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Der Technical Rider des 31C3

Eigenes Telefonnetz, Kampf gegen die Matecalypse und 1 Mullbinde pro Stunde: 12.000 Hacker und Nerds wollen versorgt werden.
​Alle Bilder (soweit nicht anders vermerkt): Motherboard

Alljährlich versammeln sich zwischen Weihnachten und Neujahr tausende Menschen, um lötend, codend, 3D-druckend, laser-cuttend und rundum andächtig-abnerdend das Hochfest globaler Hacker-Kultur zu begehen: Den Chaos Communication Congress. Für die 31. Ausgabe okkupierten über 12.000 Besucher vier Tage lang das brutalistische 70er Jahre Kongresszentrum CCH am Hamburger Dammtor.

Im Programm fanden sich auch in diesem Jahr wieder zahlreiche bemerkenswerte Präsentationen von Sicherheitsforschern, Hacktivisten und Technikexperten: Unter anderem wurde die Iris von Angela Merkel und der Fingerabdruck von Ursula von der Leyen gehackt, das als sicher geltende 3G-Handynetzwerk geknackt (und eine ​App zur mobilen Selbstverteidigungs veröffentlicht), die Ortung und Manipulierbarkeit von Handys über den Mobilfunkstandard SS7 demonstriert, das Zentrum für politische Schönheit hielt die ​„Keynote der ​Herzen" und es kam zur ersten Bitcoin-Überweisung per Rohrpost (natürlich zugunsten des Snowden Defense Funds). (Alle offiziellen Präsentationen gibt es hier auf der CCC-Medienseite zur Nachschau.)

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„Wir organisieren alles so effizient wie möglich, denn der 31C3 ist Wissensdruckbetankung und jede Sekunde Kongresszeit ist kostbar."

Auch die Liste der Systemvorraussetzungen für die 4-Tage-Wach-Nerdparty ist außerordentlich: Es wurden unter anderem ein eigenes Telefonnetz, eine eigene Stromversorgung, zahllose Club-Mate-Kisten, ein eigener Pizza-Lieferdienst, zwei aufwendig gebaute Dancefloors, zahlreiche Lichtinstallationen und selbstverständlich ein Internetzugang mit neuer CCC-Rekordbandbreite aufgeboten, die die Gesamtkapazität von Nordkorea um ein Vielfaches übersteigt.

Der Technical Rider des 31C3.

Alle Bilder (soweit nicht anders vermerkt): Motherboard

Während man sich in den großen Jahresrückblickspräsentationen gemeinsam über die Sakko-Wahl prominenter CCC-Mitglieder bei ihren Auftritten im NSA/BND-Untersuchungsausschuss amüsierte (die eindrücklich beweisen, dass der Club längst im Mainstream angekommen ist), sind es vor allem die vielen über die Kongressgänge verstreuten Bonus-Features und Basteleien im Maker-Space, die den 31C3 zum Mutterschiff aller Hacker-Holodecks macht. (Und den Starkstrombedarf in ungeahnte Höhen treibt).

Der Aufbau des 31C3 hat für nicht wenige Unterstützer bereits vor dem 24.12. begonnen und wurde von einer ganzen Armada an Ehrenamtlichen über die Feiertage finalisiert. Die vollständige Kongress-Deeinstallation wird teilweise noch bis zum 6.1. andauern.

Eine Blick auf den Veranstaltungsbedarf zeigt dabei das ganze Ausmaß des Kongresses, der in diesem Jahr erneut einen Besucherrekord verzeichnen konnte. Hier also der (aufgrund von überbordendem Chaos natürlich unvollständige) Technical Rider des 31. Chaos Communication Congress, inklusive einige Details und Einblicke in die Arbeit all der fleißigen Helfer, die den Kongress überhaupt erst möglich machen und 24/4 am Laufen halten:

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Strom:

  • 31 x 63A CEE Starkstromanschlüsse
  • 15 x 32A CEE Starkstromanschlüsse
  • 1 x 125A CEE Starkstromanschluss (Gebündelt eingesetzt für die 3D-Drucker und Laser-Cutter im Maker-Space in Halle 3)
  • 9880 Meter Kabel
  • 673 Stromverteilerboxen
  • Stromverbrauch im Serverraum: 53.093 kWh in vier Tagen
  • Verbrauch in Halle 3 aka Makerspace: 1067,7 kWh

