kaffee holen, denn auch der ist braun, aber nicht ganz so schädlich für Körper und Geist, da ergreift Frauke Petry das Wort.

Der erste Akt: Et tu, Frauke?

Und die will so gar nicht auf den anderen Parteien rumhacken oder von einer neuen Ära sprechen, in der jetzt alles ganz anders wird. Stattdessen fordert sie, die politischen Inhalte der AfD "nun auch personell vernünftig [zu] untersetzen" und distanziert sich von den "abseitigen Positionen" innerhalb ihrer Partei. Was dann kommt, ist zu schön, um es nicht in Gänze wiederzugeben und dabei im Hintergrund diesen Song zu hören. Bereit? OK:

"Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen, weil ich glaube, dass wir an diesem Tag auch offen sein sollten damit, dass es offenen Dissens in der AfD gibt. Wir sollten diesen nicht totschweigen, weil es genau das ist, was wir von der Gesellschaft auch fordern: dass eine offene Kontroverse geführt wird. Die AfD von 2013 hat den klaren Anspruch vertreten – und so war es auch bis 2015 –, am Ende schnell regierungsfähig zu werden. Das ist auch weiterhin mein Anspruch. Eine anarchische Partei, wie es in den vergangenen Wochen das ein oder andere mal zu hören war, die die AfD sei, die kann in der Opposition erfolgreich sein, sie kann dem Wähler aber kein glaubwürdiges Angebot für eine Regierungsübernahme machen.

Und das ist der Grund, meine Damen und Herren – unter anderem mit meinem Anspruch verbunden, dass ich aktiv gestalten möchte und eben Realpolitik im guten Sinne einer konservativen Politik machen werde –, für mich nach langer Überlegung zu entscheiden, dass ich der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht angehören werde. [Totenstille, vereinzeltes Rascheln.] Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, dass ich dazu keine weiteren Fragen beantworte. Sie haben sicherlich noch viele Fragen. Ich werde im Foyer auch noch für wenige Nachfragen bereitstehen. Ich möchte mich bei meinen Kollegen bedanken, bei Alice Weidel, bei Alexander Gauland und bei Jörg Meuthen, und werde jetzt diesen Raum verlassen. Dankeschön."

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Und das tut sie dann auch. Fast wünscht man sich, dass irgendjemand "Somewhere I Belong" von Linkin Park einspielt, aber die Band hat dieses Jahr auch so schon genug durchgemacht und das Leben ist keine HBO-Serie, sondern eher wie ein Dieter-Nuhr-Comedy-Special. Da gibt es an den ganz schlimmen Stellen auch nur unangenehme Stille mit vereinzeltem Lachen. Hat das erfolgreichste Zugpferd der Partei wirklich nicht mal einen Tag nach dem Einzug in den Deutschen Bundestag das Handtuch geschmissen?

Der zweite Akt: Das Drama nimmt seinen Lauf

"Also, hrrm, Pardon, Frau Petry, das … finde ich kein faires Verhalten, hier auch gegenüber den Kollegen", hebt Tim Szent-Ivanyi von der Bundespressekonferenz an, während Alice Weidel einen sehr großen Schluck aus ihrem Wasserglas nimmt. Mehrere Journalisten stürmen aus dem Raum, den die bessere Geschichte des Tages gerade verlassen hat. Irgendjemand lacht gurgelnd auf. Es ist nun an den verbliebenen AfD-Kräften zu erklären, dass man vom Abgang Petrys nun wirklich gar nichts gewusst habe und innerhalb der Partei alles super laufe. Es wäre aber nicht die AfD, wenn nicht trotz aller vorgeschobener Ruhe noch mal so richtig nachgetreten würde.

Die Kollegin habe schon seit Monaten nicht mehr an Telefonkonferenzen teilgenommen, erklärt Gauland auf Nachfragen und betont anschließend, dass man sonst wirklich absolut gar nichts zu dieser Entscheidung sagen könne, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Weidel schiebt nach, dass man von Personen in Führungspositionen durchaus fordern könne, in ihren Entscheidungen "erwartbarer" zu sein. Trotzdem: Überrascht, geschweige denn schockiert, wirkt keiner der Anwesenden. Außer vielleicht Pressesprecher Christian Lüth, dem es schon vor seinem E-Mail-Posteingang graut.

