So sieht sexuelle Belästigung in 10.000 Metern Höhe aus
Photo by Simone Becchetti via Stocksy

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Sexismus

So sieht sexuelle Belästigung in 10.000 Metern Höhe aus

Noch immer werden Flugbegleiterinnen auf ein sexualisiertes Rollenklischee reduziert und von vielen Passagieren als Freiwild behandelt. Strenge Richtlinien zu ihrem Aussehen und das Unverständnis ihrer Arbeitgeber machen vielen den Job zusätzlich zur...

Als Esme* vergangenes Jahr als Flugbegleiterin auf einem Langstreckenflug arbeitete, fand einer der männlichen Passagiere Gefallen an ihr. „Er hat ziemlich viel getrunken und war generell ziemlich laut und störte den ganzen Flug über. Ich musste ihm andauernd sagen, dass er leise sein soll", sagt sie. Nachdem das Flugzeug gelandet war, sank der Passagier in seinen Sitz und weigerte sich, auszusteigen. Irgendwann hatte es Esme dann doch geschafft, ihn wieder auf die Füße zu kriegen, als er sie plötzlich gegen die Kabinenwand drückte und sich dafür bedankte, dass er wegen ihr eine Erektion bekommen hatte.

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„Es war wirklich widerlich. Ich war so wütend, weil er einfach komplett meine Intimsphäre verletzt hat", sagt sie. „Noch schlimmer war allerdings, dass der erste Offizier erst nur lachte, als ich ihm davon erzählt habe. Dann hat er gemerkt, wie aufgewühlt ich war." Esme kontaktierte die Flughafenpolizei, die den Passagier aus dem Flugzeug begleitete. Sie reichte zudem Beschwerde bei der Fluggesellschaft ein, „aber ich habe nie gehört, was daraus geworden ist."

Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), die weltweit über 600.000 Beschäftigte im Flugverkehrssektor vertritt, sagt, dass die häufigsten Beschwerden von Flugbegleitern stammen und sich um „Körperkontakt und unangemessene Annäherungen" drehen. Die meisten Beschwerden werden anonym eingereicht und erwähnen keine Airline, da viele Flugbegleiter Angst haben, sie könnten ihren Job verlieren, wenn sie sich beschweren.

2014 hat die Gewerkschaft von Flugbegleitern in Hong Kong gemeinsam mit der Equal Opportunities Commission eine Untersuchung durchgeführt, nach deren Ergebnis 27 Prozent der Flugbegleiter bereits Erfahrungen mit sexueller Belästigung im Dienst machen mussten. Befragt wurden Mitglieder eines Mitarbeiterverbandes von Cathay Pacific, British Airways und United Airlines. In 59 Prozent der Fälle wurden sie von Passagieren belästigt, in 41 Prozent von Kollegen.

Heather Poole hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung als Flugbegleiterin und arbeitet für ein Unternehmen mit Sitz in den USA. Sie hat ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung schildert. Sie selbst zieht es vor, sich verbal gegen die Übergriffe zu wehren, anstatt eine offizielle Beschwerde einzureichen.

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„Wenn mich ein Passagier unangemessen anfasst, frage ich mich meist selbst, ob es das wert ist, um die Behörden zu verständigen", sagt sie. „Ob ich nicht lieber ins Hotel gehe und etwas schlafe, statt am Flughafen zu bleiben und eine offizielle Beschwerde einzureichen oder—noch schlimmer—bei meinem nächsten Flug für Verspätung zu sorgen, weil ich weniger als eine Stunde Zeit habe, um zum nächsten Gate zu rennen, bevor die Leute an Bord gehen. Wenn man sich klarmacht, dass man diese Person wahrscheinlich nie wiedersehen wird, kann man [solche Erlebnisse] leicht abschütteln. Wenn ich in einem Büro arbeiten würde, wo ich jeden Tag auf dieselben Menschen treffe, würde ich die Dinge vermutlich anders handhaben."

Manchmal kann man noch nicht einmal Beschwerde einreichen. „Ich kenne eine Flugbegleiterin, die erzählt hat, dass sich ein Passagier jedes Mal vor ihr entblößt hat, als sie an ihm vorbei lief", sagt Poole. „Sie hat Beschwerde eingereicht, aber ihr wurde von offizieller Seite [sowohl von der Flughafenpolizei als auch von der Polizei des Ziellandes] gesagt, dass sie nichts machen könnten, da sie eine Flugbegleiterin sei und kein Passagier und auch nicht minderjährig. Die Botschaft war: Wir zählen nicht."

