Die Flüchtlinge, die mit einem Frauenradio im Irak gegen Islamisten kämpfen
Haneen und Hevy spielen zu Ehren unseres Besuchs einen Track von Lena Meyer-Landrut. Wir sind entzückt. Alle Bilder: Daniel Mützel

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Die Flüchtlinge, die mit einem Frauenradio im Irak gegen Islamisten kämpfen

Wir haben die drei jungen Frauen besucht, die nach ihrer Flucht vor dem IS einen der inzwischen beliebtesten Radiosender des Iraks aufgebaut haben.

Halabdscha ist eine verschlafene irakische Kleinstadt mit bewegter Geschichte. 1988 warf Saddam Husseins Luftwaffe Sarin- und Senfgasbomben über dem Talkessel ab, nachdem die kurdischen Peshmerga die Stadt der Kontrolle der Bagdader Zentralregierung entrissen hatte. Mindestens 5000 Menschen starben, der Rest flüchtete in den Iran.

In den 1990ern eroberten dann die radikalen Islamisten von Ansar Al-Islam das Städtchen. Sie errichteten eine Schreckensherrschaft, die jener der Taliban in Afghanistan in nichts nachstand. Erst im Zuge des Irak-Einmarsches der USA im Jahr 2003 flüchteten sie in die Berge, doch erzkonservative Moralvorstellungen und Frauenfeindlichkeit halten sich in der Stadt bis heute.

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Doch nicht alle Bewohner Halabschas wollen sich der Erblast islamistischer Prägung beugen: Wer in diesen Tagen auf der holprigen Piste in das iranisch-irakische Grenzgebiet fährt, kann plötzlich Lena Meyer-Landrut und junge Frauenstimmen auf Arabisch hören.

Anfangs noch rauschend, dann immer deutlicher empfängt das Autoradio das Programm des lokalen Radiosenders Dange NWE, während wir in unserem Toyota Landcruiser Richtung Halabdscha tuckern. Eine Handvoll junger Frauen, die zum Teil hier aufgewachsen sind, zum Teil vom Krieg hierher geflohen sind, wenden sich gegen die engen gesellschaftlichen Bindungen, die für Frauen eine Rolle hauptsächlich zuhause am Herd oder im Schlafzimmer vorsehen.

Statt sich zuhause zu langweilen und vom Einkommen ihrer Männer und Väter abhängig zu sein, gründeten sie 2005 eine eigene Radiostation. Der Sender ist eine Besonderheit: Unabhängig vom Einfluss der kurdischen Regionalregierung wird er ausschließlich von Frauen betrieben. Neben internationalen Charts und lokalen Nachrichten nehmen die jungen Radiojournalistinnen auch Tabuthemen in ihr Programm: Häusliche Gewalt wird ebenso diskutiert wie Missstände in der Stadtverwaltung und die weibliche Genitalverstümmelung. Frei empfangbar auf UKW.

„Manchmal beschwert sich mein Mann darüber, dass ich auf Sendung so viel lache."

Gefördert von der deutschen Hilfsorganisation WADI, ist er mittlerweile einer der beliebtesten Radiosender im Irak. Per Facebook Live schalten sich täglich Hunderte aus der ganzen Welt zu. Seit 2015 sendet Dange NWE täglich zwischen 8 und 12 Uhr nicht im lokalen kurdischen Dialekt, sondern auf Arabisch, denn in zahlreichen Lagern rund um die Stadt hausen hunderttausende Iraker und Syrer, die vor den Schergen des islamischen Staates geflohen sind. Das vierstündige Refugee Radio ist in dieser Gegend die einzige Informationsquelle, die sich speziell an die Flüchtlinge richtet.

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Organisiert wird die Sendung von drei jungen Frauen, die heute für ihr mutiges Engagement den Raif-Badawi-Award für mutigen Journalismus auf der Frankfurter Buchmesse erhalten. Die Frauen sind selbst Flüchtlinge: Hevy Izzet Ahmad, 27 Jahre alt und studierte Philosophin, floh 2014 vor den Kämpfen in ihrer syrischen Heimatstadt Kobane. Die 19-jährige Haneen Hassan wurde mit ihrer Familie aus dem irakischen Falludscha vertrieben und lebt seit zwei Jahren in Halabdscha. Sie hatte gerade ihr Abitur gemacht und wollte eigentlich mit dem Studium beginnen. Shadan Habiba, 29, ist Kurdin aus Halabdscha und studierte Geographie. 1988 flohen ihre Eltern nach Saddams Giftgasangriffen für mehrere Jahre in den Iran.

Wir haben die drei in ihrem kleinen Studio im Irak besucht und über die Situation der Flüchtlinge in den irakischen Lagern, Pressefreiheit und die neuesten Beauty-Trends in Halabdscha gesprochen.

Motherboard: Herzlichen Glückwunsch zu eurem Preis. Kam das überraschend für euch?

