Geburt mit Steißbeinbruch: Wie es sich anfühlt, ein riesiges Baby zu bekommen
Illustration by Grace Wilson

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Geburt

Geburt mit Steißbeinbruch: Wie es sich anfühlt, ein riesiges Baby zu bekommen

Euch macht schon die Vorstellung einer normalen Geburt Angst? Wir haben mit Frauen gesprochen, die Kinder in der Größe einer Hauskatze auf die Welt gebracht haben.

Die Geburt. Ein Thema, dass bei vielen Frauen—insbesondere denen, die noch nicht Mutter geworden sind—regelrechte Panikattacken auslöst. Für viele ist schon die Vorstellung, ein normal großes Kind auf die Welt zu bringen, schmerzhaft genug. Und diese Angst ist nicht ganz unbegründet: InSchwangerschaftsforen gibt es genug Horrorgeschichten von Frauen, die das Wunder des Lebens bereits am eigenen Leib erlebt haben und laut denen es sich anfühlt, „als würdest du einen Kühlschrank ausscheißen." „Ich hatte das Gefühl, mein Hintern würde jeden Augenblick explodieren", meint eine andere Mutter. Und eine Tierärztin empfiehlt werdenden Müttern, sich alles Schmerzhemmende einzuwerfen, was geht: „NEHMT MEDIKAMENTE! Nehmt alles, was ihr kriegen könnt."

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Und jetzt stellt euch vor, ihr müsst ein Kind auf die Welt bringen, das ungewöhnlich groß ist.

Informationen des Royal College of Gynecologists zufolge, bekommen schätzungsweise 11 Prozent der Frauen ein makrosomes Baby—also ein Baby, dessen Geburtsgewicht mehr als 4.350 Gramm beträgt. Wenn sich das schon ungemütlich anhört, muss man nur mal denken, wie es den weiteren 1,5 Prozent gehen muss, die ein Baby bekommen, das mehr als 4,5 Kilo wiegt. Wer ein solches Kind bekommt (das ungefähr so viel wiegt wie eine durchschnittliche Hauskatze oder eine mittelgroße Bowlingkugel) sollte ein Abzeichen bekommen—und jemanden, der sie sachkundig wieder zunäht.

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Laut dem Guinness-Buch der Rekorde brachte Carmelina Fedele 1955 in Italien das bisher schwerste Kind überhaupt zur Welt. Der Junge wog 10,2 Kilo—also ungefähr so viel wie ein 43-Zoll Flachbildschirmfernseher. Und erst 2009 hat eine Frau namens Ani aus Indonesien ein Baby zur Welt gebracht, das 8,7 Kilo gewogen hat (allerdings per Kaiserschnitt). Bedeuten solche Ausnahmegeburten aber auch automatisch außergewöhnliche Schmerzen?

2014 hat Andrea Schrimp, 38, aus Kalifornien ihre Tochter Viviane Bliss bekommen: ein Wonneproppen von 5.270 Gramm. „Die Geburt meiner Tochter war nicht so schmerzhaft wie die anderen", erzählt sie Broadly. „Eigentlich war es eine ziemliche Bilderbuchgeburt. Ich bekam die Wehen, habe noch meinen Sohn ins Bett gebracht und mir in der Innenstadt was zu Essen geholt, dann bin ich die Geburtswanne gestiegen und keine zwei Stunden später war sie auch schon da."

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Vivianes Geburt verlief—erstaunlicherweise—auch ohne Schmerzbehandlung sehr entspannt. Außerdem scheint der Säugling einen außerordentlichen Hang zur Dramatik zu haben: Sie wurde mit den Armen voraus geboren, wie ein übergroßer Mini-Superheld.

„Sie kam mit dem Kopf und den Händen zuerst raus, sodass als erstes der riesige Kopf und die Fäuste raus mussten. Beim letzten Mal pressen habe ich mir dann das Steißbein gebrochen. Die Hebamme hat dann noch gescherzt, dass mein Kind für ein drei Monate altes Baby normal groß wäre." Ich frage sie, wie es ihr nach der Geburt ging. „Es ist nur ein bisschen gerissen, aber es musste nicht genäht werden. Dafür habe ich jeden einzelnen Muskel von der Hüfte abwärts gespürt."

