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Menschen lügen, aber lila Scheine lügen nicht
Und selbst die aller-allergrössten Feinde grüßen sich
Menschen lügen, aber lila Scheine lügen nicht
Bushido, “Lila Scheine lügen nicht”
Es war klar, dass es irgendwann passieren würde, aber jetzt ist es wirklich soweit: Am Freitag werden die Deutsche Bundesbank und Österreichische Nationalbank die letzten 500-Euro-Scheine Europas herausgeben.
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Die, die jetzt noch im Umlauf sind, sind danach zwar immer noch gültig, werden aber in den nächsten Jahren nach und nach eingetauscht werden, bis es irgendwann überhaupt keine Fünfhunderter mehr gibt. Und das ist, um es mit den nie wirklich gesagten, aber sicherlich gedachten Worten des Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann zu sagen, “eine verfickte Tragödie”.
Mit dem lila Schein geht nicht einfach nur ein ziemlich unpraktisches Zahlungsmittel verloren, dass die meisten Deutschen wahrscheinlich leider nie zu Gesicht bekommen haben, sondern etwas viel grösseres: ein Stück europäische Kultur. Der Glaube an einen Mythos. Und nicht zuletzt auch ein Stück Freiheit.
Mit lila Schein’n trocknen Tränen schneller als mit netten Worten
Shindy feat. Bushido, “Statements”
Der Fünfhunderter steht für eine freies, ja, ein besseres Europa. Eine Welt, in der ein bayerischer Familienvater sich irgendwo nachts an einer tschechischen Tankstelle mit einem bulgarischen Autohändler treffen konnte, um seinem ausgedienten Volvo ganz unbürokratisch ein neues Leben im Kosovo zu schenken. Beide Männer verbunden durch ihre gemeinsamen Liebe zur europäischen Idee: Über die Grenzen hinweg ein bisschen extra Patte machen, ohne dass der Fiskus davon erfahren muss.
Darauf gründet Europa: auf dem Gedanken, dass Menschen keine Zeit haben, gegeneinander in den Krieg zu ziehen, weil sie sich gegenseitig alte Waschmaschinen verkaufen. Und nichts hat diese Idee so talismanartig verkörpert wie die grossen Euro-Scheine. Zu Tausenden pumpen sie, in unter dem Beifahrersitz zusammengeknüllten Plastiktüten über dutzende Grenzen gefahren, wie Blut durch die Adern dieses neuen Europas. Der Fünfhunderter steht als grösster Schein dabei natürlich für die wichtigsten Beziehungen: Von Lissabon bis nach Ljubljana zaubert sein lila Widerschein ein Lächeln auf die Gesichter verschwitzter Bauunternehmer, windiger Import-Export-Händler und Lastwagenfahrer, die noch ein bisschen extra Platz auf der Ladefläche hatten, von dem die Chefin jetzt nicht unbedingt was wissen muss.
Du machst ein Kind mehr für paar Scheine in lila
Du filmst deine Mutter für paar Scheine in lila
Du konvertierst für paar Scheine in lila
Diese Hunde machen alles für paar Scheine in lila
KC Rebell feat. 18 Karat, Play69 & Jasko, “Lila Scheine”
Den Schein umweht dabei eine Aura von Halbseidenheit und Schummelei – ein wichtiger Teil des Mythos. Die Feinde des Fünfhunderters behaupten, durch seine Abschaffung “Terrorfinanzierung und Schwarzarbeit” zu bekämpfen, und die organisierte Kriminalität natürlich auch. Kann sein – aber andererseits wissen wir alle, dass die wirklich grossen Summen sowieso nicht in bar verschoben werden, sondern als Nummern über Konten in der Schweiz oder den Cayman Islands fliessen. Der lila Schein ist für die kleinen Trickser, von Hanau bis in die Herzegovina. Er steht für ein mediterranes Lebensgefühl, für einen spielerischen Umgang mit Geld, der uns Deutschen leider ziemlich abgeht. Hier bekommen Kassierer geradezu Angst, wenn man ihnen den lila Schein unter die Nase hält, und man kann froh sein, wenn sie nicht die Polizei rufen, bevor sie einen mit hektischen Handbewegungen aus dem Geschäft jagen.
Ich selbst habe das einmal erlebt, als ich versucht habe, in Berlin einen Fünfhunderter kleinzumachen – wo ich ihn her hatte, geht euch gar nichts an! – und nach ein paar Dutzend solcher Begegnungen einem Geldwechsler 5 Euro dafür bezahlen musste, dass er mir die Königsnote abnahm. Thug Life! In Bosnien, habe ich mir sagen lassen, gibt einem jeder Kiosk kommentarlos auf das Ding heraus.
Wie integrativ die Anziehungskraft des Fünfhunderters wirkt, sieht man zum Beispiel im deutschen Rap: Den “Lila Scheinen” hat nicht nur Sinan G., sondern jeder grössere Rapper mindestens ein Lied gewidmet, sie gelten als das Symbol des Erfolges schlechthin. Wer davon singt, dass er lila “Para” will, meint damit nicht den türkischen 10-Lira-Schein – sondern den dicken, fetten Brummer von der EZB. Leute, die sonst sehr stolz darauf sind, auf alle Institutionen zu scheissen, bekennen sich ganz offen zu ihrer brennenden Liebe für dieses Stück Papier.
Zehntausend Hater und wieder mal sind sie angepisst
Denn alle meine Scheine sind lila so wie ein Amethyst
Sido, im “Babos Remix” von “Saudi Arabi Money Rich”
Und das völlig zu Recht: Der Fünfhunderter steht, wie schon gesagt, für Freiheit. In einer Welt, in der uns unsere Musikboxen beim Kacken belauschen, in der die Regierungen mit Hochdruck daran arbeiten, auch noch die kleinste Transaktion zwischen ihren Bürgern zu dokumentieren und zu archivieren, in einer Welt, in der die totale Überwachung technisch schon lange möglich ist und nur deshalb noch nicht umgesetzt wurde, weil die CDU den “An”-Schalter immer noch nicht gefunden hat – in dieser Welt ist es immer wichtiger, dass uns zumindest eines bleibt: die Freiheit zum Schummeln.
Bar-Transaktionen mit dicken Scheinen, von denen niemand etwas erfahren muss, sind vielleicht nicht der edelste Ausdruck des Widerstandes – dafür aber einer, der funktioniert. Wir sollten die wenigen lila Scheine, die uns noch bleiben (509 Millionen Stück, also immerhin mehr als 254 Milliarden Euro, Stand März 2019) weiter im Umlauf halten, so lange wir können. Das schulden wir Europa!
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