Die zahllosen Samples auf dem Jamie xx-Album – eine Spurensuche

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Grime

Die zahllosen Samples auf dem Jamie xx-Album – eine Spurensuche

Von Novelist bis hin zu Alicia Keys, wir zeigen euch, welche musikalischen Schätze auf ‚In Colour' versteckt sind.

Eines der kraftvollsten und nachhaltigsten Elemente auf Jamie xx' Debüt-LP In Colour ist die Verwendung von Samples. Obskure Klangschnipsel zu schneiden und in anderem Kontext wiederzuverwerten ist in der elektronischen Musik natürlich nichts Neues, was jedoch bei In Colour immer wieder gemacht wird, ist, die Samples weniger als Hook und mehr als Echo einzusetzen. Eine vor Kurzem im New Yorker erschienene Rezension seines Albums hat die dortige Verwendung von Audioclips mit einer „geisterhaften Radio-Dokumentation" verglichen—ein Archiv aus Schatten der Vergangenheit. Statt nur im Moment zu existieren, ist es ein Experiment zur Erschaffung von Clubmusik, vollgepackt mit verwaschenen Erinnerungen und Gefühlen.

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Am Freitag hat Jamie xx sein Album veröffentlicht. Wenn du dir das komplette Album anhörst—was du ganz bestimmt nicht nur einmal machen wirst—merkst du schnell, was für ein Meisterstück Jamie xx da abgeliefert hat. Während die Produktion clean und durchdacht ist, sind es die leisen Untertöne, die es in direkte Verbindung zu seinen Einflüssen stellt. Es ist in vielerlei Hinsicht eine unglaublich ehrliche und effektive Demonstration von Dance-Musik des 21. Jahrhunderts—einer Zeit, in der Clubs untrennbarer mit ihrer Vergangenheit verknüpft sind als jemals zuvor.

In einem Versuch, einige dieser Momente herauszuarbeiten und einen kurzen Überblick darüber zu verschaffen, wie tief Jamie xx eigentlich in den Musikarchiven gewühlt hat, haben wir einige Beispiele für das Popkultur-Patchwork des Albums ausgewählt. Jedes von ihnen verdeutlicht die Bandbreite der Einflüsse, die das Album ausmachen.

Gosh

Das „Oh my gosh" des Openers „Gosh" ist vielleicht das Sample, welches am schwierigsten zu finden ist. Die Stimme des MCs, die unheilvoll über den schwellenden, basslastigen Akkorden rasselt, stammt aus der BBC Radio 1-Show One in the Jungle. Sie lief von 1995 bis Anfang 1998 und war eins der ersten Formate, das Jungle im Mainstream-Radio eine Plattform bot. Die Sendung ermunterte DJs, für ihren Mix einen eigenen MC auszuwählen, bevor sie sich dann hinter die Plattenteller stellten und dann alles um 22 Uhr am Freitagabend gesendet wurde. Das wirklich beeindruckende an diesem „Oh my gosh" ist, dass es aus einer Folge der Sendung stammt, die nie ausgestrahlt wurde.

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Die schroffen Töne des MCs stehen im Kontrast zu einem Beat, der, auch wenn er wie ein klappernder Basement-Rhythm klingt, tatsächlich eine verzerrte Interpretation von Lyn Collins Funk-Fest „Think (About It)" ist. Und wo wir schon gerade bei Jamie xx's unglaublichem Produzententalent sind, der Beat von „Think" wurde bereits viele Male vorher gesampelt—auf Kanye Wests My Beautiful Dark Twisted Fantasy gleich zwei Mal. Dieses in die Länge ziehen bei „Gosh", zerrt ihn aber in den Underground und taucht ihn in seine eigene dunkle Fantasie.

