Die SPD-Frauen Lisa Frerichs, Amina Yousaf und Yasmin Fahimi
Lisa Frerichs (l.) und Amina Yousaf: privat | Yasmin Fahimi (r.): Imago / IPON
Politik

Wir haben SPD-Frauen gefragt, ob die Partei ein Macker-Problem hat

"Frauen werden viel oberflächlicher kritisiert. Wenn die mal eine alberne Bluse tragen, wird das nicht vergessen." – Yasmin Fahimi, ehemalige Generalsekretärin

Zu albern, zu peinlich, zu prollig, zu männlich, zu emotional – Andrea Nahles wurde immer wieder hart und persönlich angegriffen. Mit Attributen, die oft verwendet werden, um Frauen zu diskreditieren.

Jetzt, nach ihrem Rücktritt, fragen sich viele: Hat die SPD, die mit Nahles zum ersten Mal in ihrer mittlerweile 156-jährigen Geschichte eine Frau zur Parteivorsitzenden gemacht hatte, immer noch ein Problem damit, Frauen als gleichwertig wahrzunehmen? Wir haben die gefragt, die es wirklich wissen müssen: Frauen, die sich in der SPD engagieren.

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Yasmin Fahimi, 51, Bundestagsabgeordnete, ehemalige Generalsekretärin

VICE: Haben Sie selbst erlebt, dass Sie es als Frau in der Partei schwerer hatten als Männer?
Yasmin Fahimi: Die SPD hat sich in der Zeit meines Einstiegs sehr darum bemüht, Frauen besser einzubinden und sie zum Beispiel bei der Besetzung von Vorständen zu berücksichtigen. Insofern habe ich viel Unterstützung erlebt. Ich habe aber auch erlebt, dass man als Frau schnell ausgeschlossen ist, aus den informellen Kreisen, in denen Vorabsprachen und manchmal auch die wirklichen Entscheidungen getroffen werden.

Heute läuft das subtiler ab, vielleicht sogar unbewusst. In den Köpfen sind einfach immer noch diese genderspezifischen Rollenbilder drin. In uns allen und auch außerhalb der SPD. Deshalb hat man noch keinen schlechten Charakter – die Frage ist aber, ob man bereit ist, sich selbst zu reflektieren. Und dann auch Strukturen zu schaffen, die dem entgegenwirken. Aber viele männlichen Genossen in der Partei sind nicht bereit, das überhaupt als Problem wahrzunehmen. Diese Blindheit ist ein Problem, weil man dadurch oft nicht sieht, wer wirklich am besten für eine Aufgabe geeignet ist. Stattdessen reproduziert sich der Männerclub immer wieder selbst.

Also hat die SPD ein Macker-Problem?
Klar – aber ich glaube nicht, dass die SPD ein größeres Problem hat als irgendeine andere Organisation in diesem Land. Auch in unserer Partei gibt es eben dieses Thema. Insbesondere Frauen in Machtpositionen gegenüber gibt es deutlich geringere Beißhemmungen, also solchen Frauen gegenüber, die man ernst nehmen muss, die Konkurrenz sind. Der Stil und die Form der Auseinandersetzung sind ruppiger als bei männlichen Führungspersonen. Gleichzeitig werden Frauen auch viel oberflächlicher kritisiert. Wenn die mal eine alberne Bluse tragen, wird das nicht vergessen. Das ist kein spezielles Problem der Sozialdemokratie – traurig ist nur, dass es bei uns auch nicht ausgeschlossen ist.

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War der Umgang mit Andrea Nahles härter, weil sie eine Frau ist?
Die Kritik gegenüber Andrea Nahles hatte viele sicherlich unterschiedliche Motivationen und Gründe. Das jetzt darauf zu reduzieren, halte ich für einen Fehler. Aber die Härte des Konfliktes war schon anders. Und auch Öffentlichkeit und Medien haben ihren Beitrag daran: Schauen Sie sich doch mal an, wie über Andrea Nahles geschrieben worden ist! Das Problem könnte man eins zu eins auch auf genauso viele Journalisten übertragen.

Sie haben Sigmar Gabriel auf Twitter scharf für seinen Umgang mit Andrea Nahles kritisiert. War das typisch für die alte Macho-SPD?
Das war vor allem typisch für Sigmar Gabriel. Dass er so nachtritt, ist einfach unanständig – das würde ich nicht einmal als typisch männlich bezeichnen. Allerdings gibt es wohl keine Frau in der SPD, die so agiert hätte.

