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diskriminierung

"Wie oft hatten Sie mit Ihrem Freund Geschlechtsverkehr?"

LGBTQ-Geflüchtete müssen sich in Deutschland private Fragen gefallen lassen. Aber nicht nur das ist ein Problem.
Foto: imago | Future Image

Manchmal ist der Umgang Europas mit Geflüchteten so unmenschlich, dass vielleicht sogar Horst Seehofer die Worte fehlen würden. Ein 18-jähriger Afghane beantragte Asyl in Österreich, weil er laut eigenen Angaben in seinem Heimatland aufgrund seiner Homosexualität verfolgt wurde. Sein Antrag wurde abgelehnt und die Wiener Wochenzeitung Falter berichtet warum: "Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten", heißt es im Ablehnungsschreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der Regionalstelle Wiener Neustadt, das dem Falter vorliegt. "Es wird berichtet, dass Sie öfter Auseinandersetzungen mit anderen Zimmergenossen hatten. Ein Aggressionspotential ist bei Ihnen also vorhanden, das bei einem Homosexuellen nicht zu erwarten wäre." Weiter schreibt der zuständige Beamte mit Verweis auf vorliegende Unterlagen: "Freunde hätten Sie nicht sehr viele, steht in dem Bericht ebenso. Sind Homosexuelle nicht eher gesellig?"

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Das Bundesamt kommt zu dem Schluss, dass der Betroffene daher nicht homosexuell sein könne, und lehnt den Antrag ab. Offensichtlich wurden hier einfach Stereotype und Klischees als Schablone genutzt, um über einen Asylantrag zu entscheiden.

War das ein Einzelfall, in dem ein besonders rückschrittlicher Beamter seine eigenen Vorurteile nutzt, um Geflüchtete abzuschieben? Oder ist das schlimmstenfalls auch in Deutschland eine gängige Analysepraxis? Wir haben nachgefragt und mit einem Mitglied des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD), einer Sprecherin des Bundesamtes für Migration (BAMF) und einem homosexuellen Migranten aus Ägypten gesprochen.

Homosexualität ist in der EU ein Asylgrund. Anspruch darauf haben Menschen, die befürchten müssen, wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt zu werden. Wie viele Homosexuelle in Deutschland Asyl beantragen und damit Erfolg haben oder nicht, ist unklar, da das BAMF Asylgründe nicht statistisch erfasst. Zwar hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende 2014 entschieden, dass zum Beispiel keine Fragen mehr zu sexuellen Praktiken gestellt werden dürfen, trotzdem werden immer wieder Vorwürfe laut, dass sich Asylbewerber peinliche Fragen zu ihrer Sexualität anhören müssen. "Wie oft hatten Sie mit Ihrem Freund Geschlechtsverkehr?" und "Wie haben Sie den Verkehr empfunden?" wurde ein Pakistaner im November 2016 gefragt.

Das komme mittlerweile aber eher selten vor, sagt Patrick Dörr, Leiter des Projekts Queer Refugees. Es werde dennoch sehr detailliert gefragt: "Die Mitarbeiter des BAMF stellen Fragen zum Coming-out, zu früheren Beziehungen, wie man Männer oder Frauen kennengelernt hat und welche Apps man dafür benutzt hat. Wenn die Geflüchteten darüber berichten können, dann wird das in der Regel geglaubt und der Bescheid fällt positiv aus." Um LGBTQ-Geflüchtete zu unterstützen, wurde das Projekt 2017 vom LSVD ins Leben gerufen und wird auch von der Bundesregierung unterstützt. Betroffene können sich bereits vor ihrer Einreise per E-Mail über ihre Möglichkeiten und den Ablauf des Asylverfahrens informieren. In Deutschland angekommen werden Betroffene an lokale Stellen weitergeleitet.

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Wie eine Sprecherin des BAMF gegenüber VICE mitteilte, ist eine bestimmte sexuelle Ausrichtung "ein Verfolgungsgrund, der schwerpunktmäßig im Rahmen des Flüchtlingsschutzes und hierbei insbesondere wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geprüft wird". Beantragt eine homosexuelle geflüchtete Person also Asyl, muss sie oder er schildern, verfolgt worden zu sein. Oder aus Angst vor Verfolgung die eigene sexuelle Orientierung versteckt zu haben. Die Geflüchteten müssen auch zeigen, dass sie wahrscheinlich verfolgt würden, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Eine bestimmte sexuelle Orientierung ist also kein alleiniges Kriterium für den Schutz. Jeder Fall wird vom BAMF einzeln geprüft und die vorgetragene Fluchtgeschichte bewertet. "Die Fragen des Entscheiders richten sich nach dem individuellen Vortrag der Asylsuchenden", erklärt die Sprecherin des BAMF. Das Bundesamt prüfe dann die Glaubhaftigkeit, dort gibt es speziell ausgebildete Sonderbeauftragte für diese Fluchtursache. Auch Queer Refugees hilft bei der Schulung von Verwaltungsmitarbeitenden, wie denen vom BAMF. Dort wird zum Beispiel vermittelt, dass nicht von Stereotypen ausgegangen werden darf, sagt Patrick Dörr.

Achmed hat solche eine Befragung erlebt. Der 40-Jährige flüchtete letztes Jahr nach Deutschland, weil er in Ägypten seine Homosexualität nicht frei leben konnte. Nicht die Zuständigen des BAMF seien das Problem, sagt er, sondern oftmals die Übersetzer und Übersetzerinnen. Diese seien meistens selbst aus einem der Herkunftsländer der Geflüchteten und nicht dafür geschult, die entsprechenden Interviews zu übersetzen. Sie würden die Begriffe nicht verstehen und wären nicht in der Lage, die Thematik nachzuvollziehen und entsprechend sensibel zu übersetzen. Achmed berichtet uns von Fällen, in denen LGBTQ-Geflüchtete während den Anhörungen auf Arabisch beleidigt worden sind oder absichtlich falsch übersetzt wurde. Laut Achmed behauptet das BAMF zwar, sie würden in solchen Fällen tolerante Mitarbeitende einsetzen, dies sei aber nicht immer der Fall.

Oftmals ergäben sich für die Betroffenen aber noch ganz andere Probleme. Gewalt, Erpressung und sexuelle Nötigung seien in Ankerzentren und anderen Unterkünften Normalität, berichtet Achmed. Ein Freund von ihm sei in sieben Heimen gewesen, bevor er in einer Wohnung untergebracht wurde, wo er nicht mehr unter der Diskriminierung anderer Asylsuchenden litt. "Für uns ist es eine doppelte Belastung, wir sind Geflüchtete und schwul, also ist es auch doppelt so schwer, sich zu integrieren", sagt Achmed. Er lebt nun in einem Container, in einem abgelegenen Dorf mit 3.000 Einwohnern, die Hälfte von ihnen ist über 60 Jahre alt. "Wie soll ich mich an so einem Ort richtig integrieren? Ich bin aus Ägypten geflohen, weil ich meine Homosexualität dort nicht ausleben kann, doch hier kann ich es genauso wenig."

LGBTQ-Geflüchtete kämen deshalb, falls vorhanden, in gesonderten Einrichtungen mit Gewaltschutzkonzept für gefährdete Personen unter, berichtet Patrick Dörr. Queer Refugees schult auch dort die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, den Sanitätsdienst und die Security dieser Einrichtungen. Die Unterbringung sei für viele Betroffene eine gute Lösung, aber nicht für alle, sagt Dörr. Denn auch wenn sie dort zum Beispiel mit Frauen, Kindern und behinderten Menschen lebten, heiße das nicht automatisch, dass dort keine Homophobie existiere.

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