Sleep Sound

Neben seinen Kollaborationen mit Drake war es vor allem Jamie xx' Arbeit mit Alicia Keys auf ihrem Track „When It's All Over", die den Aufstieg des Produzenten aus der Intimität von The xx maßgeblich kennzeichnete. Dieser gegenseitige Austausch wurde jetzt mit einem sanft bouncenden Sample aus Keys 2003er Single „Karma" fortgeführt. Die Verwendung des „Oh" ist ein nettes Zugeständnis an R'n'B—einem Genre, das, wenn auch nicht so präsent wie die Rave-Kultur, auf In Colour immer wieder Thema ist.

Loud Places

„Loud Places" war einer der ersten Tracks, die von dem Album veröffentlicht wurden, und die Kombination von sanftem House und xx-Bandkollegen Romy Madley Croft stellte eine gelungene Einführung in die Ästhetik der Platte dar. Der Refrain verwendet das gefühlvolle Crescendo des 1977er Hits „Could Heaven Ever Be Like This" von Idris Muhammad. Die transzendentalen Qualitäten des Textes und die Änderung des Tempos zu etwas sehr viel Extrovertierterem markieren einen zentralen Höhepunkt des Albums, der angesichts des Todes von Muhammad vor weniger als einem Jahr besonders ergreifend ist.

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I Know There's Gonna Be Good Times

Dieses Sample ist auch für eine der spannendsten Urheberrechtsklagen der jüngeren Geschichte verantwortlich, da ein Gründungsmitglied der Persuasions, Jimmy Hayes, ursprünglich meinte, dass er nie wegen der Verwendung des Samples kontaktiert worden war—er nahm die Anschuldigung aber wieder zurück und gab bekannt, dass er gefragt worden war, es aber wieder vergessen hatte. „I Know There's Gonna Be Good Times" ist für viele bereits zum Lieblingstrack des Albums geworden und ist sicherlich das radiofreundlichste Stück darauf. Um es einfach zu sagen: dem Song scheint die Sonne aus dem Arsch. In vielerlei Hinsicht ist es auch ein mutiger Schritt, ein Album, das sich sonst den dunkleren Seiten der Selbstwahrnehmung widmet, mit einer ziemlich geradlinigen Feel-Good-Nummer aufzubrechen. Der Hauptfokus dieser Huldigung kommt in Form von „Good Times" von The Persuasions, das auch die zentrale Hook liefert. Es ist vielleicht die konservativste Verwendung eines Samples auf der ganzen Platte—die Melodie wird kaum verändert, stattdessen lässt Jamie xx die Strahlkraft des Songs wirken.

Ein schönes (sollte es denn wahr sein) Element am Ende von „I Know There's Gonna Be (Good Times)" ist das Lachen, das am Ende des Songs kommt und das angeblich das von Novelist stammt. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass Jamie xx eine Vorliebe dafür hat, Grime MCs zu kitzeln.

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Girl

Als passenderweise letzter Track des Albums verdeutlicht „Girl" noch einmal die ganze Stil-Palette von In Colour. Der Track startet mit dem sanftem Dialogfetzen, „you're the most beautiful girl in Hackney y'know." Die Zeile stammt aus der dritten Episode der kurzlebigen Serie Top Boy über das harte Leben in einem fiktiven Wohnblock in Hackney. Das Zitat verschmilzt erfolgreich die Faszination des Albums mit sowohl Herzschmerz als auch den urbanen Abgründen Großbritanniens.

Dieser Soundschnipsel macht dann Platz für zwei komplett unterschiedliche Stilrichtungen. Zuerst gibt es ätherische Sprenkel des 2007er-Tracks „Out There" des schwedischen Elektro-Duos Studio zusammen mit den unerwarteten Gitarrenmotiven von „Burning" der deutsch-norwegischen New Wave-Band Whitest Boy Alive. Über einen aufsteigenden Cut hinweg bringt Jamie xx Facetten seiner ganzen Identität mit ein: mutige Elektro-Arrangements, auf den Punkt gebrachte Indie-Gitarren und der Sound von London selbst. Dieser Song ist unglaublich repräsentativ für ein Album, das Aspekte so vieler verschiedener Orte vereint, aber nur von einem einzigen stammen konnte.

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