Hevy: Ja total! Dass wir für unsere Arbeit so viel internationale Aufmerksamkeit bekommen, ehrt uns sehr. Wenn du als Journalistin diesen Respekt bekommst, macht dich das unglaublich glücklich und motiviert dich natürlich noch mehr weiter zu machen.

Ihr seid drei junge Frauen in einer erzkonservativen Umgebung und startet ein Radioprogramm. Werdet ihr da nicht angefeindet?

Hevy: In meiner Familie hat niemand etwas gegen meine Arbeit. Im Gegenteil, sie unterstützen mich sehr, was mir wichtig ist. Aber manchmal beschwert sich mein Mann darüber, dass ich auf Sendung so viel lache. Obwohl er mich bei allem unterstützt, ist er da ein bisschen kontrollierend über mein Auftreten in der Öffentlichkeit.

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Bild: Shadan, Haneen und Hevy leiten das „Refugee for Refugee"-Programm seit 2015.

Das Programm erreicht über Facebook Live auch Hunderte Internetnutzer.

Hevy und Haneen in ihrer kleinen Radiobox.

Haneen: Mein Vater ist nicht immer sehr glücklich über meine Arbeit. Das Radioprogramm wurde ja auch in der Community in meiner Heimatstadt Falludscha wahrgenommen. Die sind sehr konservativ und schauen jetzt ganz genau auf mich. Nervig ist es manchmal in den Camps. Da gibt es einige Männer, die uns am liebsten verjagen würden. Das ist einfach unangenehm. Wir gehen da jetzt auch nicht mehr ohne männliche Begleitung hin.

Shadan: In meiner Familie hat keiner ein Problem mit meiner Arbeit. Aber wir sind hier sehr tief verwurzelt in der Community, und die ist nunmal stockkonservativ und muslimisch. Da wird ordentlich über mich gelästert, und es werden Gerüchte gestreut.

Wir sind ja hier häufiger auch beim Fernsehen zu Gast. Dann sagen die Leute: „Eine Frau sollte ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen, sie soll sich verstecken." Der Vater von unserer Chefin wird auf der Straße immer abschätzig gefragt, ob seine Tochter nicht eine Jesidin oder eine Christin wäre. Er solle doch mal ihre Geburtspapiere checken. Das ist schon unangenehm. Aber wenn du dich einmal darauf einlässt, reden die Leute nur noch mehr. Wir machen einfach weiter.

Raif Badawi, der Namensgeber des Preises, wurde in Saudi Arabien wegen Blasphemie zu 1000 Peitschenhieben verurteilt. Was symbolisiert der Namensträger für euch?

Hevy: Fast im gesamten Nahen Osten ist die Pressefreiheit entweder stark eingeschränkt oder es gibt sie überhaupt nicht. Wann immer ein Journalist etwas schreiben möchte, wird sprichwörtlich sein Stift zerbrochen. Dafür steht auch der letztjährige Gewinner aus Marokko, Ali Anouzla, der im Gefängnis sitzt. Auch Raif Badawi steht in dieser Tradition.

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Jetzt sind wir das Symbol für die mangelnde Pressefreiheit in der Region geworden. Das bedeutet natürlich auch eine besondere Verantwortung für unsere Arbeit.

Wie seid ihr überhaupt zum Radio gekommen?

Hevy: Schon seit meiner Kindheit wollte ich Journalistin werden. Aber hier im Irak kommen noch weitere Beweggründe hinzu. Es gibt hier hunderttausende Flüchtlinge. Ich bin selbst geflohen. Da hat der Journalismus auch ein humanistisches Anliegen. Mit dem Radioprogramm wollen wir den Flüchtlingen eine Stimme geben. Wir laden sie zu uns ins Studio, damit sie die Geschichte ihrer Vertreibung erzählen können.

Haneen: In erster Linie wollen wir Aufmerksamkeit erzielen für die Millionen irakischen und syrischen Flüchtlinge im Land: Wie kann man ihnen helfen? Wie ist die Lage in den Camps? Millionen Syrer mussten ihr Land verlassen und sind jetzt auf der ganzen Welt verteilt.

Jeder dieser Menschen hat ein Talent und wir wollen nicht, dass sie einfach so von der öffentlichen Bildfläche verschwinden. Unter den Flüchtlingen sind auch viele Künstler oder Entertainer. Unser Radio soll ein Verstärker für diese Menschen sein.

Euer Programm dreht sich ja nicht nur um Politik und Nachrichten. Was macht euch denn am meisten Spaß?

Shadan: Ich mag eigentlich die Musik am liebsten.

Haneen (lacht): Ich mag die Lifestyle- und Fashion-Sparte am meisten. Aber auch die Beauty-Tipps. Heute morgen hatten wir einen Beitrag über die gesunde Wirkung von Tomaten und Möhrensaft. Und eine Anleitung zum Herstellen einer Gesichtsmaske aus Granatäpfeln. Die gibt es hier ja überall. Und glaub mir: Die hilft wirklich gegen Falten.