Diese Refugees bringen Internet in Heime, weil der Staat es nicht für nötig hält
Eben Chu (2. von links) und Florence Sissako (rechts) in einem der Internetcafés von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Bild: Eben Chu. Mit freundlicher Genehmigung

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Diese Refugees bringen Internet in Heime, weil der Staat es nicht für nötig hält

„Es ist verrückt, dass wir Behörden erklären müssen, warum Flüchtlinge überhaupt Internet haben sollten.“

„Für mich ist es immer noch komisch, so im Zentrum zu stehen", beginnt Eben Chu seine Präsentation auf einer der Zeltbühnen des Chaos Communication Camps 2015. „Ich hab die meiste Zeit in Deutschland nämlich in der Peripherie verbracht."

Chu setzte sich bereits in seiner Heimat Kamerun für die Menschenrechte marginalisierter Communitys ein und wurde deshalb sogar inhaftiert. Als er 1998 als Flüchtling nach Deutschland kam, war er geschockt, wie abgeschnitten Asylbewerber wie er vom Rest der Gesellschaft und der Informationsversorgung leben müssen. (Anna Biselli hat für netzpolitik.org mal herumgefragt, in welchen Flüchtlingsheimen es Internet gibt. Das Ergebnis: Nur rund 10% der Bewohner haben überhaupt Zugang zu einem Computer; und der ist dabei nicht zwangsläufig auch an das Internet angeschlossen.)

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Nach sieben Jahren in diversen Heimen in Brandenburg leitet Chu heute eine Organisation, die sich ganz pragmatisch für etwas einsetzt, das der Staat bislang anscheinend nicht für notwendig hielt: Internetzugang für Geflüchtete. Seit 14 Jahren baut Refugees Emancipation in Flüchtlingsheimen Internetcafés auf—selbstverwaltet, eigenverantwortlich und getragen von seinem selbstgegründeten Verein.

Die Sozialleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz sehen pro Person 40 Euro Taschengeld im Monat für Kommunikation vor, von denen die Flüchtlinge außerdem noch Kleidung und Anwaltskosten bezahlen sollen—was natürlich vorn und hinten nicht für ein Datenpaket reicht. Dazu kommt die einschränkende Residenzpflicht, die die Menschen zwingt, in ihrem Landkreis zu bleiben. Damit ist Deutschland das einzige Land in Europa, das eine solche Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Gesetz verankert hat.

Eben Chu empfindet die Isolation, in der sich Geflüchtete befinden, als systematisch gefördert: „Es ist ein Machtspiel", sagt er. Das Recht auf den Zugang zu Informationsmedien kann den Geflüchteten je nach Heimausstattung gewährt oder (viel häufiger) verweigert werden.

Eben Chu am Telefon in einem der Internetcafés in Flüchtlingsunterkünften.

Wir haben mit Eben Chu darüber gesprochen, wie sein Verein durch Ermächtigung der Flüchtlinge ihre Isolation durchbrechen will.

Motherboard: Welche Arbeit macht Refugees Emancipation?

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Ganz einfach: Wir stellen kostenlose Internetcafés von Flüchtlingen für Flüchtlinge zur Verfügung. Dazu machen wir Verträge mit der Heimleitung, und sobald wir einen Raum bekommen, ist das Heim raus, die Haftung trägt dann unser Verein.

Alles geschieht auf freiwilliger Basis: die Wartung, die Aufsicht und die Computerkurse, die wir anbieten. Du musst dir also vorstellen, dass in den Cafés drei Menschen für acht Stunden am Tag sitzen und arbeiten, ohne einen Cent dafür zu bekommen.

Eben Chu: Aber ihr tragt die Verantwortung?

Ja, komplett. Es ist also nicht richtig zu sagen, das Land würde uns besonders unterstützen. Wir haben die Haftung für die Cafés, das Land zahlt uns zwar die Miete für unseren kleinen Büroraum in Potsdam, der Rest der Unterstützung kommt aber hauptsächlich von Studenten und Spendern alter Hardware. Kürzlich zum Beispiel gab es Unterstützung aus dem Umfeld des Freifunk. Dort wurden zehn alte Rechner gespendet, die wir in Potsdam weiterverteilt haben.

Kannst du mir sagen, wie dein erster Eindruck von Deutschland war?

Ich kam 1998 nach Eisenhüttenstadt und habe festgestellt, dass der Asylprozess viel mit Angst und Einschüchterung zu tun hat: Fingerabdrücke, Stacheldraht… aus rechtlicher Sicht bist du total eingeschränkt und sollst zudem eigentlich nicht mit der Zivilgesellschaft in Kontakt kommen. Das wird auch durch den beschränkten Zugang zu Informationen sichergestellt.