Kate*, eine Flugbegleiterin Mitte 20, wurde von einem deutlich älteren, männlichen Kollegen angemacht, als sie außerhalb ihres Dienstes im Zielland war. Nachdem sie seine Avancen wiederholt zurückgewiesen hatte, hat er sie „unangemessen angefasst."

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„Ich war wirklich wütend, vor allem weil es vor anderen Kollegen passiert ist", sagt sie und meint weiter, dass sie irgendwann beschlossen hat, es nicht zu melden. „Ich dachte, das wäre die Mühe nicht wert. Ich wurde seither auch nicht mehr für einen Flug mit ihm eingeteilt—falls das der Fall wäre, würde ich versuchen, meine Schicht zu tauschen." Die Crews arbeiten nach einem Dispositionsprinzip. Viele Fluggesellschaften haben einen großen Pool an Mitarbeitern, sodass es passieren kann, dass man mit einem Kollegen zusammenarbeitet und ihn danach nie wieder sieht. Ein weiterer Grund, warum Vorfälle oft nicht gemeldet werden.

Sexuelle Belästigung ist jedoch nicht das einzige Problem, mit dem weibliche Flugbegleiter konfrontiert werden. Schon seit der Blütezeit der Fluggesellschaft Pam Am in den 60er-Jahren wurden Flugreisen immer als ein glamouröses Erlebnis dargestellt, das einem durch wunderschöne Frauen versüßt wird. Jahrzehntelang haben Fluggesellschaften nur junge, dünne und unverheiratete Frauen angeheuert, die wiederum mit Mitte 30 gezwungen wurden, ihren Job zu kündigen. Dank der Einführung von Gewerkschaften und der Antidiskriminierungsgesetzen gehört dieses altertümliche System bei den meisten Luftfahrtunternehmen, insbesondere bei europäischen und amerikanischen, glücklicherweise der Vergangenheit an. Dennoch erwarten sowohl die Passagiere als auch die Fluggesellschaften selbst nach wie vor, dass die Flugbegleiter einem bestimmten Bild entsprechen.

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Die Leute müssen daran denken, dass Flugbegleiter auch nur Menschen sind. Wir dürfen alt werden und ein bisschen dicker.

„Bei der Arbeit höre ich ständig Kommentare über Flugbegleiter, die angeblich alt oder fett seien. Die Leute wirken richtig enttäuscht, wenn die Crew nicht gut aussieht", sagt Poole. Oftmals werden Frauen auch in der Werbung und im Marketing von Airlines sexualisiert—man muss sich nur mal die Kampagne von Vietjet ansehen, die Unterwäschemodels ins Flugzeug holte. Oder den berüchtigten Ryanair-Charity-Kalender, für den weibliche Crewmitglieder im Bikini fotografiert wurden und der später in Spanien verboten wurde. Nachdem sich die ITF bei Ryanair beschwert hat, meinte der Chef des Unternehmens, Michael O'Leary nur: „Wir nehmen die Einwände von ITF bezüglich des Kalender zur Kenntnis. Seien Sie versichert, dass uns das dazu motiviert, im nächsten Jahr einen noch größeren und besseren Kalender zu produzieren."

„Du wärst überrascht, welchen Einfluss solche Werbung darauf hat, wie uns die Leute sehen und behandeln", sagt Poole. „Obwohl Sex nichts mit meinem Job zu tun hat, fragen mich Fremde, wenn sie erfahren, womit ich mein Geld verdiene, zuallererst, ob ich schon mal im Flugzeug Sex hatte."

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Ein weiterer Punkt sind die Uniformen der weiblichen Crewmitglieder. Die meisten Airlines haben eine strenge Politik, was die Uniform betrifft—von der Farbe des Lippenstifts der Flugbegleiter bis hin zum Nagellack. Die meisten müssen Röcke und dünne Strumpfhosen tragen und wer schon mal in einem Langstreckenflug in 10.000 Metern Höhe saß, weiß, wie kalt es da werden kann. Erst nach einem zweijährigen Kampf haben die Mitarbeiterinnen von British Airways im Februar dieses Jahres das Recht bekommen, Hosen zu tragen. Die Gewerkschaft Unite sagte, dass 83 Prozent von ihnen sich für „Wärme und Schutz" entschieden hätten.

