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Mini-Gehirne aus dem Labor geben erstmals "menschenähnliche" Hirnströme ab

Nach sechs Monaten in der Petrischale feuerten die gezüchteten Organe erstmals ähnlich wie das Hirn eines Frühchens. Angst vor einem "Bewusstsein aus dem Labor" haben die Forschenden aber nicht.
Abbildung der Gehirn-Organoide
Eine Abbildung der Gehirn-Organoide | Bild: Muotri Lab | UC San Diego

Es klingt wie Science-Fiction, doch schon seit mehreren Jahren züchten Forschende aus Stammzellen kleine Organmodelle, an denen sie zum Beispiel Medikamente testen können. Auch mit Hirnzellen klappt das. Dabei wachsen neuronale Stammzellen in der Petrischale gemeinsam mit Seidenproteinen zu einer 3D-Struktur heran, die grob der Großhirnrinde entspricht. Die Nervenzellen sind zum Teil aktiv und können sogar untereinander Synapsen bilden.

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Nun haben Neurowissenschaftler von der University of California in San Diego bei im Labor gezüchteten "Mini-Gehirnen" erstmals elektrische Aktivitäten beobachtet, die menschlichen Hirnströmen ähneln. Dieser Durchbruch in der Stammzellenforschung könnte es ermöglichen, frühe Stufen von Funktionsstörungen in Säuglingsgehirnen wie Epilepsie zu erforschen. Das ist normalerweise kompliziert bis unmöglich, da es sehr schwer ist, die Hirnaktivitäten von Föten in der Gebärmutter zu analysieren – und externe Gewebeproben von Föten zur Forschung ethisch höchst umstritten sind.

Das Forschungsteam um den Neurologen Alysson Muotri stellte Anfang November ihre noch nicht veröffentlichte Forschungsarbeit beim Treffen der Society for Neuroscience vor. Darin beschreiben sie, dass sie in den letzten zehn Monaten Hunderte gehirnähnliche Strukturen gezüchtet haben. Diese sogenannten Organoide können Gewebe bilden, das dem der Hirnrinde gleicht. In diesem Teil des Gehirns werden unter anderem sensorische Daten verarbeitet.

Nachdem die Organoide sechs Monate in der Kulturschale gewachsen waren, maßen die Forschenden eine höhere elektrische Aktivität als jemals zuvor bei Organoiden aus dem Labor gemessen wurde. Noch überraschender war jedoch, dass die Aktivität nichts mit der gleichmäßigen Aktivität reifer Gehirne gemein hatte. Stattdessen waren die elektrischen Muster chaotisch – wie bei Gehirnen in der Entwicklungsphase.

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Als Muotri und sein Team die Organoide mit den Hirnen von Frühgeborenen verglichen, stellten sie fest, dass ihre Aktivitäten ähnliche Muster aufweisen. Sie können auch bei Babys beobachtet werden, die zwischen der 25. und 39. Schwangerschaftswoche geboren werden.


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Laut eines Nature-Artikels über das Forschungsprojekt haben Neurowissenschaftler zu den Ergebnissen gemischte Meinungen. Hongjun Song, Neurowissenschaftler an der University of Pennsylvania, sagt, dass man mit den Organoiden erforschen könnte, wie sich Hirnstörungen im Frühstadium bei Säuglingen entwickeln. Sampsa Vanhatalo hingegen, Neurowissenschaftler an der Universität Helsinki, wirft ein, dass man von den gleich aussehenden Hirnströmen noch nicht darauf schließen kann, dass die Organoide genauso arbeiten wie die Hirne von Frühchen.

Bedenkt man, wie wenig Neurowissenschaftler über das Gehirn im Entwicklungsstadium wissen, wird sich diese Debatte in nächster Zeit kaum lösen lassen. Obwohl die Organoide noch weit von echten, menschlichen Gehirnen entfernt sind, wirft die Forschung mit Stammzellen einige ethische Fragen auf. Könnten Organoide beispielsweise ein Bewusstsein entwickeln? Muotri zumindest macht sich darum momentan keine Sorgen, da die Organoide noch sehr primitiv seien.

"Das ist zu diesem Zeitpunkt noch eine absolute Grauzone", sagte Muotri gegenüber Nature. "Bisher kann noch niemand das gesamte Potenzial überblicken."

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.