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Imaginäre Freunde

Wir haben Menschen nach ihren imaginären Freunden aus Teenager-Tagen gefragt

Kinder erfinden Freunde, um nicht alleine zu sein. Teenies, um beliebter zu sein. Wir haben die abgedrehtesten Geschichten gesammelt.

Foto: Flickr | nikoretro | CC BY-SA 2.0

Das Leben als Teenager ist hart. Du musst dich mit dem Eigenleben deiner Haut, deinen übersexualisierten Gedanken und dem sich verändernden Genitalbereich anfreunden und dabei möglichst so wirken, als sei dir Coolness in die Wiege gelegt worden – auch wenn du keine Ahnung hast, was dieses Coolsein eigentlich bedeutet. Geht es nach amerikanischen High-School-Filmen, gibt es drei Indikatoren für coole Kids: Sex, Partys, Beziehungen, und wahlweise eine Spitzenposition in der Football-Mannschaft oder im Cheerleader-Team.

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Kein Wunder, dass so manch irritierter Heranwachsender in einem Dschungel aus Hormonen, zwischenmenschlichen Blockaden und Bravo-Flirttipps ("Sende mit klirrenden Armreifen Signale an Jungsohren!") zu drastischen Maßnahmen greift und seiner vermeintlichen Coolness mit erfundenen Romanzen oder Freundschaften auf die Sprünge hilft. Obwohl die meisten imaginären Freunde schon im Kindesalter in die Leben ihrer Erfinder (jedes dritte Kind hat einen erfundenen Kumpanen) treten, denken sich auch Jugendliche und sogar Erwachsene Geschichten oder ganze Personen aus, um ihr echtes Umfeld zu beeindrucken. In Hessen machte erst kürzlich ein 18-Jähriger Schlagzeilen, weil er mit der erfundenen Vergewaltigung seiner erfundenen Freundin über mehrere Stunden die Polizei beschäftigt hatte.

Forscher haben herausgefunden, dass der Kontakt mit imaginären Freunden im Kindesalter die Entwicklung sozialer Kompetenzen fördert. Vielleicht sind die Vorzüge der Fantasie-Beziehungen bei Teenagern ja ähnlich. Wir haben Menschen nach den Geschichten hinter ihren erfundenen Freunden gefragt.

Anna, 22

Foto: Rebecca Baden

Mit 13 wollten alle in meiner Klasse immer angeben. Die coolen Kids haben oft die ganze Klasse mit ihren Partygeschichten unterhalten. Ich hatte keine Möglichkeiten mitzuhalten. Ich lebte in der Provinz, meine besten Freunde spielten noch mit Yu-Gi-Oh-Karten und ich vergötterte Boybands. Aber da man als Jugendlicher unmöglich ohne die Anerkennung der anderen leben kann, wusste ich nicht, wie ich mich aus dieser Situation retten sollte. Kurzum: Ein cooler Freund musste her. Mein provinzieller Alltag ließ jedoch nicht zu, in meinem 6000-Seelen-Kaff so schnell jemanden "Coolen" aufzutreiben. Also habe ich mir einen erfunden.

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David hieß er, war so alt wie ich, hörte HipHop, lebte aber in Berlin. Er ging auf ein privates Gymnasium und sprach drei Sprachen fließend. Die Sahnehaube: Seine Eltern sind Unternehmer aus den USA. Er war nicht reich, aber hatte zumindest mehr Geld als wir alle. Damit hatte ich immer etwas Interessantes zu erzählen.


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Wochenenden, die ich eigentlich zu Hause auf dem Hof meiner Eltern verbrachte, wurden zu abenteuerlichen Trips in der Hauptstadt mit David an meiner Seite: Wir haben abends die Graffiti-Szene in Berlin ausgekundschaftet oder haben Ballerspiele gezockt. Counter Strike auf unserem eigenen Server. So cool war niemand!

Ich hatte sogar ein Foto von ihm in meiner Geldbörse. Das hatte ich aus einem Zeitungsartikel abkopiert und trug es von da an immer mit mir herum, als Beweis für unsere Freundschaft.