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„Ich verstehe, dass das Bordpersonal eine Uniform tragen soll, um professionell und gepflegt auszusehen", sagt Esme, „aber es kommt auch manchmal vor, dass wir noch einmal zurück ins Bad geschickt werden, wenn wir nicht genug Makeup tragen. Es macht mir nichts aus, mich zu schminken, aber es sollte immer noch meine persönliche Entscheidung sein. Nur weil wir ungeschminkt sind, heißt das nicht, dass wir unseren Job nicht richtig machen können."

Bei einigen Airlines ist auch für die Zeit außerhalb des Dienstes geregelt, was sie anhaben müssen, wie sie sich verhalten sollen und was sie in ihrer Freizeit tun dürfen. Vor allem gegen Qatar Airways gibt es deshalb immer wieder Beschwerden. 2015 wurde die Fluggesellschaft verurteilt, weil sie gegen die Antidiskriminierungsgesetze der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, verstoßen hat. Flugbegleiterinnen wurden entlassen, wenn sie innerhalb der ersten fünf Beschäftigungsjahre geheiratet haben oder schwanger wurden. Obwohl Qatar Airways beteuert, dass diese Regelungen seither abgeschafft wurden, bekam die ITF dennoch auch weiterhin Beschwerden von einer Reihe von Frauen, die deshalb im letzten Jahr ohne Vorwarnung entlassen wurden.

Saskia*, die Flugbegleiterin, die die Qatar-Airways-Kampagne der ITF koordiniert, sagt, dass das Unternehmen eine „Kultur der Angst" aufgebaut habe.

„Ihre 9.000 Mitarbeiter sind zu 80 Prozent Frauen—viele kommen aus Ländern wie Indien und schicken Geld nach Hause. Die Arbeit wirkt aufgrund der relativ hohen Löhne überaus attraktiv." Nach Dienstschluss muss die Crew in Wohnungen speziell für die Besatzung wohnen, die streng videoüberwacht werden. In Saskias Augen ein „schreckliches Umfeld".

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Im vergangenen Jahr hat der Chef der Airline das Foto einer betrunkenen Stewardess von Qatar Airways, die auf den Stufen vor dem Wohnblock zusammengebrochen ist, an das gesamte Unternehmen geschickt. Zur selben Zeit, sagt Saskia, wurden „Fligh High"-Events in Nachtclubs und Hotels beworben, die für Besatzungsmitglieder verbilligt waren (oder mit kostenlosen Getränken warben).

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„Qatar Airways kommt nicht auf uns zu und spricht auch nicht mit uns. Stattdessen behaupten sie weiterhin, dass wir (die ITF) bezüglich der Verstöße lügen", sagt Saskia. „Wir werden trotzdem nicht aufgeben. Wir wollen den Mitarbeitern helfen, ihnen eine kollektive Stimme verleihen und so viele Informationen wie möglich sammeln, um die Situation für sie zu verbessern." Qatar Airways wollte unsere Anfragen nicht kommentieren.

Andere Crewmitglieder, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass sich die Situation für die weiblichen Besatzungsmitglieder bei den meisten Fluggesellschaften in Europa und den USA verbessert hat—aber es liegt dennoch noch ein weiter Weg vor ihnen. „Wirklich hilfreich wäre eine Art Fortbildung zum Thema Einvernehmlichkeit, die neue Mitarbeiter vor ihrem ersten Flug besuchen. Wenn man im Ausland ist und frei hat, trinken die Besatzungsmitglieder in der Regel jede Menge Alkohol und ich kenne Kolleginnen, die am Ende mit jemandem im Bett gelandet sind—was sie nicht immer unbedingt wollten", sagt Esme.

„Es ist bereits ein guter Anfang, wenn wir zugeben, dass diese Form von Sexismus existiert. Die Leute müssen daran denken, dass Flugbegleiter auch nur Menschen sind. Wir dürfen alt werden und ein bisschen dicker. Das klingt verrückt, ich weiß", sagt Heather Poole. „Viele Fluggesellschaften versuchen noch immer, eine gewisse erotische Stimmung zu verkaufen, aber eigentlich sind wir für die Sicherheit im Flugzeug da und nicht, damit die Passagiere was zu gucken haben."


*Einige der Namen wurden geändert.

Foto: Laszlo Ilyes | Flickr | CC BY 2.0