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Ich dachte, dieses Land sei fortschrittlich. Mit einem einzigen Münztelefon für 400 Menschen einer Unterkunft gibt es natürlich Streitigkeiten. Ich glaube, man will uns das Leben unerträglich machen. Die wissen doch, dass im 21. Jahrhundert niemand ohne Kommunikationsmittel auskommt.

Du hängst da also für Jahre in diesem Übergangsheim und kannst nicht mal in die Schule gehen; jegliche Motivation als junger Mensch wird dadurch systematisch zerstört. Es gibt wenig Möglichkeiten, sich überhaupt ohne Deutschkenntnisse zu verständigen, geschweige denn, sich zu informieren. Das Internet wäre die Hauptmotivation, in die Stadt zu fahren, aber wie will man das machen mit knapp 40 Euro Bargeld im Monat, wenn ein Nahverkehrsticket schon 2,40 Euro kostet? Hätten wir Internet hier, dachte ich, wäre die Welt da draußen nicht mehr unerreichbar.

Eine Hardwarespende wird verteilt. Alle Bilder: Eben Chu (in der roten Jacke links im Bild)

Wie ging es weiter?

Ich hab mich immer für praktische Konzepte interessiert. Und die Ausgangssituation war ganz einfach: Wir wollten Internet.

Aber ich fing von null an—ich hatte noch nie einen Computer angefasst. Irgendwann sagte meine Heimleiterin zu mir: „Also Eben, es gibt da diese Schulungsgruppe in Berlin-Friedrichshain namens LowTech. Die haben fünf Rechner, geh da doch mal hin und lerne, wie man mit Computern umgeht." Ich habe dann schnell gemerkt: Hey, das betrifft nicht nur mich, viele Flüchtlinge wollen in ihrer neuen Umgebung einen Weg nach 'draußen' finden. Was wir denn genau lernen wollten, fragten sie uns bei LowTech. „Äh, naja—alles", antworteten wir. Nach viel Widerstand handelten fünf Flüchtlinge mit den Heimleitern aus, ein paar Mal in der Woche zum Computerkurs nach Berlin fahren zu dürfen. Das war super. Nach drei Monaten konnten wir ganz gut mit Computern umgehen. Und wir wussten: Wir müssen das Internet ins Heim bringen.

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Natürlich mussten wir endlos viel Papierkram hinter uns bringen. Im Antrag an die Behörden mussten wir schriftlich versichern, dass wir keine terroristische Zelle aufbauen wollten, sondern einfach nur Internetzugang für alle Bewohner bereitstellen möchten.

Keine terroristische Zelle, sondern ein Grundrecht: Internetcafé von Refugees Emancipation

Unser erstes Internetcafé ging in Potsdam ans Netz. Hier haben wir auch unser Büro. Damit hatten wir eine Art Präzedenzfall etabliert. Über die Jahre kamen weitere Cafés hinzu: Eisenhüttenstadt, Prenzlau, Rathenow, Berlin-Marienfelde. Mittlerweile haben wir neun Cafés in Heimen in Brandenburg und Berlin. Die Einwohner bündeln ihre Kräfte, unterstützen sich gegenseitig: Dreimal wöchentlich gibt es einen Computerkurs, der von Studenten geleitet wird. Zudem gibt es eine Gruppe von Frauen, die sich gegenseitig Computerkenntnisse vermitteln.

Wir tun, was wir können, um Unterstützung zu bekommen, aber bisher ist der Support eher lauwarm. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, den Flüchtlingen zu zeigen, wie sie für eine bessere Zukunft kämpfen können und ihre Isolation zu durchbrechen. Der Umgang der staatlichen Stellen mit Flüchtlingen, aber manchmal auch der der Zivilgesellschaft, hat oft einen paternalistischen Beigeschmack, und wir haben immer noch gegen sehr viele Hürden zu kämpfen.

Welche Hürden sind das?

Wir müssen immer wieder gegen Bevormundung und Unwillen ankämpfen. Zum Beispiel wollte eine Heimleitung ein Café nur unter der Bedingung eröffnen, in alle Daten Einsicht nehmen zu können, auch in E-Mails. An dieser Stelle haben wir dann die Zusammenarbeit beendet.

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Ich glaube, dass die Flüchtlinge oft kleingehalten werden sollen und dafür dann „rechtliche Bedenken" vorgeschoben werden. Es gibt aber gar keine rechtliche Grundlage, die gegen Internetzugang spräche. Viele Heime befinden sich in ländlichen Regionen, da gibt es auch kein W-Lan wie in den Cafés in Innenstädten.

Es ist verrückt, dass man Behörden überhaupt erklären muss, warum Flüchtlinge Internetzugang haben sollten.