Meine Storys hat niemand angezweifelt. Nach und nach hat keiner mehr nachgefragt. Und irgendwann, so beschloss ich, musste David zurück nach Amerika. Das war das jähe Ende meiner Teeniefreundschaft.

Frieda, 24

Foto: Laura LaRose | Flickr | CC BY 2.0

Mein erfundener Freund war eine reale Person – aber leider nie mein Freund. Ich lernte Paitim mit elf im Urlaub in der Schweiz "kennen". Er lebte in dem Dorf, in dem ich mit meinen Eltern jedes Jahr den Winterurlaub verbrachte, und spielte Eishockey. Als ich eines Tages mit meiner Familie die Eisbahn besuchte, hing er dort mit seinen Freunden ab, sie waren etwa zwei Jahre älter als ich. Weil ich als Pubertierende unter meinen viel jüngeren Geschwistern herausstach, sprach er mich irgendwann in schönstem Schweizerdeutsch an: "Hast du schon ein Natel?" Ich verneinte aus Prinzip, lernte später, dass er mit "Natel" ein Handy meinte, und entfernte mich schüchtern und ohne weitere Worte. Auch wenn wir nur zwei Sätze gewechselt hatten: Paitim hatte es mir angetan, und ich entschied, dass er mein neuer Freund sein sollte.

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Zu Hause in Deutschland schmückte ich die Interaktion aus: mit einem verliebten Blick von ihm, dann mit einem längeren Gespräch, und schließlich mit einer Brief-Romanze, die ich in meiner Fantasie mit Paitim aufrechterhielt. Meine Freundinnen fanden es spannend, wie ich mit meinen elf Jahren aus einem Urlaub mit einem echten Freund – Liebe auf den ersten Blick und so – wiederkommen konnte. Ich erzählte, dass ich Paitim wieder besuchen wolle, dass er mir alle zwei Wochen Briefe und Fotos schickt und wie er Woche für Woche seine Eishockeyspiele bestritt (und gewann, er war schließlich cool).

In Wirklichkeit gab es von alledem natürlich nichts. Ich hatte Paitim nach dem Urlaub zwar gestalkt, sein Spielerprofil auf der Website des Eishockey-Vereins ausfindig gemacht und mit dem Nachnamen im Online-Telefonbuch des winzigen Schweizer Dorfes auch die Adresse seiner Eltern entdeckt. Ich schrieb ihm einen Brief, in dem ich ihm meine Liebe gestand und ihn um eine Brieffreundschaft bat. Mein Vater wollte ihn für mich in den Briefkasten einwerfen. Trotzdem kam von Paitim nie eine Antwort. Ich beendete die Romanze, indem ich meinen Freundinnen in der Pause tränenreich von der Trennung erzählte. Die Distanz! Jahre später erzählte mein Vater mir, dass er den Brief gelesen und entschlossen hatte, ihn lieber nicht abzuschicken. Von seinem "Glück" weiß Paitim also bis heute nichts – und ich glaube, das ist auch besser so.

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Lisa, 23

"Mein bester Freund hieß Idiot, er war hässlich und fuhr gerne Fahrrad." Das habe ich in der sechsten Klasse immer allen erzählt. Meine große Schwester hatte viele Freunde und manchmal hatte ich den Eindruck, dass einige davon erfunden waren, weil die Geschichten einfach zu krass waren. Deshalb habe ich es ihr gleich getan. Ich wollte so cool sein wie sie und mehr mit ihr gemeinsam haben.