Internetzugang:

  • 50 GBit Uplink Kapazität (Ja, das ist geschätzt das 25fache von Nordkorea)
  • 15KW Stromverbrauch allein im Serverraum
  • 125 W-Lan Zugangspunkte im gesamten Gebäude (Davon 115 öffentliche zugängliche Clients und 10 Airmonitors zur Optimierung der Routereinstellungen)
  • Ein gekühlter Serverraum mit über 100 Maschinen, der die Temperatur von 50 Grad nicht überschreiten darf

Hier ein Bild vom Serverraum, der Auslastungsgraph vom Congress-Dashboard, der die verwendete Bandbreite über die vier Tage und die Höchstauslastung am Montag Abend zeigt und die letzte Amtshandlung der Netzwerkorganisatoren vom NOC-Team (Network Operation Center):

Bild: NOC

Screenshot Event-Dashboard

The end #31c3 pic.twitter.com/9JPElm3ecD

— CCC Events NOC (@c3noc) December 30, 2014

Medizinische Versorgung

  • 300 Kompressen
  • 100 Mullbinden (Das macht bei 96 Festivalstunden rund eine Mullbinde pro Stunde, wie das CERT-Team mir sogleich vorrechnete.)
  • Knapp 20 Meter Pflaster verbraucht
  • 90 Einmaldecken
  • Über 3 Dutzend Zugänge gelegt
  • Insgesamt rund 300 Patienten versorgt

Im CERT-Team kümmern sich circa 90 ehrenamtliche Helfer (darunter 10 Ärzte) um das Wohlergehen der Kongressteilnehmer. MadDoc aus dem Leitungsteam bezeichnete ihre Einrichung als „erweiterte Praxis mit Notfallbetrieb" und erzählte mir, dass Kopfschmerztabletten die am meisten verabreichte Medizin darstellten.

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Der Schutzpatron auf der medizinischen Versorgungsstation der CERT.

Der Schutzpatron auf der medizinischen Versorgungsstation der CERT.

Auch wenn die Station für die verschiedensten fachlichen Behandlungen gerüstet ist, so sind es vor allem kleinere Wehwehchen, wegen denen die Gäste zu ihnen kommen. Schließlich will keiner das CCH unnötig verlassen und wertvolle Kongresszeit verlieren. Für die Mitglieder des CERT-Leitungsteams, Docstee, Blubbe und MadDoc ist der 31C3 eines der entspanntesten Festivals, auf dem sie sich nicht nur selbst zu Hause fühlen, sondern auch liebend gerne ihrer Arbeit nachgehen: „Service wäre das falsche Wort. Es ist Fürsorge."

Telefonnetz:

  • Ein eigenes Kongressnetz zur Schnurlostelefonie für maximal 9.999 Geräte, die die Gäste selber mitbringen. 
  • 3500 spezifische vierstellige Kongressdurchwahlen wurden vergeben, aufgeteilt auf:
  • 1250 DECT-Anschlüsse 
  • 1850 GSM-Anschlüsse (Handykarten siehe unten)
  • 400 SIP-Karten
  • Dutzende DECT Basisstationen
  • 2 Basisstationen für das GSM Netz

Eine der Original bedruckten GSM-Karten.

Eine der Original bedruckten GSM-Karten.

Antenne für GSM-Netz unter gemütlicher Kongressdecke, inklusive hippiesk abgeklebter Deckenbeleuchtung.

Antenne für GSM-Netz unter gemütlicher Kongressdecke, inklusive hippiesk abgeklebter Deckenbeleuchtung.

