Ein Team von Wissenschaftlern und Experten um den Chemiker Axel Friedrich hat heute in Berlin die Ergebnisse neuer Abgasanalyen vorgestellt. Die umfassenden Daten sollen zeigen, dass neben Volkswagen auch Mercedes und BMW bei den Abgaswerten manipuliert haben. Betroffen sein soll die C-Klasse von Mercedes—die Dieselmotoren eines C200cdi hätten bei Testfahrten die legalen Höchstwerte um mehr als das Doppelte überschritten. Wie Frontal21 am Dienstagabend berichtete zeigten Tests der Schweizer Abgasprüfstelle auch Auffälligkeiten bei einem BMW320d und einem VW Passat 2.0.
Die neuen Anschuldigungen sind ernst, denn erst die Beharrlichkeit von Axel Friedrich und einigen US-Forschern hatte den Skandal um eine versteckte Manipulationssoftware bei Volkswagen ins Rollen gebracht. Mercedes und BMW könnten nun in ähnliche Erklärungsnot und möglicherweise auch Turbulenzen wie Volkswagen geraten. Nach Bekanntwerden von Dieselgate war die VW-Aktie massiv abgestürzt, empfindliche Strafzahlungen drohen, und die Öffentlichkeit zeigte sich entsetzt angesichts der klima- und gesundheitsschädlichen Abgase Made in Germany.
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Auch wenn die Affäre um die eingebaute Betrugssoftware Volkswagen besonders hart trifft und den Wolfsburgern noch immer neue Hiobsbotschaften beschert, so waren längst auch andere Hersteller ins Visier von Wissenschaftlern und Experten geraten. „LKWs und 40-Tonner weisen heute deutlich weniger Emissionen als PKWs auf”, erklärte Friedrich heute dazu.
Allerdings sind die Messungen kompliziert und aufwendig, mit denen nachgewiesen kann, dass ein Fahrzeug im Strassenverkehr wesentlich mehr schädliche Abgase ausstößt als erlaubt. Behörden wie der TÜV kontrollieren die Einhaltung von Klimanormen lediglich auf Rollenprüfständen—eine Situation, die der Bordcomputer bestimmter VW-Modelle automatisch erkannt hatte. Die VW-Dieselmotoren spielten den Prüfern so automatisch geschönte Werte vor.
Axel Friedrich sitzt am Mittwochmorgen zusammen mit Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe und dem Rechtsanwalt Remo Klinger auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Die Vorstellung der Ergebnisse, die sie sichtlich ernüchtert präsentieren, ist für die Forscher ein hart erarbeiteter Erfolg. Mehrfach musste die Pressekonferenz in den letzten Wochen verschoben werden, während Friedrich und seine Kollegen Motherboard gegenüber immer wieder angedeutet hatten, widersprüchlichen Abgaswerten bei weiteren Autoherstellern auf der Spur zu sein.
Die Forscher um das ICCT und die Deutsche Umwelthilfe legen nicht das erste Mal Messwerte vor, die Manipulationen auch bei anderen Herstellern neben VW—und den inzwischen ebenfalls belasteten Töchtern Porsche und Audi—nachweisen sollen. So veröffentlichte man im November Daten geschönte Werte bei einem Renault Espace, dessen Emissionen um das 13- bis 25-fache erhöht sein wollen. Doch Renault widerspricht den Anschuldigungen der Deutschen Umwelthilfe.
Nun glauben die Experten, auch bei Mercedes und BMW Manipulationen beweisen zu können. Der getestete Mercedes konnte nur nach einer bestimmten Testvorbereitung und mit einem warmen Motor die legalen Richtwerte einhalten—mit kaltem Motor und ohne Vorbereitungen zeigte er dann die deutlich erhöhten Abgaswerte, wie Friedrich heute erklärte.
„Spekulationen oder Interpretationen, dass mögliche Abweichungen zwischen Messwerten auf dem Prüfstand im Vergleich zum realen Fahrbetrieb nur durch Manipulationen erklärbar seien, weisen wir mit Entschiedenheit zurück”, dementierte Mercedes-Benz die Vorwürfe gegenüber Focus Online. Für Friedrich ist dennoch längst klar, dass aus der Manipulation Konsequenzen gezogen werden müssen, und dass hinter den Skandalen von einzelnen Marken ein grundsätzlicheres Problem liegt: „Das ist kein Problem, das VW oder Daimler betrifft, das ist ein durchgehendes Phänomen”, erklärte Friedrich in der Bundespressekonferenz.
Die heutige Enthüllung dürfte in jedem Fall die Debatte um verschärfte Richtwerte und Kontrollverfahren befeuern. So lehnte der EU-Umweltausschuss erst diese Woche die Vorlage neuer EU-Abgasrichtlinien ab—diese seien schlicht zu lax.
Mercedes und BMW könnte nach den Testfahrten durchaus ungemach drohen: Wirtschaftlich musste VW nach Dieselgate mehrere Milliarden Euro als Reserven zurücklegen und einen Aktiensturz hinnehmen. Der Schaden für Umwelt und Gesundheit durch die schädlichen Gase ist ohnehin kaum absehbar: Allein der erhöhte Ausstoß von Stickoxiden der rund 11 Millionen manipulierten VW-Dieselfahrzeuge dürfte das jährliche Abgasvolumen des schädlichen Gases ganz Großbritanniens überschritten haben, wie der Guardian errechnete.
Weitere Informationen zu den aktuellen Entwicklungen werden wir in Kürze ergänzen. Sollten sich die Autohersteller zu den Vorwürfen äußern, werden wir den Artikel entsprechend aktualisieren.