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In den deutschen Medien dominieren Eilmeldungen, die allesamt dasselbe vermelden: Frauke Petry möchte nicht Teil der AfD-Bundestagsfraktion sein. Mehr wissen wir aber auch nicht. Deutlich spaßiger geht es hingegen auf Twitter zu. Während man sich am Sonntagabend gegenseitig Wut zugesprochen und zumindest verbal schon mal auf den ganz großen Widerstand vorbereitet hatte, kann man sich jetzt doch wieder ganz befreit über die AfD lustig machen. Erste Social-Media-Nutzer dürften bereits mit zuckendem Augenlid die "lustigen" Memes der heute-Show zu den Vorfällen erwarten. Vorerst überwiegen allerdings Situationskomik oder Erinnerungen an das Ende von Tic Tac Toe.

Der dritte Akt: Der Schlussakkord

Die Bundespressekonferenz neigt sich ihrem Ende zu und von der Selbstgefälligkeit, die Weidel und Gauland über große Teile der Konferenz aufrecht erhalten konnten, bleib nicht mehr viel übrig. Die Spitzenkandidatin wirkt stellenweise so, als würde sie sich gerne übergeben. Ihr 76-jähriger Kollege hingegen sieht aus, als hätte er Angst, sie würde sich zu diesem Zweck seine Hundekrawatte ausleihen wollen.

Dabei hatten sie da noch gar nicht den Facebook-Post gelesen, den Frauke Petry mittlerweile veröffentlicht hatte.

Als "frei und konservativ" bezeichnet sich die Politikerin in dem Bild zum Post, auf dem sie streng, aber auch erwartungsvoll in die Zukunft blickt. Viel Neues erfährt man im dazugehörigen Text allerdings nicht. Statt sich im Mainstream zu etablieren, sei die Partei zu sehr durch "radikale Positionierungen außerhalb des Programms" aufgefallen. Realpolitische Vertreter und gemäßigtere Mitglieder seien "zunehmend marginalisiert" und "diskreditiert" worden. Fast scheint es, als gehöre Petry zu den Menschen, die durch die vergangenen Jahre geschlafwandelt sind und nun vollkommen überrascht feststellen mussten, Teil einer rechtsradikalen Partei zu sein.

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"Da ich diesen Exodus an politischem Know-How und Personal aus meiner Position heraus nicht mehr aufhalten kann, habe ich mich nach langem Ringen entschlossen, der neu zu bildenden AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag NICHT anzugehören", schreibt sie in ihrem Statement. "Stattdessen werde ich als Einzelabgeordnete einer vernünftigen konservativen Politik Gesicht und Stimme verleihen."

Wie so eine "vernünftige konservative Politik" von der Ex-AfD-Anpeitscherin aussehen könnte, bleibt abzuwarten. Ihre Facebook-Fans scheinen bisher aber alles andere als glücklich. Als "Spalterin" wird Petry dort bezeichnet, oder – in schönster Trump-Manier samt Cartoon-Gif – als "Traitor", "Verräterin". [Update: Auch Alice Weidel forderte ihre Noch-Parteikollegin mittlerweile dazu auf, die AfD zu verlassen.] Ob das nun aber die sehr schnelle, erhoffte "Spaltung" und "Entzauberung" der neuen Rechten bedeutet? Wahrscheinlich nicht. Die Masken sind gefallen und wer die AfD gewählt hat, kann sich schon seit Langem nicht mehr darauf berufen, nicht gewusst zu haben, worauf er sich einlässt.

Warum also dieser Eklat, der eigentlich keiner ist, Frauke? Nur für den Kick, für den Augenblick? Wenn sich Netflix dieses Drama zum Anlass nehmen möchte, eine Art deutsches House of Cards zu produzieren, bei dem alle Intrigen schieflaufen und ausgesprochen hässliche Krawatten getragen werden – wir hätten da ein paar Ideen.

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