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Was Joe Cole jetzt macht? Er zaubert immer noch

Joe Cole ist der Gegenentwurf zum modernen, geldgeilen Profi. Statt in der Premier League auf der Bank Millionen zu verdienen, zockt er lieber bei Coventry in der dritten englischen Liga.
PA Images

Siehst du ihn noch vor dir? Den Edel-Techniker im Chelsea-Trikot, der das Mittelfeld unermüdlich umpflügt? Wir schreiben das Jahr 2004 und neben Nobby Solano und Arjen Robben mit Haaren (!) darf natürlich einer nicht fehlen. Na klar, Joe Cole.

Joe Cole wetzt die Außenbahnen hoch und runter. Joe Cole zeigt uns Tricks, die sich zu seiner Zeit kein anderer englischer Fußballspieler zutraut. Es war auch Cole, der für England bei der WM 2006 dieses eine Tor geschossen hat…

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… und sich danach in der Kurve gebührend feiern ließ. Immer war er es. Er war auch die Antwort auf die ewige Frage englischer Fußballfans: „Wen haben wir für die linke Seite?". Sie hatten Joe. Und dabei sollte man nicht vergessen, dass sich alles während der Golden Generation abgespielt hat.

Jetzt spielt Cole bei Coventry City. In der dritten englischen Liga. Was uns natürlich zu folgender Frage führt: Was ist eigentlich mit Joe Cole passiert? Oder auch: Was ist mit dem englischen Fußball passiert, dass dieser aufgeweckte, lebhafte Junge aus Camden—der einst von keinem Geringeren als Pelé zum „Brasilianer" geschlagen wurde—in der Ricoh Arena irgendwo im Nirgendwo landen konnte?

Nun ja, vor allem Verletzungen. Und nicht gerade wenige. Coles Karriere ist geprägt von schweren Knieoperationen. Und schwere Beinverletzungen haben nun mal die blöde Eigenschaft, Spieler ihrer explosionsartigen Schnelligkeit zu berauben. Auch wenn die Schwere der Folgen natürlich davon abhängig ist, wo genau die Verletzung lokalisiert ist und was für ein Spielertyp betroffen ist. Michael Owen, zum Beispiel, war nach einer Reihe von Oberschenkelverletzungen nicht mehr derselbe wie vorher, weil ihm schlicht und einfach die Schnelligkeit fehlte, um mit den Verteidigern Katz und Maus zu spielen. Die Spieler hingegen, die weniger von Tempofußball leben, können dieselbe Art von Verletzungen deutlich besser kompensieren. Cole war stets ein nach vorne ausgerichteter Spieler. Darum war weniger schnell bei ihm auch gleichbedeutend mit weniger gefährlich und effektiv.

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Ein Spieler, mit dem sich auch der kleine Mann identifizieren kann. Foto: PA Images

Und dann wäre da noch der Faktor Alter. Cole ist mittlerweile 34, auch wenn er immer noch wie Mitte 20 aussieht. Andererseits: Gerrard ist schon 35, Lampard gar 37. Als Stevie und Frank 34 waren, haben sie noch immer bei Liverpool bzw. Chelsea gespielt—und zwar als Führungsspieler. Cole hingegen ist bereits seit gut fünf Jahren raus aus dem Rampenlicht. Was bei ihm am meisten überrascht hat, ist die Tatsache, dass er es bei all seinen Fähigkeiten im jungen Alter nicht geschafft hat, zu einem Spieler zu reifen, der bis ins hohe Fußballeralter nicht an Relevanz einbüßen würde.

Liegt es jetzt daran, dass ihm die nötige Ernsthaftigkeit gefehlt hat. Oder wurde ihm vonseiten des Vereins nicht genügend Liebe entgegengebracht? Mit Liebe ist auch gemeint: Die Bereitschaft von der Klubführung, den verletzten Spieler genauso rührend—und mit hochmodernen Therapien—zu umsorgen, wie es eben genau ein Stevie und ein Frank genießen durften. Oder liegt es vielmehr daran, dass zentrale Mittelfeldspieler langsam sein können (und mit dem Alter sogar noch langsamer), und trotzdem eine wichtige Rolle einnehmen, während Offensivspieler (gerade über außen) ihre Fähigkeiten nur vollends ausspielen können, solange sie noch pfeilschnell sind? Am Ende ist es wahrscheinlich eine Mischung aus mehreren Faktoren. Joe Cole—wie wir nicht vergessen sollten—war auch immer ein Spieler, dessen Trainer nie hundertprozentig wussten, wie und wo sie ihn am besten einzusetzen haben.

Obwohl er unfassbar viel Erfahrung mitbringt und für durchweg eleganten Fußball steht—siehe sein Traumtor gegen Schweden bei unserem „Sommermärchen"—, ist Cole schon längst keiner mehr für höhere Aufgaben. So hart, wie es klingt, aber es stimmt: Joe Cole ist nur noch Teil unseres Fußball-Erinnerungsschatzes. Er taucht auf, wenn wir uns YouTube-Videos von Saisonhöhepunkten aus dem Jahr 2010 und früher anschauen. Er ist Geschichte.

Doch er selbst lässt sich davon scheinbar nicht unterkriegen oder die Stimmung versauen. Er zockt einfach zwei Ligen tiefer. Und wie mir Coventry-Fans erzählt haben, sind er und sein Ballgefühl noch immer eine Klasse für sich. Und allein die Tatsache, dass er lieber in der dritten Liga spielt, anstatt bei einem Premier-League-Team auf der Bank zu sitzen und ordentlich abzukassieren, sagt viel über den Spieler und Menschen Joe Cole aus. Dazu passt auch der Eintrag in seiner Biografie, dass er im jungen Alter von einer Arbeiterfamilie adoptiert wurde, die zu keiner Zeit der Vision nachgeeilt ist, dass ihr Pflegesohn unbedingt ein großer Fußball werden müsse (auch wenn sie ihn dabei stets unterstützt haben). Coles Geschichte ist eine von fester Entschlossenheit und großem Talent, die lange Zeit zu traumhaften Resultaten geführt hat.

Joe Cole wirkt wie nicht von dieser Zeit. Ein Fußballfossil. Ein netter Kerl, der einfach nur spielen will. Vergesst also einfach mal die Geschichten von Fußballern, die Thai-Orgien feiern und sich in Blinki-Blinki-Designerschuhen ablichten lassen, solange es noch Spieler wie Cole gibt. Der good ol' boy aus Camden. Englands vergessenes Juwel.