Gemütlichkeit:

  • Viele Dutzend alte Sofas für die Gänge und Chillout-Bereiche. Eingesammelt wurden die Sofas auf vier Wochened-Touren als Zu-Verschenken-Angebote über eBay-Kleinanzeigen mit einem 7,5 Tonner
  • Über ein Dutzend Discokugeln für Gänge, Außenbereich und Tanzflächen
  • Zahlreiche Farbfolien, um die weiße Gangbeleuchtung in gemütlicheres Licht zu tauchen

Party:

  • 14 ​ISO-Container, die normalerweise der internationalen Containerschifffahrt dienen, aber in diesem Fall den von den Bachstelzen gestalteten Lounge und Tanzbereich in der Halle etwas gemütlicher machten

  • 1 Outdoor-Kuppeldancefloor aus durchsichtiger Folie

  • 1 Konfettikanone

  • 1 DJ Pult für den Outdoor-Dancefloor (nur digitale Auflegetools erlaubt wegen verschärftem Konfettifeuer)

  • Bombastisches Soundystem für den Tanz- und Loungebereich in der Halle und eine für die Gäste von einer Couch steuerbare Lichtanlage inkl. Joysticks

  • Ein Mission-Impossible-ähnlicher Laserparcours, der neben der Tanzfläche wohl als praktische, körperliche Dehnübung platziert wurde:

Der Laserpacours im Bachstelzen-Bereich.

Der Laserpacours im Bachstelzen-Bereich.

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Weiterer Basisbedarf:

  • 13.000 Club Mate-Flaschen

  • Zahlreiche vom lokalen Hamburger Hersteller angelieferte Kisten Premium Cola und Premium Bier

  • Ein eigener Pizza-Service: Nach einer Bestellung über das Haustelefon unter 4792 wird aus einer nahegelenen Küche bis zum Haupteingang angeliefert. Lieferzeit in meinem Fall: Angenehm kurz 35 Minuten.

  • 80 Terabytes wurden als Stream während des Kongresses übertragen

  • 148 Stunden an Videomaterial wurde von den Präsentationen durch das VOC (Video Operation Center) aufgezeichnet

  • Stapelweise DB-Formulare „Fahrgastrechte". Serviceorientiert am letzten Abend beim Ausgang ausgelegt für den individuellen Vollzug der Abreise-Unkosten-Minderung.

Die Matecalypse (aka ein ausbleibender Club Mate-Nachschub) konnte übrigens durch eine Nachbestellung aus einem lokalen Lager an Tag 2 erfolgreich abgewendet werden, wie mir ein Mitgliede des Barorganisationsteams zufrieden mitteilte. Die Versorgungssituation war vorsorglich bereits im Vorhinein geprüft worden.

Ein weiteres schönes Bonus-Feature boten die temporär gehackten Fahrstuhl-Lautsprecher: „Fahrstuhl 1 ist verfügbar. Willkommen in der Selbstmordzelle: Bitte wählen sie ihre Fallhöhe." Und auch die allgegenwärten 3D-gedruckten Club-Mate-Namensschilder erwiesen sich als äußerst praktisch. Sei es damit jeder am Workshop-Tisch nach dem Aufblicken vom Bildschirm seine Flasche wiederfindet und vielleicht auch, um der Ausbreitung der Konferenz-Grippe mit dem ansteckenden Titel ​#CCCbola effizient entgegengezuwirken.

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Netterweise hat einer der konventionellen Telefonnetzanbieter ohnehin eine Handyantenne auf dem Dach des CCH installiert.

Netterweise hat einer der konventionellen Telefonnetzanbieter ohnehin eine Handyantenne auf dem Dach des CCH installiert.

Die Pizzabestellung beim 31C3.

Gesagt, getan… Anruf über Haustelefon:

Entgegen des Titels ist der 31C3 nicht nur anarchisches Chaos sondern eben auch eine wohl geölte Maschine. Den Grund für die Effizienz der Veranstaltung brachte MadDoc vom CERT-Team wohl am besten auf den Punkt: „Wir wollen alles bestmöglich für die Gäste organisieren, denn der 31C3 ist eine unglaublich intensive Wissensdruckbetankung und jede Sekunde verlorener Kongresszeit ist für die Menschen hier unglaublich kostbar."

Weitere Details zur Infrastruktur des 31C3 inklusive vieler Graphen und Zahlen findet ihr ​in diesem Talk.

Wir werden an dieser Stelle in den nächsten Tagen mit weiteren Artikeln über Vorträge und Themen des 31C3 berichten.