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Düngemittelterroristen: Wie eine Chemikalie den Karneval bedrohte

Aufatmen in Köln: Der vermeintliche Düngemittel-Terrorist hat keinen Anschlag auf den Rosenmontagszug geplant, sondern war wohl nur ein glückloser Amateur-Methkoch.
Ammoniumnitrat. Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0

Der vermeintliche Düngemittel-Terrorist, der bis gestern abend zur Fahndung in Köln ausgeschrieben war, hat keinen Anschlag auf den Rosenmontagszug geplant, sondern war wohl nur ein glückloser Amateur-Methkoch.

Im Baumarkt „Knauber" in Pulheim bei Köln hatte der 44-Jährige am vergangenen Freitag nach Ammoniumnitrat gefragt—ein Stoff, der in Reinform nicht frei verkauft wird, wie ihm die Verkäufer erklärten. Der Kunde entschied sich daher alternativ für eine größere Menge Düngemittel, welche aber auch Salze enthielten, mit denen man nach Filtrierung Sprengstoff herstellen könnte. Ein misstrauischer Mitarbeiter des Baumarktes informierte nach dem Kauf die Polizei über den Kunden, den er als „aus dem nahen Osten stammend" beschrieb.

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Aufgrund der „besonderen Gefährdungslage" kurz vor dem Großereignis Kölner Karneval schrieb die Polizei Köln den Mann als potentiellen Terrorverdächtigen zur Fahndung aus.

Etwas lässiger ging Rosenmontagszugleiter Kuckelkorn die Sache an: „Der Rosenmontagszug ist aktuell weder bedroht noch abgesagt. Vielleicht will der Mann aus dem Baumarkt mit den Chemikalien auch einfach nur sein Auto waschen", schlug er dem Kölner Stadt-Anzeiger gestern vor. Das stellte sich als ein wenig zu gutmütig gedacht heraus.

Nachdem sein Foto aus der Überwachungskamera des Baumarktes von der Polizei Köln mit der Bitte um Unterstützung bei der Fahndung bundesweit veröffentlicht wurde, fuhr der 44-jährige am Dienstagabend gegen 20 Uhr mit den Chemikalien im Kofferraum bei der Polizei vor, wo er sich als weitgehend harmlos herausstellte. Er habe damit doch nur sein Motorrad beizen wollen, erzählte er.

Terrorgefahr also gebannt, doch es gibt noch einen Plot-Twist: Dem Focus sagte die Polizei nämlich heute morgen, dass sich der Mann im Rahmen der Vernehmung verplappert habe:

Statt zur Lackentfernung seines Motorrads habe er das in den Düngemitteln enthaltene Ammoniumnitrat wohl zur Herstellung von Meth einsetzen wollen. Als die Beamten seine Wohnung durchsuchten, fanden sich dort ebenfalls Drogen und Laborzubehör. Immer wieder sprengen sich dilettantische Methköche beim Kochen von Crystal in die Luft oder fügen sich schwere Verbrennungen zu, weil sie die Heftigkeit der Reaktion nicht abschätzen können. Zur amateurhaften Herstellung nach der „Shake & Bake"-Methode wird auch Ammoniumnitrat benötigt.

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Ammoniumnitrat: Die Waffe der Wahl für Bombenanschläge von Bali bis Oklahoma

Was genau ist also die Chemikalie, die den Karneval das Fürchten lehrt? Ammoniumnitrat ist das Salz, das sich aus Salpetersäure und Ammoniak bildet. Damit stellt man hauptsächlich Düngemittel wie „Blaukorn" her, in denen Ammoniumnitrat anteilig enthalten ist. Wie hoch der Ammoniumnitratanteil sein darf, ist natürlich in der Düngemittelverordnung genau festgelegt. Aus dem Dünger kann das Salz zur Herstellung von Sprengstoff allerdings gefiltert werden; gemischt mit Diesel wird es hochexplosiv.

Mischt man dagegen Eisensulfat unter das Düngemittel, wird das enthaltene Ammoniumnitrat ungefährlich. Doch das haben US-Forscher erst 2013 herausgefunden. Bis dahin ist weltweit noch tonnenweise Düngemittel mit Ammoniumnitrat im Umlauf—der Fluch der Dual-Use-Produkte.

Obwohl viele Hobbygärtner ein solches Mittel schon einmal benutzt haben dürften, leitete die Polizei vermutlich auf den Tipp des Baumarktmitarbeiters hin die Fahndung ein, weil immer wieder Sprengstoffe mit Ammoniumnitrat bei Anschlägen verwendet wurden; so zum Beispiel nutzten der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh oder der Norweger Attentäter Anders Breivik den Stoff. Aber auch in Bali, bei einer Explosion im chinesischen Tijanjin und selbst in der Rohrbombe, die 2012 am Bonner Bahnhof entschärft wurde, fand sich das Salz als Bestandteil des Sprengstoffs. 65 Prozent aller selbstgebastelten Bomben in Afghanistan (2012 waren das unglaubliche 16.300) enthielten das Salz ebenfalls—weswegen Hersteller wie Sandia bereits Formeln für Düngemittel entwickelt haben, die in Bombengemischen ungefährlich werden und damit Leben retten können.

Die weitläufige Verbreitung erklärt allerdings noch nicht, wieso sich der Kauf in großen Mengen nicht auch einschränken ließe. Selbst beim Verkauf einer SIM-Karte werden in Deutschland schließlich—zumindest in den Shops der Netzanbieter—persönliche Daten [gemäß § 111 Telekommunikationsgesetz](§ 111 TKG) erfasst. Diese spezielle Vorgabe lässt sich allerdings ziemlich leicht umgehen. Besser noch wäre es, Düngemittel, aus denen sich Bomben basteln lassen, nach und nach aus dem Verkehr zu ziehen und durch harmlosere Alternativen zu ersetzen.

Im Falle eines Graffittientferners, der die Droge GHB enthielt, setzten die Behörden das jedenfalls sehr zügig durch.

Update: 15:45. Das Pulheim Geschäft, in dem der Verdächtige einkaufte heißt Knauber und nicht Klauber. Wir haben den Fehler korrigiert.