Sollen junge Frauen trotzdem noch in die SPD gehen?
Ja, unbedingt! Weil man die Dinge niemals so lassen sollte, wie sie sind.

Amina Yousaf, 29, stellvertretende Ortsvereins-Vorsitzende Göttingen Mitte-Nord

VICE: Glaubst du, Andrea Nahles hat mehr abbekommen, weil sie eine Frau ist?
Amina Yousaf: Ich finde schon, dass anders mit ihr umgegangen ist, als mit den Vorsitzenden vor ihr. Das war nochmal extremer, und das hat auf jeden Fall damit zu tun, dass da zum ersten Mal eine Frau Verantwortung hatte.

Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer, Andrea Nahles – die Politik ist voll mit Frauen in Führungspositionen. Für Außenstehende wirkt das so, als gäbe es da gar kein Problem mehr.
Und trotzdem wird in der Gesellschaft immer noch mit zweierlei Maß gemessen. Zum Beispiel: Angela Merkel ist jetzt 15 Jahre an der Macht, aber sobald sie mal aus der Rolle als reine Politikerin fällt und statt eines Hosenanzuges ein Kleid anzieht – sich also als Frau zeigt – ist das ein Riesenthema. Anderes Beispiel: Als Andrea Nahles 2010 schwanger war, musste sie sich fragen lassen, ob sie jetzt überhaupt noch Politik machen kann. Und Sigmar Gabriel wird abgefeiert, wenn er mal seine Tochter aus dem Kindergarten abholt. Das kann doch nicht sein! Eine Person kann die Strukturen eben nicht verändern, aber die Veränderung ist notwendig.

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Ist es also immer noch schwerer für Frauen, in der SPD voranzukommen?
Schwieriger ist es auf jeden Fall. Weil bei einer Frau, die nach Macht strebt, immer in Frage gestellt wird, ob sie die Kompetenzen dazu hat. Und ob sie die Zeit dazu hat: Was ist mit Familienplanung?

Aber genau deshalb müssen wir ja an den Strukturen arbeiten, zum Beispiel am Präsenzprinzip: Nur weil ich irgendwo anwesend bin, heißt das ja nicht, dass ich gute Politik mache! Ich kann das auch machen, ohne bei jeder Sitzung dabei zu sein, wenn ich zum Beispiel Familie habe. Es muss einfach so sein, dass Frauen sich auf jeder Ebene der Partei engagieren können.

Lisa Frerichs, 29, Mitorganisatorin des Frauen-Barcamp

VICE: Hat die SPD ein Problem mit Frauen?
Lisa Frerichs: Ja, definitiv. Männer sind hier immer noch in der überwiegenden Mehrzahl, und deshalb folgt die Partei ganz oft deren Logik. 1950 hatte die SPD 18,8 Prozent Frauenanteil, Ende 2018 waren das 32,6 Prozent. Das hat sich in 67 Jahren also nicht mal verdoppelt. Daran ändert auch nichts, dass wir jetzt, nach 155 Jahren, erstmals eine Frau als Vorsitzende hatten.

Woran liegt das?
Auch an den Strukturen. Im Moment kommen immer noch die an die Posten, die auf jedem Empfang sind. Wenn wir aber wirklich alle repräsentieren wollen, dann müssen wir zum Beispiel auch junge Frauen in Verantwortung bringen, die noch nicht die ganze Hühnerleiter durch haben.

Bei der Europawahl hat man das wieder gesehen: Da wurden nur die Leute aufgestellt, die eben schon am längsten dabei sind. Es heißt immer, die Partei müsse jünger und weiblicher werden – aber dann werden genau diese Frauen eben nicht aufgestellt.

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Hast du sowas selbst schonmal erlebt?
Ich habe noch nie irgendwelche Ämter angestrebt – aber das hängt auch damit zusammen. Die Organisationsstruktur dieser Partei ist mir viel zu altmodisch. Mit meinem Arbeitsalltag ist es schwierig, mich in meinem Ortsverein an den Stammtisch zu setzen und alles mögliche durchzudiskutieren. Ich versuche mich strukturell zu engagieren. Ich habe zum Beispiel ein bundesweites Netzwerk zum Thema Wissenschaftspolitik gegründet, in dem wir uns ausschließlich digital vernetzen. Wenn die Partei sowas hätte, würde ich mich auch mehr engagieren. Aber so, wie das jetzt läuft, ist Engagement in der Partei nicht attraktiv für mich als junge Frau.

