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Forscher entdecken intelligenten Schleim, der lernt, ohne ein Gehirn zu haben

Der smarte Schleimpilz beweist, dass Lernen nicht von einem Gehirn und Nervensystem abhängig ist.
Physarum polycephalum | flickr | Martin Jambon | CC BY 2.0

Was ist Intelligenz? Muss man lesen und rechnen können oder beruht diese Fähigkeit möglicherweise auf dem Vorhandensein eines sozialen Bewusstseins? Forscher des Centre de Recherches sur la Cognition Animale der Universität Toulouse werfen nun einen bisher kaum gewürdigten Kandidaten für die Intelligenzfrage in die Runde, der nicht einmal ein Gehirn, aber dennoch die nötigen Grauen Zellen vorzuweisen hat. Es handelt sich um Physarum polycephalum, einen Schleimpilz.

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Physarum polycephalum hat sich durch seine Beteiligung an zahlreichen Studien bereits einen Namen im Wissenschaftskosmos gemacht. Er ist gut erforscht, leicht zu kultivieren und wird häufig als Modellorganismus zur Untersuchung von Zellwachstum oder Zelldifferenzierung verwendet. So griffen auch die Wissenschaftler aus Toulouse für ihre Studie über die Verhaltensaneignung auf diesen gehirnlosen Schleim zurück, der nicht einmal ein Nervensystem sein eigen nennen darf. Ihre Ergebnisse publizierten sie nun in Proceedings of the Royal Society B und schrieben in dem Paper: „Die Resultate legen nahe, dass die Kennzeichen des Lernens auf der Stufe einer einzelnen Zelle auftreten können."

Das Erlernen eines Verhaltens beruht in der Regel darauf, dass man permanent einem neuen Stimulus ausgesetzt wird und mit der Zeit beginnt, sich darauf einzustellen. So funktioniert auch die klassische Verhaltenstherapie, bei der eine Person immer wieder mit dem für sie unangenehmen Stimulus (Spinne, Nadel, Höhe) konfrontiert wird, bis sich ihre Reaktion auf diesen geändert hat.

Bilder: Audrey Dussutour (CNRS)

Einer Art Verhaltenstherapie wurde nun auch der Schleim unterzogen. Die Wissenschaftler verbanden zwei Petrischalen mit einer Art Brücke über die der Schleim von einer Schale in die andere kroch, wo sich eine gelartige Mahlzeit aus Haferflocken befand. Für die Überquerung der Brücke benötigte der Schleim um die zwei Stunden. Um sein Verhalten zu prüfen, verschmutzten die Forscher die Brücke an einer Stelle mit Chinin oder Koffein, welches zwar harmlos für den Probanden war, aber in der Konzentration einen bitteren Geschmack hatte.

Bild: Audrey Dussutour (CNRS)

In den ersten Durchläufen zeigte der Schleim eine deutliche Aversion gegenüber der Substanz und benötigte nach einem Zögern dreimal so lange wie bisher für die Überquerung der Brücke, die er auf einem besonders engen Pfad, möglichst weit entfernt von dem störenden Element, vornahm. Je mehr Zeit verstrich, desto eher gewöhnte er sich an die neue Situation und legte seinen Weg nun wieder schneller zurück. Der Schleim hatte aus der Erfahrung gelernt und sein Verhalten verändert.

Dabei handelt es sich nicht nur um einen weiteren Erfolg in der Karriere des Physarum polycephalum, der bereits im Jahr 2000 bewies, dass er in einem Irrgarten den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten findet und Anfang 2006 die zentrale Steuerung eines Schleimpilzroboters übernahm. Der smarte Schleim gibt neue Hinweise über die Lernkapazitäten von Organismen ohne Hirn und Nervensystem. Die Ergebnisse sollen nun dazu genutzt werden, neue Erkenntnisse über das Verhalten von Viren und Bakterien zu gewinnen.