Ich dachte wirklich, dass ich es allein Gott zu verdanken hatte, dass wir beide noch am Leben waren.

Dr. Daghni Rajasingam vom Royal College of Obstetricians and Gynecologists erklärt, dass es mehrere Erklärungen für das überdurchschnittliche Geburtsgewicht von Babys gibt. „Der wichtigste Faktor, der das Risiko, ein besonders großes Baby zu bekommen, erhöht, ist Schwangerschaftsdiabetes oder eine bereits bestehende Diabeteserkrankung. Weitere Risikofaktoren sind Übergewicht sowie starke Gewichtszunahme in der Schwangerschaft oder zwischen den Schwangerschaften. Ein überdurchschnittlich großes Baby erhöht das Risiko für Komplikationen während der Geburt sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Kaiserschnitt oder eine instrumentelle Entbindung."

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Wenn es keine weiteren Fälle von überdurchschnittlich großen Babys in der Familie gibt und auch keine Diagnose von Schwangerschaftsdiabetes gestellt wurde, ist es schwer, vor der Geburt genau festzustellen, wie groß das Baby sein wird. „Auch für eine Hebamme, die den Bauch abtastet, ist es schwer zu sagen, was genau sie fühlt, wenn sie die Patientin nicht schon länger kennt", sagt Michelle Lyne vom Royal College of Midwives. „Wenn wir vermuten, dass das Kind größer sein könnte als normal, schicken wir die Frau normalerweise zum Ultraschall. Dort kann dann das voraussichtliche Geburtsgewicht geschätzt werden. Aber auch das ist nicht unbedingt verlässlich."

Annabel*, 27, aus New Jersey ist im Moment mit ihrem dritten Kind schwanger. Sie hat Angst, dass ihr Baby überdurchschnittlich groß sein könnte. „Ich hatte präpartale Depressionen während meiner letzten Schwangerschaft und mein Gynäkologe war von Anfang an sehr nachlässig." Annabel litt zudem unter Diabetes, was bis zur 32. Schwangerschaftswoche nicht diagnostiziert wurde. „Mein Gynäkologe hat mich daraufhin angebrüllt, dass ich mein Diabetes besser unter Kontrolle behalten sollte und meinte, dass ich ein 4,5 Kilo schweres Baby bekommen würde."

Viviane Bliss kurz nach der Geburt. Foto: Andrea Schrimp

Die Geburt wurde zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin eingeleitet und Annabel bekam ihr Kind. „Sie wog 4.310 Gramm. Außerdem hatte sie bei der Geburt eine Schulterdystokie [was dazu führt, dass sich die Geburt verzögert, weil die Schultern des Babys hinter dem Schambein der Mutter stecken bleiben]." Die Geburt war schlichtweg traumatisch. „Ich war verängstigt und fühlte mich total hilflos. Danach wurde ich von meinen Gefühlen komplett überwältigt, fühlte mich isoliert und allein gelassen. Ich dachte wirklich, dass ich es allein Gott zu verdanken hatte, dass wir beide noch am Leben waren. Bei der Geburt habe ich mir das Steißbein gebrochen. Ich habe deswegen noch immer Schmerzen beim Sex. Außerdem fühlt es sich taub an, weshalb ich meine Blase nicht richtig entleeren kann und nicht weiß, wann ich auf die Toilette muss."

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Annabel hat jetzt umso mehr Angst, ein noch größeres Baby zu bekommen. „Ich würde sagen, meine Angst, ein großes Baby zu bekommen, liegt bei acht von zehn. Ich bin jetzt zwar bei einem anderen Arzt und habe das Gefühl, dass ich all die Hilfe bekomme, die ich brauche, aber ich habe trotzdem noch immer ziemlich große Angst. Oft habe ich das Gefühl, es wäre ein Fehler gewesen, noch mal schwanger zu werden—obwohl mein Mann und ich noch ein weiteres Kind haben wollten."

Tokophobie, also die pathologische Angst vor Schwangerschaften und Geburten, kann zwar theoretisch jede Frauen treffen, am häufigsten betrifft es aber Frauen, die bereits ein traumatisches Erlebnis hatten. „Oft erreicht das Trauma seinen Höhepunkt erst Jahre, nachdem sie sich eigentlich schon wieder erholt haben", erklärt Maureen Treadwell von der Birth Trauma Association. „Sie denken darüber nach, noch ein Kind zu bekommen und gehen im Zuge dessen alles noch einmal im Kopf durch. Wenn man bereits ein großes Baby bekommen hat, ist das Risiko, dass das zweite Kind auch überdurchschnittlich groß ist, besonders hoch."