Ich hab sieben Jahre lang in Asylheimen und anderen Flüchtlingsunterkünften gelebt. Und ich verstehe einfach nicht, wieso mich die Behörden so lang isoliert hielten, um anschließend zu versuchen, mich irgendwie wieder auf ein Level zu bringen, mit dem ich mit dem Rest der Gesellschaft mithalten kann. Da gibt es dann Kurse, die beantragt werden müssen, Umschulungen und so weiter. Aber bis dahin haben die Leute nichts zu tun. Das ist doch unverantwortlich! Selbst Menschen, die sich gut mit Computern auskennen—und glaub mir, unter den Flüchtlingen sind da so viele junge, fähige Leute—verkümmern die Fähigkeiten mit der Zeit, wenn sie nie zum Einsatz kommen dürfen.

Wofür nutzen die Refugees das Internet hauptsächlich deiner Erfahrung nach?

Es ist verrückt, dass man gegenüber Behörden überhaupt erklären muss, warum Flüchtlinge Internetzugang haben sollten.

Natürlich kommunizieren die meisten mit ihrer Familie und erklären ihnen, wo sie gelandet sind. Aber das Internet dient nicht nur dazu, mit Familie und Freunden Kontakt zu halten, sondern es ist auch die einzige Möglichkeit, sich über die politische Situation im Heimatland zu informieren. Darüber berichten die Medien in Deutschland nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht. Viele Flüchtlinge waren in ihrer Heimat politisch sehr aktiv, man darf ihnen den Zugang zu Informationen nicht derart abschneiden.

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Drittens müssen sie für ihren rechtlich oft sehr komplizierten Asylprozess recherchieren können. Sie brauchen einen Online-Übersetzer, mit dem sie sich durch schwierige deutsche Formulare wühlen können und wollen letztlich natürlich auch Computergrundlagen erlernen. Ich finde es ziemlich beschämend, dass all das im demokratischen Deutschland so schwierig ist.

Du hast vorhin Bevormundung und unbezahlte Arbeit angesprochen, das ist ein interessanter Punkt. Was denkst du zum Beispiel überWorkeer, eine Plattform, die Flüchtlinge in Arbeit bringen soll und eine einfache Möglichkeit für eine erste Kontaktaufnahme zwischen interessierten Arbeitgebern und Arbeitssuchenden Flüchtlingen darstellt? Ich war erstmal ziemlich begeistert, aber vielleicht war das auch zu kurz gedacht, und viele Unternehmen wittern vor allem eine Chance auf billigste Arbeitskräfte, die sie in ihrer Verzweiflung ausnutzen können.

Tja, das kann man tatsächlich von beiden Seiten sehen. In jedem Fall lohnt es sich, solche Projekte genau zu verfolgen. Ich habe festgestellt, dass es unglaublich viele Widersprüche in der Unterstützungsarbeit gibt. Ich gebe dir mal ein Beispiel aus meiner Arbeit: Ich habe auch schon Kritik zu meinem Projekt aus linken Gruppen bekommen, die argumentierten, Internetcafés in den Übergangsheimen würden die Flüchtlinge ja noch mehr isolieren—weil sie die Menschen in ihrem Kosmos des Heims behalten, statt anzuregen, draußen in der Welt klarzukommen und mit anderen Menschen zu interagieren.

Was ist deine Antwort darauf?

Nun, wir glauben, dass man die Menschen zunächst mal ermächtigen muss, sich ein eigenes Bild zu machen und ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Dafür ist das Internetcafé direkt dort, wo die Menschen sich sowieso aufhalten müssen, eine gute Lösung. Außerdem fördern sie den kulturellen Austausch zwischen den Bewohnern und die Vernetzung.

Was würdest du dir für die Zukunft des Vereins wünschen?

Wir würden gern diejenigen, die in den Cafés arbeiten, entlohnen. Außerdem sollen sich immer mehr Cafés aus den Heimen selbst bilden. Es wäre auch super, wenn wir Workshops anbieten könnten, ohne jedes Mal um die Fahrtkosten für die Teilnehmer betteln zu müssen.

Auf dem Chaos Communication Camp hat sich spontan eine Unterstützergruppe aus dem Umfeld des CCC und anderen Interessierten gebildet, die die Website überarbeiten will, einen kleinen Imagefilm produziert hat und eine vor sich hin dümpelnde Crowdfunding-Kampagne für den Verein neu auflegen wird. Diese Kampagne startet am 6.9.— wer vorher schon helfen mag, kann sich mit Eben Chu in Verbindung setzen oder sich für die Abschaffung der Störerhaftung einsetzen, die vielen ähnlichen Vereinfachungen—genauso wie der flächendeckenden Versorgung Deutschlands mit kostenlosem W-Lan—gerade noch im Wege steht.