Wenn zu Hause Langeweile herrschte, habe ich mir mein Fahrrad geschnappt. Meiner Schwester habe ich gesagt: "Ich fahre jetzt mit meinem besten Freund Fahrrad!" Irgendwann wurde sie misstrauisch, weil ich mich offensichtlich immer alleine losgemacht habe und alleine zurückkam. Sie hat mich nach ihm ausgefragt, aber ich blieb standhaft und gab ihr eine akkurate Beschreibung: "Er hat eine große Nase, dunkelblonde, abstehende Haare, als würde er sich nie kämmen. Er grinst immer, hat gute Laune und ist viel größer als ich." Den Namen habe ich natürlich verschwiegen. Meine Schwester hat anschließend nach Jungs Ausschau gehalten, die meiner fiktiven Grinsebacke ähneln. Sie wollte wissen, mit wem ich abhänge. Natürlich war ihre Suche erfolglos. Auf dem Schulhof, in der Nachbarschaft, beim Einkaufen – niemand passte zur Beschreibung. Ich habe ihr dann aber irgendwann davon erzählt, dass er nur ausgedacht war, und dann entwickelte sich ein regelrechter Wettbewerb zwischen uns: "Wer hat den verrückteren Freund?"

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Als ich angefangen habe, mich mit anderen Freunden zu treffen, hat auch dieser schwesterliche Wettstreit schließlich aufgehört.

Marvin, 25

Foto: nikoretro | Flickr | CC BY-SA 2.0

Mit 15 habe ich eine meiner ersten Partys besucht. Sie bildet die Grundlage einer Reihe maßlos übertriebener Geschichten um meinen erfundenen besten Freund. Dabei existierte dieser erfundene Freund tatsächlich: Es war mein zwei Jahre älterer Cousin, mit dem ich nie wirklich engen Kontakt hatte – bis auf diese eine Geburtstagsparty. Diese stilisierte ich für meine Schulfreunde zur wildesten Fete ever hoch. Ich erzählte, wie ich volltrunken die Nacht durchgemacht, mich mit der Clique meines coolen Cousins angefreundet und mit einem heißen (und älteren) Mädchen rumgeknutscht hatte. In der Realität hatte ich meinen ersten Filmriss. Die Party endete damit, dass ich kotzend über der Kloschüssel hing.

Trotzdem benutzte ich meinen Cousin auch Wochen nach der Party als neuen besten Freund, der mich auf allerhand Abenteuer mitnahm. Jedes Wochenende fuhr ich mit dem Bus los und machte mich auf den Weg zu meinem Cousin. Tatsächlich fuhr ich oft nur stundenlang durch die Gegend. Ich fand es aufregend, vor meinem Umfeld mit wöchentlichen Partys, Zockerabenden auf der PlayStation (die ich zu Hause nicht haben durfte) und Alkoholexzessen anzugeben, und es hat auch nie jemand meine Geschichten infrage gestellt. Im Gegenteil: Ich denke bis heute, dass ich so beliebter wurde. Als sich im selben Jahr die realen Freundschaften in meinem Leben festigten, verlief die Sache mit meinem erfundenen Freund im Sand. Ich hatte nun schließlich echte Freunde zum Abhängen

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David, 22

Obwohl ich Freunde hatte, habe ich mich immer etwas unbeliebt in der Schule gefühlt. Ich wollte damals zu den coolen Kinder gehören und so kam Thorsten in mein Leben. Er war nie doof zu mir. Ich war damals zwölf. Wenn mir langweilig war, habe ich mir vorgestellt, wie er auf meiner Schulter sitzt und Kunststücke vorführt. Er war natürlich ganz klein. Vielleicht so groß wie eine Playmobilfigur.

Das war sogar ganz praktisch, weil ich mich an der Schule oft für Leichtathletikkurse oder andere Sportkurse angemeldet habe. An ihm konnte ich mir Routinen ausdenken. Auf meiner Schulter hat er sie durchgeübt. Meine Schulter war der Barren, das Fußballfeld oder der Basketballkorb. Klingt verrückt, aber wenn ich meine Tricks dann auf dem Feld durchgezogen habe, kamen sie sehr gut an. Wenn ich gefragt wurde, mit wem ich trainiere, habe ich immer geantwortet, dass ich nachmittags mit meinem Kumpel Thorsten abhänge.

Das fanden sie alle sehr cool. Ich habe in Sport richtig geglänzt. Ein paar von meinen Freunden wollten den "Athleten" kennenlernen. Ich hab ihnen gesagt, Thorsten muss arbeiten und habe mit denen Streetball gezockt. Easy!

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