Drogen

Der Absturz von Deutschlands gehyptestem Cannabis-Start-up

Farmako wollte künstliches THC produzieren und tonnenweise medizinisches Gras von einem Ex-Geheimdienstboss importieren. Jetzt ist davon wenig übrig.
Illustration von Hanfblättern vor Geldscheinen
Collage bestehend aus: Geld: imago / allOver-MEV | Hanf: Needpix.com   

Sebastian Diemer ist gern schnell unterwegs. Mal mit 100 km/h auf dem Jetski, mal dreimal so schnell im Sportwagen. Zuschauen kann man dem Start-up-Unternehmer dabei auf Instagram. Und mindestens genauso öffentlich, wie Diemer seinen Lifestyle zelebriert, soll er jetzt sein Cannabis-Start-up Farmako mit Karacho gegen die Wand gefahren haben.

Noch im März hatte Farmako verkündet, den weltweit größten Importvertrag für pharmazeutisches Cannabis abgeschlossen zu haben. Und Diemer feierte diesen Tag, indem er bei Instagram ein Foto von sich in der Bild-Zeitung postete. Es lief gut für ihn. Unter anderem investierte der Lieferheld-Gründer Nikita Fahrenholz in das Unternehmen. Und mit den Investments wuchs auch der Hype um Farmako. Doch dreieinhalb Monate später soll davon wenig übrig sein. Was war passiert?

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Sebastian Diemer, 32, gründete Farmako im Dezember 2018 und machte große Versprechungen. Mit mindestens 600 Millionen Euro könne sein Unternehmen bei einem Börsengang in einem Jahr bewertet werden, sagte er im April in einem Podcast des Branchenmagazins Online Marketing Rockstars.

THC aus dem Reagenzglas sollte Farmako den Durchbruch bringen

Das Geld wollte Farmako nicht nur mit dem Vertrieb von medizinischem Cannabis verdienen, sondern das Unternehmen verkündete, es könne im Labor Cannabis-Extrakte synthetisieren. THC könne man so mit Hilfe von Bakterien herstellen. Ohne dafür Pflanzen anbauen zu müssen. Im wachsenden Markt für medizinisches Cannabis hätte Farmako damit viel Geld verdienen können.

Der Verkaufsprofi Diemer sammelte weiter Investorengelder ein und verkündete sechs Monate nach Gründung, sein Unternehmen sei bereits mit 100 Millionen bewertet. Der Umsatz passte aber nicht ganz dazu: "Hoch sechsstellig in den ersten 20 Tagen of Operations", sagte Diemer in dem Podcast. Inzwischen klingt das anders. In einem am Montag veröffentlichten Interview mit t3n sagte Diemer: "Wir waren einfach zu euphorisch."

Um zu sehen, was Diemers Wachstumsprognosen wirklich wert waren, hätte man sich laut einer Recherche des Manager Magazins nur mal die Zahlen anschauen müssen. Farmako habe medizinisches Cannabis von der staatlichen niederländischen Cannabisagentur OMC bezogen, schrieb das Magazin. Diese dürfe aber nur 125 Kilo im Monat nach Deutschland exportieren. Weil sich neben Farmako noch viele andere deutsche Importeure um dieses Häuflein Cannabis bewarben, sollen im Mai für jede Firma nur noch 18 Kilo Cannabis übriggeblieben sein. Bei 10 Euro pro Gramm könnte man damit 180.000 Euro im Monat umsetzen, rechnete das Manager Magazin vor. Aber eben keine hohen sechsstelligen Beträge innerhalb von 20 Tagen, wie Diemer in dem Podcast sagte. Ob diese Zahlen stimmen, wollte Farmako gegenüber VICE auf Anfrage nicht kommentieren.

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Mindestens so umstritten wie diese Zahlen ist jedoch der Lieferant, mit dem Farmako den im März präsentierten Exportvertrag über 50 Tonnen medizinisches Cannabis abgeschlossen haben soll.

Nordmazedonisches Cannabis für den deutschen Markt

Zlatko Keskovski ist nicht nur ehemaliger Geheimdienstchef von Nordmazedonien, sondern dort auch CEO von NYSK Holdings, einem Unternehmen für medizinisches Cannabis. Der Spiegel berichtete im April, das Bürogebäude von NYSK stehe auf einem mit dem Insektizid Lindan belasteten Gelände einer früheren Chemiefabrik in Skopje. Die Indoor-Farmen von Farmako sollen sich laut dem Unternehmen jedoch an einem anderen Ort befinden. Sebastian Diemer bestätigte im Interview mit t3n die Aussage seines Anwalts, dass die Anlagen "mindestens einen Kilometer vom Gelände entfernt" liegen. Allerdings ließ das nordmazedonische Umweltministerium im Dezember wegen der hohen Lindan-Belastung einen Park für Schulausflüge schließen, der sieben Kilometer vom Gelände der ehemaligen Chemiefabrik liegt. Das berichtet die örtliche Nachrichtenagentur Meta.mk.

Trotz der großen Ankündigung im März warfen die Farmako-Gesellschafter den Geschäftsführer Niklas Kouparanis Anfang Juli aus dem Unternehmen. Zwei Wochen später erklärte der Hauptinvestor Heartbeat Labs, dass Kouparanis' vorübergehender Nachfolger sowie das gesamte Forschungsteam Farmako verlassen. Es soll ein neues Unternehmen gegründet werden, in das eine Person nicht mit umzog: Sebastian Diemer. Wie Business Insider berichtet, bleibt er bei der Neugründung offenbar außen vor, im Gespräch mit t3n sagte Diemer, er sei "im Erfolgsfall finanziell beteiligt".

Es wirkt, als wolle sich das Team mit der Neugründung nicht nur von Diemers Image, sondern auch von den Negativschlagzeilen der letzten Wochen reinwaschen. Dieser Zusammenhang bestehe nur indirekt, sagte eine Sprecherin von Heartbeat Labs gegenüber Business Insider. Vor allem wolle man so sicherstellen, dass sich Farmako wieder auf den Vertrieb von medizinischem Cannabis konzentrieren könne – und nicht mehr auf die Biosynthese von THC. Denn das Patent dafür wanderte ebenfalls in das neue, noch namenlose Unternehmen.

Um nur mit dem Vertrieb richtig Geld zu machen, müsste Farmako, inzwischen mit neuer Geschäftsführerin, allerdings weitere Lieferanten finden. Die Experten, die sich mit den dafür nötigen Importlizenzen auskennen, sollen laut Business Insider aber schon länger nicht mehr bei Farmako arbeiten, sondern beim Konkurrenten Sanity Group. Sebastian Diemer sagt dagegen gegenüber t3n, Farmako habe dieses Jahr bereits 2,5 Tonnen Cannabis importiert, man habe Vereinbarungen mit Cannabis-Lieferanten für die nächsten Jahre. Welche Lieferanten das genau sind und ob sie in Zukunft auch größere Cannabis-Mengen bereitstellen werden, sagte er nicht. Andernfalls wäre jedoch fraglich, wie Farmako langfristig wachsen soll.

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