Irgendwann tropft einem dann ständig braunes Zeug aus dem Hintern. Das ist wirklich fürchterlich.

Die Erziehungsexpertin Sarah Ockwell-Smith hat zwei Kinder bekommen und beide wogen bei der Geburt mehr als 5.000 Gramm. Ihr letztes Baby wog 5.070 Gramm—so viel wie ein 4-Liter-Eimer Farbe. („Nicht gerissen, keine Probleme", sagt sie mir.)

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„Viel zu viele Leute glauben, dass die Geburt von großen Babys schwieriger ist", sagt sie Broadly. „Ich stelle mir gerne vor, dass man die Schwerkraft auf seiner Seite hat, wenn das Kind mehr wiegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas reißt ist bei einem 3 Kilo schweren Baby genauso groß wie bei einem mit 4,5 Kilo."

Eine Pressesprecherin des Royal College of Midwives sagt, dass das so nicht ganz richtig ist. „Das ist aus medizinischer Sicht nicht korrekt: Ob das Gewebe reißt, hängt nicht unbedingt vom Gewicht des Babys ab, sondern vielmehr davon, wie die Geburt bei der Mutter voranschreitet. Jede Frau ist anders, genauso wie auch jeder Körper und jede Geburt anders ist."

Auch wenn dein Baby starke Ähnlichkeiten mit Hodor hat, gibt es verschiedene Optionen hinsichtlich der Geburt. Zuallererst gibt es die Möglichkeit, einen Kaiserschnitt machen zu lassen. Wenn du eine vaginale Geburt bevorzugst, könnte ein Dammschnitt notwendig sein. Ein Eingriff, der allerdings auch bei vielen „normalen" Geburten vorgenommen wird.

„Wenn man ein großes Baby bekommt, sollte man mit seinem Geburtshelfer sprechen—vor allem, wenn man bei früheren Geburten bereits Symptome von fäkaler Inkontinenz bemerkt hat", sagt Treadwell. „Wenn diese Symptome andauern, kann das unangenehme Folgen haben. Irgendwann tropft einem dann ständig braunes Zeug aus dem Hintern. Das ist wirklich fürchterlich."

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Ähnlich wie eine Albumveröffentlichung von Beyoncé, kann auch die Geburt eines riesigen Babys eine unerwartete, aber nicht unwillkommene Überraschung sein. Denn auf jede traumatische Geburt folgen viele andere, bei denen alles glatt läuft. Die 25-jährige Amber Robohm hat ein Baby mit 4.660 Gramm in weniger als einer Stunde und 55 Minuten zur Welt gebracht. Die Geburt hat also ungefähr so lang gedauert wie ein Hollywood-Blockbusters.

„Die Geburt ging so schnell, ich musste noch nicht einmal pressen. Sie kam einfach von allein raus. Es ist nichts gerissen, ich hatte keine Schwellungen und keinerlei Komplikationen." Im Gegensatz zu anderen Frauen hat Robohm kein Diabetes und es gab bisher auch sonst noch niemanden in ihrer Familie, der ein überdurchschnittlich großes Baby bekommen hat. Es ist also ein Rätsel, warum Baby Emma so groß ist.

Dadurch, dass es immer mehr übergewichtige Menschen gibt, immer weniger Menschen rauchen und sich die Leute generell sehr viel ausgewogener ernähren, gibt es auch immer mehr Frauen, die große Babys bekommen. Experten sind deshalb zunehmend der Meinung, dass Frauen besser darüber aufgeklärt werden müssten, was es heißt, ein Kind in der Größe einer Hauskatze zu gebären.

„Frauen sollten vor der Geburt umfassend informiert werden", sagt Treadwell. „Wir sollten dabei nicht nur eine einzige Option anpreisen—sei es ein Kaiserschnitt oder eine vaginale Geburt, eine Hausgeburt oder eine Geburt im Krankenhaus—, aber wir müssen sicherstellen, dass Frauen alle Fakten kennen."


*Name wurde geändert.