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Die Schokolade wird knapp

Schokolade ist ein knappes Gut geworden, weil die Kakaobauern durch Missernten und weltweit steigende Nachfrage nicht mehr mit der Produktion nachkommen. Aber auch Zockerei an den Rohstoffbörsen lässt den Preis heftig schwanken.
Konfektions-Schokolade mit Nüssen, Gewürzen und Smarties. Bild: ​Wikimedia Commons, An-d | CC BY-SA 3.0

Nicht einmal mehr die beruhigende Schokolade nach einem langen, anstrengenden Tag lässt sich noch ohne Gewissensbisse vernaschen. Denn die Welt verschlingt mehr Kakao als die Kakaobauern produzieren können. Als Folge davon erwartet uns ein langfristiger Preisanstieg und somit eine Verknappung der Schokolade als Luxusgut.

Kakaobäume wachsen nur innerhalb des Äquatorgürtels und sind sehr empfindlich gegenüber zu viel oder zu wenig Regen. In Westafrika, wo 73 Prozent des weltweiten Kakaos angebaut werden, kämpfen die Produzenten in diesem Jahr gegen das miese Wetter (zu heiß, zu trocken) sowie einen hartnäckigen Schimmelpilz namens Moniliophtora roreri. Dieser befällt über ein Drittel der Produktion und drückt die Erträge weiter um bis zu 40 Prozent. Doch auch anhaltende politische Unruhen im wichtigsten Erzeugerland, der Elfenbeinküste, tragen zu der Knappheit bei. Das alles bedeutet, dass die Produktion von Schokolade schwierig geworden ist—so schwierig, dass die Bauern ihren Anbau teilweise auf andere Kulturen umstellen.

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Und so essen wir gerade ungefähr 70.000 Tonnen mehr Kakao, als wir in jedem Jahr produzieren. Prognosen der Kakao-Erzeugerverbände zufolge wird diese Zahl weiter ansteigen, und zwar auf eine Million Tonnen im Jahr 2020 und zwei Millionen Tonnen im Jahr 2030. Das liegt unter anderem auch daran, dass wir immer lieber Zartbitterschokolade kaufen, die einen höheren Kakaoanteil hat.

Diese Hiobsbotschaft haben uns nun die beiden größten Schokoladenhersteller, Mars Inc. und Barry Callebaut, überbracht. Mars-Sprecher Matthias Berninger warnte kürzlich sogar laut der FAS: „Wir brauchen in den nächsten Jahren noch einmal die Kapazität der Elfenbeinküste".

Kakao-Pflänzchen in Ghana. Bild: World Cocoa Foundation.

Nun gibt es verschiedene Wege, mit dem Schokodesaster klarzukommen: Manche Firmen entdecken ihr entwicklungspolitisches Gewissen in Form von Wirtschaftshilfe. So zum Beispiel Nestlé, die bereits im letzten Jahr Millionen Kakaobaum-Setzlinge nach Ghana schickte, als klar wurde, dass das Land seine Quote nicht erfüllen würde.

Oder man sucht sich einen Sündenbock und konstatiert: Die Chinesen essen einfach zu viel und treiben die Schokoladenpreise nach oben. Es stimmt zwar, dass die Nachfrage in China jedes Jahr um mehr als 50 Prozent steigt. Aber im Pro-Kopf-Verbrauch sind die Chinesen noch meilenweit von den Mengen entfernt, die wir in Europa so verspeisen: Sie essen gerade mal 200 Gramm pro Kopf im Jahr, das sind ungefähr fünf Prozent dessen, was der durchschnittliche Konsument in Westeuropa isst—noch. Weltweit werden pro Jahr vier Millionen Tonnen Kakao verbraucht, rechnet die International Cocoa Organization vor—eine Million Tonnen mehr als noch noch vor 15 Jahren. In Deutschland und in der Schweiz verschlingen wir pro Kopf neun Kilo jährlich, und zunehmend lieber die stark kakaohaltigeren Sorten.

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IM LETZTEN SOMMER KAUFTE EIN EINZELNER HÄNDLER SIEBEN PROZENT DER WELTWEITEN ERNTE AUF.

Doch die Kombination aus gestiegener Nachfrage und schlechterer Ernten erzählt immer noch nicht die ganze Geschichte. Denn auch die Rohstoffspekulanten sind schuld an der Misere. Die unethische Zockerei mit dem Rohstoff Kakao an den Terminbörsen lässt den Preis unberechenbar schwanken und hat Einfluss auf die Menge der Ernte, die auf dem Weltmarkt verfügbar ist. Im letzten Sommer kaufte ein einzelner Händler mit dem Spitznamen „Choc-Finger" knapp sieben Prozent der Ernte auf und verscherbelte das Ganze gleich wieder weiter. Diese Art künstlicher Verknappung lässt die Preise in die Höhe schießen. Heute liegt der Preis pro Tonne Kakao bei 2.364 Euro an der New Yorker Rohstoffbörse.

Als letzte Möglichkeit können wir uns etwas völlig anderes ausdenken, um den Ertrag zu erhöhen: Agrarwissenschaftler forschen daher bereits an einem Kakaobaum, der siebenmal so viele Früchte trägt, die aber möglicherweise nicht ganz so großartig schmecken. Daher müssten mehr künstliche Zusatzstoffe zugefügt werden, um den charakteristischen Geschmack von Schokolade zu erhalten— keine allzu schöne Vorstellung.

Das Geschmackserlebnis von Schokolade ist ein sehr komplexes, das nicht so einfach durch billige Surrogate imitiert werden kann: Unter den 400 Chemikalien, die Schokolade schmecken lassen, gibt es Bitterstoffe, Aldehyde und Trimethylamin, das eigentlich nach Fisch riecht, dazu Dutzende Ester für die Fruchtigkeit und Laktome, die den milchig-cremigen Geschmack ausmachen. Viel besser zum Beweis der Einzigartigkeit von Schokolade eignet sich allerdings dieses Video, in dem Kakaobauern von der Elfenbeinküste zum ersten (und vielleicht einizgen) Mal in ihrem Leben Schokolade probieren:

Vielleicht müssen wir jetzt an Weihnachten also ein bisschen mehr sparen und uns einreden, schon unsere Großeltern hätten sich an der gemütlichen Tradition der Weihnachts-Gummibärchen erfreut. Wem die Vorstellung von Mandarinen und Nüssen statt Schoko-Weihnachtsmännern unter dem Baum Tränen in die Augen treibt, der kann sich immerhin damit trösten, dass die Hohlfiguren aus Schokolade nach Weihnachten trotz aller Preisanstiege garantiert zu einem Spottpreis verschleudert werden. Oder wir verpassen der winterlichen Schokoladenorgie ein Update durch ein paar zeremonielle Züge im Kreis der Familie an der Geschmacksnebel-Shisha.