Silke Hansmann, 30, Vorsitzende der Jusos Bezirk Hannover

VICE: Viele haben Andrea Nahles Ernennung zur ersten weiblichen Parteivorsitzenden als großen Schritt nach vorne für die Frauen in der SPD gesehen. Du auch?
Silke Hansmann: Naja. Das war natürlich toll, auch wenn es über 150 Jahre gedauert hat. Aber bei Andrea Nahles konnte man zum Beispiel ganz gut ein Problem von Frauen sehen: Dass sie häufig erst dann in Führungspositionen kommen, wenn gerade eine Krise ansteht. Das gibt es auch in Unternehmen. Man nennt das die "gläserne Klippe" – und das führt dazu, dass Frauen häufiger scheitern.

Du bist gerade Vorsitzende der Jusos in Hannover geworden. Wie erlebst du das?
Also, bei den Jusos ist das natürlich alles entspannter. Aber ich würde trotzdem sagen, dass Frauen in Führungspositionen auch in unserem Verband stärker unter Beschuss stehen. Es werden auch ganz andere Anforderungen an uns herangetragen. Ich habe zum Beispiel immer das Gefühl, dass von mir mehr Arbeit für den Verband erwartet wird als von meinem männlichen Vorgänger. Ich werde zum Beispiel viel häufiger mit so "kleinen" Sachen angeschrieben: Wie sie einen Sitzungsort finden, was die beste Bahnverbindung für ein Seminarwochendende ist. Ich weiß ziemlich genau, dass sich niemand getraut hätte, meinen Vorgänger sowas zu fragen.

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Geht die CDU besser mit ihren Frauen um?
Das glaube ich überhaupt nicht, wahrscheinlich im Gegenteil. Ich glaube aber, dass die anderen Parteien es besser hinkriegen, dass solche Sachen intern bleiben.

Wie kann die SPD das in Zukunft besser machen?
Ich glaube, wir brauchen mehr Fehlertoleranz und Empathie. Und wir müssen mehr Solidarität miteinander haben — dann können wir auch unsere Inhalte wieder mehr voranbringen.

Du bleibst der SPD also treu?
Auf jeden Fall! Bei uns gibt es ein Sprichwort: Die SPD verlässt man nur mit den Füßen voran.

Kim Krach, Organisatorin des Frauen-Barcamp der SPD

VICE: Was nervt dich an der SPD?
Kim Krach: Die Strukturen! Ich finde mich da nicht wieder, und deshalb kann ich mich auch nicht engagieren und werde wohl nie was werden. [Lacht] Dabei gibt es bei jungen Frauen total große Zustimmung zu sozialen Inhalten – das sieht man auch bei unseren Barcamp-Veranstaltungen, die wachsen immer weiter. Aber ich glaube, jeder Drittliga-Verein hat bessere Nachwuchsförderung als diese Partei. Dadurch kommen keine neuen Gesichter zutage – es geht ja nicht nur um Frauen, es geht generell um neue Leute. Wir haben ja nicht nur Kevin Kühnert und Katarina Barley!

Es gibt also auch ein Generationenproblem?
Ja, ich fand es auch komisch, dass die SPD den Umgang mit Nahles jetzt als "Frauenproblem" einrahmt. Das ist mir ehrlich gesagt zu blöd, weil das viel größere Probleme verschleiert. Wir haben ein ganz großes Problem mit dem solidarischen Miteinander – das funktioniert überhaupt nicht. Das ist so abschreckend für jede Form von Engagement – wer würde denn gerne in einem Unternehmen arbeiten, das so mit seinen Spitzenleuten umgeht?

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Was müsste die SPD ändern, um junge Leute anzuziehen?
Man muss auf den Zeitgeist eingehen. Bei Fridays for Future sieht man ja, wie politisiert junge Leute sind – aber dass sie sich eher über Themen zusammenfinden. Deshalb muss die SPD die Themen besser besetzen, um an die Leute ranzukommen.

Aber sie muss das auch wollen: Das Barcamp zum Beispiel ist jetzt zehn Jahre alt. Wir erreichen eine Gruppe, die sonst sehr schwer zu erreichen ist – junge Frauen –, und sind damit sehr erfolgreich. Und trotzdem werden wir von der Führung mehr oder weniger ignoriert.

Wenn sie sich retten will, sollte die SPD euch also endlich ernster nehmen.
Genau. Das geht nicht nur junge Frauen an. Wir brauchen neue Gesichter, und die gibt es auch – sie müssen nur sichtbar werden. Vielleicht ist diese Krise ja auch eine Chance, um dieses Vakuum zu füllen.

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